Meckern kann helfen

Verleihung des Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik und des Preises der Leipziger Buchmesse (Belletristik) 2019

Von Vera KostialRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vera Kostial

Selbst Bedeutung herstellen statt über den eigenen Bedeutungsverlust zu meckern – eine der eindrücklichsten Thesen aus der Dankesrede von Marie Schmidt, die am 21. März im Rahmen der Leipziger Buchmesse mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet wurde. Seit 2018 ist Schmidt bei der Süddeutschen Zeitung tätig, vorher schrieb sie für Die Zeit, hatte davor eine Journalistenausbildung absolviert, Komparatistik sowie Kulturwissenschaften studiert. Trotz teurer Ausbildung, so Schmidt, sei sie heute keine Journalistin, ebenso wenig wie Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin oder Pädagogin, und „keine Agentin des Buchmarkts und der Medien“ – sondern Kritikerin, was „eben keine eingetragene Berufsbezeichnung“ ist.  Ein Beruf, der nicht fordert, „gleich etwas zu sein“, sondern von allem ein bisschen, und zuvorderst: frei im Denken; ein Privileg, das gleichzeitig verlangt, selbst Bedeutung herzustellen. Sehr klar positioniert Schmidt sich gegen ein literaturkritisches Meckern über mangelnde Relevanz und Außenwahrnehmung – Bedeutung müsse durch die Kritik selbst hergestellt werden.

Produktives Meckern veranlasste die diesjährige Jury um den Vorsitzenden Jens Bisky, den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik an Anke Stelling für ihren Roman Schäfchen im Trockenen zu vergeben. Der Text dreht sich um Resi, erwachsenes Arbeiterkind und Schriftstellerin, deren Freundeskreis an Geld- und Statusfragen zerbricht – und Resi meckert. Ein „scharfkantiger, harscher Roman, der weh tun will und weh tun muss“, so Wiebke Porombka zur Begründung der Jury. Die bildungsbürgerliche Blase, die sich intern ihrer Toleranz und ihres Umweltbewusstseins versichere, müsse von außen angepikst werden, so der Tenor von Porombkas Ausführungen.

Ob die Bubbles wirklich in sich so homogen sind wie Porombka, wenn auch überspitzt, andeutet, und in welcher Form genau das Anpiksen nun am besten funktioniert, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Die Stoßrichtung jedoch ist klar: Meckern hilft, wenn es produktiv ist, wenn es in Kritik statt in Wehklage besteht, wenn es Veränderungen bewirkt und Horizonte erweitert. Ein hoffnungsvolles Fazit dieser beiden Preise.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen