Gräueltaten

Chinelo Okparantas Roman „Unter den Udala Bäumen“ prangert die mörderische Homosexuellenfeindlichkeit in Nigeria an

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wurde die Literatur aus dem subsaharischen Afrika außerhalb des Kontinents lange wenig beachtet, so gewinnt sie seit einiger Zeit auch im globalen Norden zunehmend an Renommee. Das ist nicht nur, aber doch in besonderer Weise nigerianischen AutorInnen der Volksgruppe der Igbo zu verdanken. So zählte schon der 1958 erschienene und bis heute in fast 50 Sprachen übersetzte Roman Alles zerfällt des großen alten Mannes der nigerianischen Literatur Chinua Achebe zu den bedeutendsten Werken nicht nur Afrikas. Seit geraumer Zeit machen nun vor allem die Romane und Erzählungen von Chimamanda Ngozi Adichie Furore. Auch sie ist nicht nur wie Achebe eine Igbo, sondern lebte als Kind in Nsukka, im gleichen Ort wie er, ja sogar in eben dem Haus, das er zuvor bewohnt hatte. Selbstverständlich, so möchte man fast sagen, hat sie ihm in ihren Werken wiederholt die Referenz erwiesen.

Das tut auch eine weitere Igbo in ihrem Roman-Debüt Unter den Udala Bäumen. Im Zentrum des von Chinelo Okparanta im nigerianischen Englisch verfassten und nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Buches steht die Ich-Erzählerin Ijeoma, deren Name „Mögest du sicher reisen“ bedeutet. Die christliche Igbo ist zu Beginn der am 23. Juni 1968 einsetzenden Handlung „noch keine zwölf Jahre alt“. Zwar reicht die Handlungszeit des rund 350 Seiten umfassenden Romans  bis in die 1980er Jahre hinein und ein Epilog handelt sogar in den 2010ern, doch kann man Ijeoma nicht wirklich beim Erwachsenwerden zusehen. Dazu sind die Lücken in der Handlungszeit einfach zu groß. Ins Auge fällt jedoch, dass sich die Reflexionen der erwachsenen Frau noch immer auf dem Niveau derjenigen der elfjährigen bewegen, jedenfalls nicht wesentlich darüber hinausgehen. Dies ist darum wenig überzeugend, weil bereits die Elfjährige Überlegungen anstellt, die man von einem Kind dieses Alters nicht unbedingt erwarten würde, die für einen erwachsenen Menschen jedoch etwas schlicht anmuten. Warum sollte das Mädchen, das seinem Alter voraus war, in seiner Entwicklung stehengeblieben sein.

Das Datum zu Beginn des Geschehens jedenfalls hat für das Kind eine tragische Bedeutung. Denn es ist der Tag, an dem sein Vater im Biafra-Krieg ums Leben kam, weil er sich während eines Fliegerangriffs der nigerianischen Streitkräfte weigerte, sein Haus zu verlassen und im Bunker Sicherheit zu suchen.

Hatte die Familie „vor Papas Tod zur oberen Mittelschicht gehört“, so ist sie „nach seinem Tod und wegen des Krieges in die Unterschicht abgerutscht“. Ihre Mutter, zu der das präpubertierende Mädchen keine sehr herzliche, sondern fast ein etwas distanziertes Verhältnis hat, tut daher, „was Unterschichtsfamilien taten“. Sie gibt ihre Tochter als Hausmädchen an eine befreundete Lehrerfamilie in dem kleinen Ort Nnewi, wo das Mädchen die nächsten anderthalb Jahre bis Anfang 1970 leben wird. Dort lernt sie im zarten Alter von zwölf oder dreizehn Jahren Amina aus der Volksgruppe der muslimischen Hausa kennen und lieben. Zufällig entdeckt der Hausherr die homosexuelle Beziehung der beiden und Amina muss sein Haus verlassen. Ihre angesichts der sexuellen Präferenz entsetzte Mutter, die sich inzwischen in der größeren Stadt Aba eine Existenz aufgebaut hat, holt sie nun, da der Bürgerkrieg mit der Niederlage der sezessionistischen Igbo ein Ende fand, nach Hause.

Wie alle Gläubigen Nigerias ist Ijeomas Mutter überzeugt, dass Homosexualität ein „Gräuel“ sei. Daher versucht die religiöse Fanatikerin ihre Tochter mit täglichen „Bibellektionen“, die von einem naiven Gottes- und einem buchstabentreuen Bibelglauben zeugen, von ihrer Homosexualität abzubringen. Die Exerzitien sollen Ijeomas „Seele reinigen“. Zwar sind die Bibelstunden der Heranwachsenden „unangenehm“, doch ist sie selbst kaum weniger gläubig als ihre Mutter. So wird sie etwa in einer Kirche wegen ihres homosexuellen Begehrens von einem „überwältigenden Schuldgefühl“ heimgesucht und wünscht sich, Gott möge sie „auf den Weg der Rechtschaffenheit führen“. Anders als ihre wortgläubige Mutter, die kategorisch erklärt: „Alles, was in der Bibel steht, ist wahr. Wir dürfen es nicht infrage stellen“, erkennt sie jedoch, dass die Schrift mehrere Interpretationen zulässt, und manches gleichnishaft gemeint sein könnte.

Die ‚Seelenreinigung‘ gelingt nicht und Ijeoma geht eine Liebesbeziehung mit der Lehrerin Ndidi ein. Dennoch heiratet sie – nicht zuletzt aufgrund mütterlichen Drucks – einen Geschäftsmann, dem die Religion wenig gilt, da sie „im Grunde auch nur ein Geschäft“ sei.

Ijeomas lesbische Liebe zu Ndidi darf unterdessen selbstverständlich nicht bekannt werden, denn Homosexuelle sind in Nigeria damals wie heute einer ständigen Bedrohung an Leib und Leben ausgesetzt. In Okparantas Roman werden sie grausam ermordet, ihre geheimen Treffpunkte werden bei Entdeckung niedergebrannt und eine Lesbe wird auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Verantwortlich für diese Untaten ist „ein gottesfürchtiger Mob“. Menschen dieses Schlages sind es, die in dem zentralafrikanischen Land noch heute die wahren Gräuel begehen. Zudem wird Homosexualität im christlichen Teil Nigerias mit langjährigen Gefängnisstrafen geahndet, da sie unafrikanisch sei, wie der frühere nigerianische Staatschef Olusegun Obasanjo befand. In den nördlichen unter dem ‚Recht‘ der Scharia stehenden Teilen des Landes droht Homosexuellen gar, zu Tode gesteinigt zu werden.

Trotz des religiös verbrämten Homosexuellenhasses versucht der Roman letztlich Bibel und christliche Religion zu retten. Dazu bedient er sich theologischer Überlegungen der Protagonistin, die zu dem Schluss gelangt, die Lehre der Bibel besage: „Es ist wichtig das Alte zu überdenken und zu verändern, damit überholte, auch fehlerhafte Gesetze aufgehoben werden können.“ Nur so gelingt es der nach wie vor religiösen Ich-Erzählerin schließlich, ihre Homosexualität nicht mehr als Sünde wider Gottes Gebot zu sehen.

Die Homosexuellenfeindlichkeit der islamischen Religion hingegen spielt fast gar keine Rolle. Das ist allenfalls dadurch einigermaßen gerechtfertigt, dass der Roman im Südosten Nigerias spielt, der Region, in der die christlichen Igbo angesiedelt sind. Doch immerhin gilt Ijeomas erste große Liebe einer Muslimin aus dem Norden. Dies böte Möglichkeiten genug, auch die Homosexuellenfeindlichkeit dieser Religion zu thematisieren.

Nun ist das Anliegen, den mörderischen Homosexuellenhass in Nigeria anzuklagen, zweifellos ein überaus berechtigtes. Ihn allerdings alleine auf die Religion zurückzuführen, ist jedoch ebenso fragwürdig wie der Versuch, den christlichen Glauben zu rehabilitieren. Dabei ist Okparantas Erstling poetisch zudem nicht eben bedeutend. Doch welches Debüt ist das schon? Und schließlich ist es auch bereits anderen AutorInnen gelungen, die literarischen Qualitäten ihrer Werke Laufe ihrer Karriere zu steigern.

Ob aber Ijeomas Ehe von Dauer sein wird, soll hier nicht verraten werden. Die Utopie des Romans ist jedenfalls eine Welt, „in der alle Formen der Liebe erlaubt sind“.

Titelbild

Chinelo Okparanta: Unter den Udala Bäumen.
Übersetzt aus dem nigerianischen Englisch von Sonja Finck und Maria Hummitzsch.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2018.
347 Seiten, 25,80 EUR.
ISBN-13: 9783884235911

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