Ein Schriftsteller, der stets seine Identität verschleierte – mit Erfolg?

Zum 50. Todestag von B. Traven

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

B. Traven … der große „Mystery Man“ der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Wer war dieser B. Traven? Diese Frage bewegte im vergangenen Jahrhundert die Literaturwissenschaft, die Boulevardpresse sowie eine millionenfache Leserschaft auf der ganzen Welt. Dabei hat ein Schriftsteller dieses Namens nie existiert. B. Traven war wie Ret Marut oder Richard Maurhut nur ein Pseudonym des großen Unbekannten der Weltliteratur, dessen Leben noch Jahre nach seinem Tod weiter Rätsel aufgab. Als 1926 sein zweiter Roman Das Totenschiff erschien, weigerte sich B. Traven, Auskunft über seine Biografie zu geben und hatte dies in einem Brief an seine Büchergilde-Leser begründet:

Ich möchte es ganz deutlich sagen. Die Biografie eines schöpferischen Menschen ist ganz und gar unwichtig. Wenn der Mensch in seinen Werken nicht zu erkennen ist, dann ist entweder der Mensch nichts wert oder seine Werke sind nichts wert. Darum sollte der schöpferische Mensch keine andere Biografie haben als seine Werke. In seinen Werken setzt er seine Persönlichkeiten und sein Leben der Kritik aus.

So gaben seine systematischen Verschleierungsversuche, bei denen er rund dreißig, meist nicht gängige Namen benutzte, immer wieder Anlass zu den wildesten Mutmaßungen und abseitigsten Spekulationen – bis hin zu der vom unehelichen Sohn Kaiser Wilhelm II. (in die Welt gesetzt von dem ehemaligen stern-Reporter Gerd Heidemann, der auch die „Hitler-Tagebücher“ erworben hatte). In der Vergangenheit wurde in zahlreichen Publikationen versucht, das gutgehütete Geheimnis um B. Traven zu lüften. Exemplarisch seien genannt: B. Traven: Beiträge zur Biografie (1966) des Leipziger Bibliotheksdozenten Helmut Recknagel und die monumentale Biografie (immerhin über 800 Seiten) B. Traven: Biografie eines Rätsels (1987) des deutsch-amerikanischen Germanisten Karl Siegfried Guthke, die sich durch eine umfangreiche Ausstattung mit Bildern und Dokumenten aus dem Nachlass B. Travens auszeichnet. Zuletzt hat sich der Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild in B. Traven – Die unbekannten Jahre (2012) und in Das Phantom – Die fünf Leben des B. Traven (2018) auf die Spuren seines verschlungenen Lebensweges begeben und dabei Briefe, Lebenszeugnisse und Berichte Dritter ausgewertet.

Warum hat Traven nie daran gedacht, seine Memoiren zu schreiben? Er hat darauf selbst eine Antwort gegeben: „er wäre nicht T., wenn er es jemals tun würde.“ Bereits über Geburtsdatum und -ort gibt es verschiedene Angaben. Traven selbst hat in seinem Testament, das er 1969 wenige Wochen vor seinem Tode bei einem Notar aufsetzen ließ, angegeben: 3. Mai 1890 in Chicago. Aber auch das war nur eine letzte Irreführung. Man geht heute davon aus, dass der spätere Schriftsteller B. Traven (am 23. Februar) 1882 im damaligen preußisch-brandenburgischen Schwiebus (heute Świebodzin/Polen, siebzig Kilometer östlich von Frankfurt/Oder) als Hermann Otto Albert Max Feige, Sohn des Töpfers Adolf Feige und der Fabrikarbeiterin Hermine Wienecke, geboren wurde. Dabei hatte Traven wahrscheinlich bereits Ende 1923 selbst den entscheidenden Hinweis für diesen Sachverhalt gegeben, als er von Scotland Yard wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz festgenommen wurde und ein Geständnis ablegte. (Trotzdem sind auch hier Zweifel angebracht. Warum sollte er ausgerechnet der Londoner Polizei die Wahrheit gesagt haben?)

Über Kindheit und Jugend von Otto Feige ist kaum etwas bekannt. Er absolvierte eine Schlosserlehre und verließ früh das Elternhaus. Warum? Wohin? Hauschild konnte nach langjährigen, akribischen Recherchen diese biografische Lücke schließen: Feige war Metallarbeiter und Gewerkschaftsfunktionär im Ruhrgebiet. 1907/1908 tauchte er dann in Essen unter dem Namen Ret Marut (durch Buchstabenverdrehung entsteht „Traum“ oder „Armut“) als Schauspieler auf. Da er weder eine Ausbildung noch Referenzen nachweisen konnte, gab er an, am 25. Februar 1882 in San Francisco geboren zu sein. Die neue Identität war gut gewählt, denn Nachforschungen waren fast ausgeschlossen, da während des Erdbebens in Kalifornien vom 18. April 1906 und dem nachfolgenden Großbrand viele Akten und Urkunden der Behörden vernichtet wurden.

Es folgte eine achtjährige Bühnenlaufbahn, die den Schauspieler (mitunter auch Regisseur) quer durch das Deutsche Reich führte – von der Provinz bis zum Düsseldorfer Schauspielhaus (1912), der letzten Station. Darüber geben Theaterzettel und Rezensionen Auskunft. In Düsseldorf lernte er auch die 21jährige Schauspielschülerin Irene Mermet kennen, die seine langjährige Lebensgefährtin werden sollte. Ansonsten gibt es über sein Privatleben während dieser Jahre nur wenig verlässliche Angaben. Das Bedeutsamste war sicher, dass Ret Marut durch seine Theaterarbeit mit klassischer und moderner Literatur in Berührung kam. Später hat er jedoch nie wieder auf einer Bühne gestanden.

In das Jahr 1912 fallen die schriftstellerischen Anfänge von Ret Marut; Skizzen und Erzählungen von ihm erschienen u.a. im Düsseldorfer General-Anzeiger oder in der Düsseldorfer Zeitung – später auch in Berliner, Bremer und Frankfurter Tageszeitungen. Bis 1919 lassen sich diese feuilletonistischen Arbeiten verfolgen. Die Prosatexte ohne große literarische Qualitäten waren Dutzendware und entsprachen der Unterhaltungsliteratur der damaligen Zeit, sodass später Zweifel aufkamen, ob Ret Marut wirklich identisch mit dem erfolgreichen Romanautor B. Traven war. Von September 1917 bis Dezember 1921 gab er in München die radikale Kampfzeitschrift Der Ziegelbrenner (Untertitel Kritik an Zuständen und widerwärtigen Zeitgenossen) heraus, deren Texte er fast alle selbst schrieb. Mit einer geschätzten Auflage von 800 bis 6000 Exemplaren wurde das Periodikum vorwiegend via Postzustellung vertrieben; nur in München wurde es verkauft. Mitten im Krieg hatte Marut den Mut, Militarismus, Bürgertum, Kirche und vor allem die Presse vehement zu kritisieren. So fügte er jeder Ausgabe einen Aufruf zur Vernichtung der Presse bei: „Menschen! Vernichtet die Presse! Ihr habt nur einen Feind. … Jede Revolution, jede Befreiung des Menschen verfehlt ihren Zweck, wenn nicht zuerst die Presse erbarmungslos vernichtet wird.“ Ein paar Jahre später sollte er allerdings seinen literarischen Durchbruch der Presse verdanken.

Nach der Ausrufung der Münchner Räterepublik wurde Ret Marut an der Seite der revolutionären Schriftsteller Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller auch politisch aktiv. Er übernahm das Presseamt, wo er eine Sozialisierung der Presse forderte. Nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai 1919 wurde er als Hochverräter verhaftet, doch gelang ihm die Flucht. Spurlos verschwand er aus München. Wohin – in Tschechoslowakei, nach Budapest oder Wien? Auch hier mehr Fragezeichen als verlässliche Angaben. 1920 hielt er sich wahrscheinlich in Berlin auf, wo er gemeinsam mit Irene die nächsten Ziegelbrenner-Ausgaben betreute. Die Zeitschrift erschien noch bis zum Dezember 1921 illegal. Für 1922 sind Aufenthalte von Marut in Köln und Dänemark belegt. Er fasste den Entschluss, Europa zu verlassen, um gemeinsam mit Irene im Ausland den Lebensunterhalt zu bestreiten. Irene gelang die Ausreise von Kopenhagen nach New York. Maruts erster Versuch im Sommer 1923, von Liverpool nach Kanada und anschließend in die USA zu gelangen, schlug jedoch fehl. Wegen fehlender Papiere verweigerten ihm die kanadischen Behörden die Einreise und schickten ihn mit dem nächsten Schiff nach England zurück. Hier kam es zu der bereits erwähnten Verhaftung durch Scotland Yard. Nachdem er aus der Abschiebehaft entlassen war, heuerte er mit dem Pass eines Freundes auf einem norwegischen Dampfer als Kohlentrimmer an. Vor der Abreise schrieb er an Erich Mühsam, der inzwischen im Gefängnis saß: „In wenigen Stunden besteige ich ein Schiff und habe damit aufgehört für Europa zu existieren.“ Aber anscheinend war auch dies nur eine Täuschung, denn Marut war nicht an Bord. In der Heuerliste des Dampfers wurde sein Name durchgestrichen.

So ist bis heute unklar, wie Ret Marut England verlassen hat. Fest steht nur, dass er im Sommer 1924 in Mexiko gelandet war, das für den inzwischen 42-Jährigen in den nächsten fünfundvierzig Jahren eine neue Wahlheimat werden sollte. Kaum angekommen, schrieb er in sein Tagebuch „Marut ist tot.“ Mit „Traven Torsvan“ bzw. „B. Traven“ schaffte er sich eine neue Identität. Der fremd und geheimnisvoll anmutende Name war für die Verschleierung eines gescheiterten deutschen Revolutionärs gut gewählt: Was ist Vorname und Familienname? Außerdem ist unklar, wie man ihn schreiben oder aussprechen soll? Überhaupt war Mexiko ein idealer Fluchtort, um unterzutauchen. „Mexiko ist ein Land, wo es als taktlos, beinahe als beleidigend gilt, jemanden nach Namen, Beruf, Woher und Wohin auszufragen.“ (so B. Traven selbst) Jahre später sollten politisch Verfolgte aus Nazideutschland und des Stalin-Regimes ebenfalls in dem mittelamerikanischen Land Exil finden.

Nach eigenen Angaben lebte Traven geraume Zeit in der Abgeschiedenheit eines verlassenen Bungalows im Dschungel und bestritt mit Aushilfsjobs seinen Lebensunterhalt. Bald widmete er sich auch wieder schriftstellerischen Arbeiten. Das Ergebnis waren die beiden Romane Die Baumwollpflücker und Das Totenschiff. Traven schickte das Baumwollpflücker-Manuskript im Januar 1925 der sozialdemokratischen Wochenzeitung Vorwärts und betonte, die Geschichte sei „ein Niederschlag eigenen Erlebens“. In der Berliner Redaktion vermutete man hinter dem unbekannten Autor einen „literarisch begabten Arbeitsvagabunden“; niemand konnte ahnen, dass es sich nicht um einen Tatsachenroman sondern um erfundene Begebenheiten eines Autors handelte, der erst kurze Zeit in Mexiko lebte. Noch im Sommer desselben Jahres erschien Die Baumwollpflücker in 22 Fortsetzungen. Es ist die einfache Geschichte des durch Mexiko trampenden Wanderarbeiters Gerard Gale, der über Land zieht, von Baumwollplantagen zu Farmen, und jede Arbeitsmöglichkeit ergreift. Überall trifft er auf Tagelöhner, Viehtreiber und Arbeiter, die wie er um den Lohn geprellt werden. Mit der klaren Sprache und der spannenden Handlung wurde der Roman von den Zeitungslesern begeistert aufgenommen.

Bereits während des Drucks wurde Ernst Preczang, Schriftleiter der 1924 gegründeten „Büchergilde Gutenberg“, auf die Geschichte des staatenlosen Tramps Gale aufmerksam, sodass er Traven in einem Brief um die Rechte für die deutsche Buchausgabe bat. Traven gab sein Einverständnis, machte jedoch den Vorschlag, zunächst ein anderes Manuskript von ihm zu veröffentlichen. Nach einigen Wochen schickte er seinen neuen Roman Das Totenschiff, der noch im August 1926 erschien. Die Büchergilde wurde zu Travens Hausverlag, insgesamt neun seiner Bücher erschienen hier bis 1939 (ab 1933 in der Züricher Büchergilde).

In Das Totenschiff verkehrte Traven die Seefahrerromantik in ihr Gegenteil. Erzählt wird die Geschichte des aus New Orleans stammenden Deckarbeiters Gerard Gale, der später auch in dem Roman Die Brücke im Dschungel (1929) und der Erzählung Nachtbesuch im Busch wiederkehrt. Durch den Verlust seiner Papiere wird er zum Namenlosen und Rechtlosen. Nach einer Odyssee durch halb Europa heuert er schließlich auf dem schrottreifen Schiff „Yorikke“ an, das Schmugglerware transportiert. Hier begegnet Gale weiteren Heimatlosen und Deklassierten wie dem Deutschpolen Stanislaw Koslowski, den ein ähnliches Schicksal auf das Schiff verschlagen hat. Entwurzelt und ausgestoßen erleben sie das Schiff als ihre letzte Zufluchtsstätte, ihre neue Heimat. Bei einem Landgang im Hafen von Tripolis landen die beiden auf der „Empress of Madagascar“, einem Totenschiff, das mit seiner wertlosen, aber hoch versicherten Ladung Alteisen versenkt werden soll, um der Reederei und dem Kapitän eine hübsche Versicherungssumme einzubringen. Als die „Empress of Madagascar“ wie geplant auf ein Riff aufläuft, sind Gale und Stanislaw die einzigen Überlebenden, die sich auf den Planken des gesunkenen Schiffes retten können. Doch Stanislaw erleidet Halluzinationen und ertrinkt schließlich. Für Gale tritt er die große Fahrt an, für die man keine Papiere mehr braucht.

Im Grunde und ganz ohne Scherz gesprochen, war ich ja schon lange tot. Ich war nicht geboren, hatte keine Seemannskarte, konnte nie im Leben einen Pass bekommen, und jeder konnte mit mir machen, was er wollte, denn ich war ja niemand, war offiziell überhaupt gar nicht auf der Welt, konnte infolgedessen auch nicht vermisst werden. Wenn mich jemand erschlug, so war kein Mord verübt worden. Denn ich fehlte nirgends. Ein Toter kann geschändet, beraubt werden, aber nicht ermordet.

Nicht zufällig teilt Gerald Gale mit dem Autor die namenlose Existenz; Traven hat also in dem Roman wahrscheinlich eigene Erlebnisse seiner abenteuerlichen Reise nach Mexiko verarbeitet. Dazu konnte bisher nicht einwandfrei ermittelt werden, wann und wo Traven Das Totenschiff zu Papier gebracht hat – in den ersten Mexiko-Monaten, im Londoner Gefängnis oder (wie Recknagel vermutete) teilweise bereits in München? Der Roman fand bei seinem Erscheinen ein breites Echo und einige Zeitschriften veröffentlichten ihn sofort in Fortsetzungen. Durch zahlreiche Übersetzungen wurde Traven über den deutschen Sprachraum hinaus mit einem Schlag berühmt. 1959 verfilmte der österreichische Regisseur Georg Tressler den Roman mit Horst Buchholz und Mario Adorf in den Hauptrollen.

Gerard Gale fungiert in dem „Roman“ –der eher eine Novelle ist – Die Brücke im Dschungel (1929) ebenfalls als Ich-Erzähler. Während eines Tanzfestes in einem kleinen indianischen Dorf mitten im mexikanischen Urwald ertrinkt ein kleiner Junge. Gale berichtet über den tragischen Unfall und auch über die Aufbahrung sowie die anschließende Beerdigung des Verunglückten. Die Handlung spielt sich in nur wenigen Stunden ab und Traven versteht es meisterhaft, den Stimmungswandel von der ausgelassenen Fröhlichkeit über die Angst und den Schmerz bis zur gemeinsamen Traurigkeit des gesamten Dorfes zu beschreiben. Daneben treffen zwei einander diametral entgegengesetzte Lebensauffassungen aufeinander: Die westliche Kultur ist längst in das Idyll der indianischen Ureinwohner eingebrochen.

Kurt Tucholsky lobte den „ruhigen Fluss“ der Novelle, in der er das bedeutendste Werk aller bis 1930 erschienenen Traven-Bücher sah: „Diese zwölf Stunden sind mit der Zeitlupe aufgenommen – welche Augen! Wie unerbittlich läuft das ab, wie farbig, wie strömend-bewegt, und mindestens alle vier Seiten eine unvergessliche Wendung, ein Bild, eine Beobachtung … das ist ein großer Epiker.“ Erich Mühsam hatte die ersten Romane Travens einer Analyse des literarischen Stils unterzogen und erkannte aufgrund sprachlicher wie inhaltlicher Ähnlichkeiten mit Texten von Ret Marut seinen ehemaligen Weggefährten wieder.

Bereits 1927 war der Roman Der Schatz in der Sierra Madre erschienen. Fasziniert von Goldgräbergeschichten begeben sich die beiden heruntergekommenen Amerikaner Dobbs und Curtin gemeinsam mit dem alten Goldsucher Howard selbst auf die Suche nach Gold in der Sierra Madre. Sie werden schnell fündig – doch schon bald vergiftet der neue Reichtum die Beziehungen der drei Goldschürfer. Habgier, Misstrauen und Zwietracht führen zur Katastrophe. Der Schatz in der Sierra Madre ist nicht einfach irgendeine abenteuerliche Geschichte; neben Schilderungen der Korrumpierbarkeit des Menschen durch Gold äußerte Traven auch antikapitalistische Gesellschaftskritik. Als Motto seines Anliegens stellte er die folgenden Zeilen an den Anfang seines Romans:

Der Schatz, den zu finden du die Mühen
einer Reise nicht für wert hältst,
das ist der echte Schatz, den zu suchen
dir dein Leben zu kurz erscheint.
Der funkelnde Schatz, den du meinst,
der liegt auf der andern Seite.

Der Schatz in der Sierra Madre wurde 1948 von John Huston (Regie und Drehbuch) verfilmt, wobei die drei Goldschürfer von Humphrey Bogart, Tim Holt und Walter Huston verkörpert wurden. Ein gewisser Hal Croves arbeitete als technischer Berater an den Dreharbeiten mit – angeblich als Vertreter Travens und mit dessen Vollmacht ausgestattet. Bis heute hält sich jedoch das Gerücht, bei diesem Croves handelte es sich in Wahrheit um Traven selbst. Nachdem der Film drei Oscars erhielt, wurde der Roman in den Vereinigten Staaten ein Bestseller und auch das Interesse an dem anonymen Autor stieg ungemein.

Nach dem Auswahlband Der Busch (1928) mit zwanzig Erzählungen und Skizzen unterschiedlicher Qualität erschien 1929 der Roman Die weiße Rose, in dem Traven mit seiner Kritik am amerikanischen Kapitalismus noch deutlicher wurde. Die „weiße Rose“ ist ein Stück Land, das schon seit Generationen einem Indianer gehört und das er mit der Gemeinschaft teilt. Geologen vermuten hier jedoch reiche Ölvorkommen, sodass die amerikanische Ölgesellschaft Condor Oil Company mit dem Präsidenten Collins an der Spitze alle Hebel in Bewegung setzt, den Indios die Farm abzujagen. Ein Hauptstrang der Geschichte ist dabei Collins‘ Aufstieg vom kleinen Versicherungsangestellten zum rücksichtslosen Ölmagnaten. Tucholsky, der von einem freundlichen Leser das „merkwürdige Buch“ zugeschickt bekam, war begeistert: „Was die Weiße Rose angeht, so ist das seit Frank Norris, dem amerikanischen viel zu früh gestorbenen Autor des Oktopus, wieder einmal eines, das in der Schilderung der Geschäfte an Balzac heranreicht.“

1930/31 erschienen in der Büchergilde die ersten beiden Bände Der Karren und Die Regierung des sechsbändigen Caoba-Zyklus (Mahagoni-Zyklus), in dem Traven die verschiedenen Stationen der mexikanischen Revolution 1910-1920 festgehalten hat. Bis 1939 folgten noch die Romane Der Marsch ins Reich der Caoba (1933), Die Troza (1933), Die Rebellion der Gehenkten (1936) und Ein General kommt aus dem Dschungel (1940). Die ersten Bände schildern vor allem die unmenschlichen Existenz- und Arbeitsbedingungen der Indios und die Brutalität ihrer Unterdrücker, während in den letzten beiden Bänden der Kampf der Caoba-Arbeiter für Gerechtigkeit und Freiheit im Mittelpunkt steht. Da sich Traven 1939 von der Büchergilde Zürich getrennt hatte, erschien Ein General kommt aus dem Dschungel zunächst in schwedischer Übersetzung im Stockholmer Verlag Axel Holmström; die deutsche Ausgabe folgte dann ein Jahr später im niederländischen Exilverlag Allert de Lange (Amsterdam).

Der Caoba-Zyklus war in Travens Schaffen ein neuer Abschnitt, indem er unmissverständlich Partei ergriff für die Unterdrückten und Ausgebeuteten sowie die sozialen Missstände schonungslos beschrieb. Dazu hatte Traven, der ab 1930 in einem kleinen Haus am Stadtrand von Acapulco wohnte, mehrfach und über Jahre hinweg (bereits seit 1926) Exkursionen nach Chiapas im äußersten Süden von Mexiko unternommen, wo alle Handlungen der Caoba-Romane verortet sind. Er wohnte teilweise bei den Indios, um ihr Elend und ihre Ausbeutung hautnah zu erleben. In Arbeitslagern (sog. Monterias) wurden sie als Holzfäller für billiges Mahagoniholz wie Sklaven gehalten, bis es schließlich zum Widerstand, zur Rebellion kommt.

Wenn der Unterdrückte und Gequälte zu fühlen beginnt, dass sein Leben dem eines Tieres so ähnlich geworden ist, dass es kaum noch ähnlicher werden könnte, dann ist die Grenze bereits überschritten, und der Mensch verliert jegliche Vernunft und handelt wie ein Tier, um seine menschliche Würde wiederzugewinnen.

In der Beschreibung dieses fast faschistischen Unterdrückungssystems finden sich auch zahlreiche Bezüge zum aufkommenden Faschismus in Europa. Travens Absicht war aber vorrangig die Auseinandersetzung mit den sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten gegenüber der indigenen Bevölkerung in Mexiko. Diesem Anliegen dienten auch die exotischen Schauplätze und abenteuerlichen Handlungen. Um das System der Diktatur besonders bildhaft zu machen, verwendete Traven unterschiedliche Erzählperspektiven – der Sicht der Unterdrückten oder der Unterdrücker entsprechend.

In Deutschland wurden Travens Bücher nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die „Schwarze Liste“ gesetzt – verboten, beschlagnahmt und verbrannt. Während des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich Travens finanzielle Lage zusehends, denn aus den meisten europäischen Verlagen wurden keine Honorare mehr überwiesen und auch die Postverbindungen waren teilweise unterbrochen. Die amerikanischen Ausgaben verkauften sich ebenfalls schlecht, da Traven darauf bestand, die Reklame für seine Bücher auf ein Minimum zu beschränken. Nicht viel besser stand es um die autorisierten spanischen Übersetzungen, die seit 1941 in Mexiko erschienen.

Mit Beginn der 1950er Jahre stieg jedoch wieder das Interesse an Traven – auch hervorgerufen durch die Verfilmungen von Der Schatz in der Sierra Madre und Die Rebellion der Gehenkten (1954). In der Presse erschienen wiederholt Artikel über den Autor. Reporter recherchierten und wollten ihn aufspüren. Traven fiel es immer schwerer, seine Anonymität aufrechtzuerhalten. 1951 ging er schließlich in die publizistische Offensive und brachte bis 1960 in zwangloser Folge die BT-Mitteilungen heraus, die an die Literaturagenturen zu Reklamezwecke verteilt wurden, ohne dass der Autor namentlich in Erscheinung trat. Sie bilden heute eine wichtige Quelle in der Traven-Forschung.

Aus den 1950er und 1960er Jahren gibt es relativ wenige Informationen über B. Traven. 1951 erhielt er die mexikanische Staatsbürgerschaft. Unter dem Namen Hal Croves heiratete er 1957 die Mexikanerin Rosa Elena Luján, die seit 1952 seine Sekretärin war, und das Paar zog nach Mexico City um. Nach Jahrzehnten der Hast und Flucht fand der alternde Schriftsteller hier endlich Geborgenheit. Die literarische Produktion in diesen Jahren bestand vorrangig aus Arbeiten an Drehbüchern zu mehreren seiner Romane, auch Schauspielfassungen, Übersetzungen und die Revidierung von Neuausgaben beanspruchten ihn. Das war gewissermaßen eine Verwaltung des Nachlasses und des Ruhmes. Neben zahlreichen mexikanischen Erzählungen entstand noch der Roman Aslan Norval (1958, nach 18 Jahren der erste Roman wieder), um dessen Echtheit eine erbitterte Diskussion entbrannte. Den vielen negativen Kritiken und Pornografie-Vorwürfen war Traven schutzlos ausgesetzt. Aus seiner Anonymität heraus konnte der Angegriffene darauf kaum reagieren.

Als Traven Anfang der 1960er Jahre sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis im Gespräch war, flammte das Interesse an dem „namenlosen Autor“ noch einmal auf. Journalisten, Philologen und Hobbydetektive versuchten, hinter das Geheimnis zu kommen, doch Travens Ehefrau, die inzwischen alleinige Eigentümerin der Rechte an seinen Büchern und für die Wahrnehmung seiner Interessen zuständig war, versuchte stets, ihn abzuschirmen. B. Traven starb am 26. März 1969. Noch im Tode wahrte er seine Anonymität, denn die Todesurkunde wurde auf „Traven Torsvan Croves“ ausgestellt. Dem eigenen Wunsch gemäß wurde seine Asche über dem indianischen Bundesstaat Chiapas verstreut, über dem Schauplatz mehrerer seiner Romane.

B. Traven war einer der meistgeIesenen Autoren im letzten Jahrhundert. In Deutschland wurde er allerdings häufig als Unterhaltungsschriftsteller abgestempelt und sein Werk mit dem Etikett der Abenteuerliteratur versehen. So findet sich sein Name kaum in einer aktuellen deutschen Literaturgeschichte. Dabei werden seine Werke bis heute verlegt und finden immer wieder eine neue Leserschaft. Travens Bücher wurden in rund 35 Sprachen übersetzt und erreichten weltweit eine geschätzte Gesamtauflage von rund 36 Millionen. In Deutschland konnten seine Bücher erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs neu aufgelegt werden. Zunächst waren es vor allem die rororo-Taschenbuchausgaben, die den deutschen Leser mit Traven vertraut machten. Von 1968 bis 1979 brachte der (Ost)Berliner Verlag Volk und Welt neun Bände von Ausgewählten Werken in Einzelausgaben (jeweils mit einem Nachwort versehen) heraus – schließlich sah die DDR-Literaturwissenschaft in Traven einen proletarischen Abenteuerschriftsteller. Bei der Büchergilde Gutenberg erschien dann von 1978 bis 1982 eine achtzehnbändige Gesamtausgabe, der sich bei Diogenes eine Werkausgabe in 16 Bänden anschloss. Damit war Traven einer der wenigen Autoren, dessen Gesamtwerk sowohl in der BRD und in der Schweiz als auch in der DDR erschienen war.

Im Vorfeld des diesjährigen 50. Todestages war die bereits erwähnte Biografie Das Phantom – Die fünf Leben des B. Traven von Jan-Christoph Hauschild erschienen. Der Literaturwissenschaftler und Publizist hatte bereits 2012 mit B. Traven – Die unbekannten Jahre eine detailreiche Teilbiografie vorgelegt, in der er der Vermutung nachging, dass hinter dem Pseudonym Ret Marut, dem späteren B. Traven, ein gewisser Otto Feige aus Schwiebus steckt. (Diese These hatte der BBC-Journalisten Will Wyatt bereits im Jahr 1974 nach sorgfältigen Recherchen aufgestellt, wobei er auch zwei jüngere Geschwister von Feige ausfindig machen konnte.) Nach weiterer Detektivarbeit in Melde- und Polizeiakten (u.a. in den Archiven mehrerer Städte im Ruhrgebiet) sowie Zeitungen konnte Hauschild nun Travens Lebensweg bis 1924 schlüssig rekonstruieren. Warum er diese neuen Erkenntnisse an das Ende seiner Biografie stellte, bleibt wohl sein Geheimnis. Wieder ein Geheimnis?! Bescheidenheit oder wollte er die Biografie als Krimi verstanden wissen, mit der Auflösung am Ende? So wird zunächst Travens Lebensabschnitt in Mexiko behandelt, dann die Münchner Zeit und schließlich die Kindheit und Jugend in Schwiebus. Die Biografie wird quasi von hinten aufgerollt, was natürlich die Lektüre etwas erschwert.

Durch die Brücke von Otto Feige zu seinem Nachfolger-Ich, dem Schauspieler und Publizisten Ret Marut, konnte Hauschild eine mögliche Antwort auf die Frage liefern: wie der Maschinenschlosser Otto Feige sich die umfangreichen Kenntnisse aneignete, über die der spätere Schriftsteller B. Traven verfügte. Obwohl Hauschild den wesentlichen Verlauf von Travens Leben mit Funden belegen konnte, ist es ihm nicht gelungen, alle Geheimnisse um das „Rätsel Traven“ zu entschlüsseln, was von einigen Rezensenten etwas vermessen („die letzten Rätsel des B. Traven gelüftet“) behauptet wird. So bleibt z.B. weiterhin die Frage offen, warum Traven das Geheimnis seiner Identitäten mit ins Grab nahm. Die Biografie macht in weiten Teilen den Eindruck eines „biografischen Romans“, der durch das Fehlen eines Quellenverzeichnisses noch verstärkt wird.

Der Sammelband Der Feuerstuhl. Werk und Wirkung des Schriftstellers B. Traven ist eine weitere Jubiläums-Hommage an den Autor. Mit den 24 Beiträgen soll das Interesse an seinem Werk geweckt werden. So geht der ehemalige Vorsitzende der B. Traven-Gesellschaft Wolf-Dietrich Schramm noch einmal der Frage nach „Wer war B. Traven?“, wobei der Münchner Lebensabschnitt und die geheimnisvolle Verwandlung Marut-Traven im Mittelpunkt seiner Betrachtung stehen. Frank Nordhausen, Mitbegründer und erster Vorsitzender der Internationalen B.Traven-Gesellschaft, setzt sich kritisch mit der Otto-Feige-Hypothese auseinander, die in den letzten Jahren als „definitiv letzte Wahrheit über B. Traven“ akzeptiert wird. Seiner Meinung nach haben Wyatt und Hauschild zwar interessante Fakten und Hinweise zusammengetragen, doch es bleiben Indizien. Einen zwingenden Beweis konnten sie nicht liefern.

Der Schriftsteller Enno Stahl untersucht anhand der Zeitschrift Der Ziegelbrenner das Weltbild Maruts während seiner Münchner Jahre. Ein einheitliches politisches Weltbild kann der Autor jedoch nicht feststellen, eher einen „seltsam kruden Anarcho-Kommunismus“. In seinem Beitrag Ich ist ein Anderer beleuchtet Johannes Zeilinger (Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft) Wahrheit und Fiktion bei den beiden Abenteuerschriftstellern Karl May und B. Traven, während die Kunstprofessorin else Gabriel sich mit der Trennung von Werk und Künstler beschäftigt und den zunehmenden Künstlerkult kritisiert. Alle Autoren des Sammelbandes geben mit ihren Texten Zeugnis davon, inwieweit Traven mit seinen Werken Leser bis heute berührt.

Vielleicht wird das „Rätsel Traven“ einmal durch ein unbezweifelbares Dokument gelüftet; vielleicht findet sich dieser finale Beweis im Traven-Nachlass in Guernavaca/Mexiko, der noch nicht umfassend und wissenschaftlich ausgewertet werden konnte. Falls nicht … so wird das „Phantom“ auch in Zukunft ein Forschungsgegenstand bleiben – immer eingedenk der Feststellung des Regisseurs John Huston: „Je mehr man über ihn erfährt, umso mysteriöser wird er.“ Na und … ist es nicht einerlei, wer hinter B. Traven steckt? Ist es nicht gerade dieses Geheimnis, das den Reiz ausmacht? Schließlich haben wir seine Werke – egal, ob da Feige, Marut, Traven, Croves oder Torsvan auf dem Cover steht.

Titelbild

Jan-Christoph Hauschild: Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven.
edition TIAMAT, Berlin 2018.
317 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783893202331

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Karsten Krampitz / Simone Barrientos (Hg.): Der Feuerstuhl. Werk und Wirkung des Schriftstellers B. Traven.
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2019.
235 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865693020

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