„Love is for unlucky folk“

Nora Gomringer und Philipp Scholz vertonen, singen und spielen Gedichte von Dorothy Parker – ein Hörvergnügen voller Geist und Witz

Von Herbert FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Herbert Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man hört sie nicht nur auf dieser CD, sondern sieht sie förmlich vor sich: an einem Tisch mit Manuskripten und Büchern sitzend, dann aufspringend und herumwandernd auf der Bühne, gestikulierend und ihren Körper im Rhythmus der Musik und der Verse wiegend. So lebendig, spielfreudig und theatralisch klingt Nora Gomringer auf der neuesten CD, die sie zusammen mit ihrem langjährigen Partner Philipp Scholz dem Publikum vorlegt. Nora Gomringer ist eine große Unterhaltungskünstlerin, die mit ihrer Vortragskunst, umrahmt und angefeuert von Jazzklängen, mühelos jüngere und ältere Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Bann ziehen kann. Wenn man einen Blick auf die zahlreichen Auftritte ihrer Tournee mit Philipp Scholz in den nächsten Monaten überall in Deutschland wirft, dann wird schnell klar, dass die beiden, die Lyrikerin und ihr Drummer, mittlerweile ein breites Publikum für ihre besondere Kunstform der „musikalischen Rezitation“ gefunden haben.

Nora Gomringer ist eine vielbeschäftigte und vielseitige Künstlerin. Sie organisiert Poetry Slams und veranstaltet Poesiefestivals in Deutschland und im Ausland. Als Dozentin arbeitet sie an verschiedenen Hochschulen. Einen großen Teil ihrer Arbeitskraft widmet sie der Leitung des renommierten Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Vor allem aber ist sie Lyrikerin. Mehrere Bände mit Gedichten hat sie in den letzten Jahren veröffentlicht, darunter Monster Poems (2013) und Moden (2017). Für ihre literarischen Arbeiten, Lyrik und Prosa, hat sie bekannte Preise erhalten. 2015 wurde sie für den Text Recherche mit dem Ingeborg Bachmann-Preis, der jährlich in Klagenfurt verliehen wird, ausgezeichnet. Der Preis hat sie einem breiten Publikum bekannt gemacht.

Gomringer arbeitet in ihren Performances immer wieder mit unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Das lassen auch ihre Lyrikveröffentlichungen erkennen. Ihr Gedichtband Moden beispielsweise wurde von dem Illustrator Reimar Limmer mit wunderbar witzigen, ironisch-verspielten und grotesk-satirischen Zeichnungen ausgestattet, die Gomringers Gedichte bildlich weiterführen und sicherlich auch die Lyrikerin zu besonderen Wortschöpfungen inspiriert haben dürften.

Seit mehreren Jahren besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen Gomringer und dem Jazz-Drummer Philipp Scholz. Auf der CD Peng Peng Peng hat er bereits die rhythmischen Linien der Rezitationen vorgegeben und die Rezitatorin akustisch-musikalisch begleitet. Ähnlich wichtig ist Scholz für die Gesamtwirkung der neuen CD mit dem Titel Peng Peng Parker. Seine musikalische Begleitung, einmal dezent im Hintergrund, dann wieder prononciert und deutlich, gestaltet den Vortrag im wahrsten Sinne des Wortes mit. Beiden zusammen kommt das Verdienst zu, sowohl den Literaturinteressierten wie auch den Jazzliebhaber mit ihrer Performance anzusprechen und zu begeistern.

Bevor man die CD anhört, sollte man – eine Empfehlung, kein Muss! – im beigefügten Textheft, das alle Gedichte der „Lesung“ enthält, blättern und sich ein wenig mit den Texten beschäftigen. Sie verdienen besondere Aufmerksamkeit. Gomringer und Scholz haben ausschließlich Gedichte von Dorothy Parker ausgewählt. Sie drucken sowohl die englische Originalversion wie auch die gelungene Übersetzung von Ulrich Blumenbach ab. Dorothy Parker (1893–1967) war eine amerikanische Lyrikerin und Erzählerin, die mit ihren Kurzgeschichten seinerzeit in Amerika populär war. Viele ihrer Texte erschienen in The New Yorker, dem weltmännisch offenen intellektuellen Magazin mit Literatur, Cartoons, Satire und Kritiken. Zahlreiche berühmte Namen sind unter den Autorinnen und Autoren, die für den New Yorker Kurzgeschichten geschrieben haben. Dorothy Parker war eine von ihnen.

Schon nach der Lektüre weniger Verse von Parker erkennt man die Motive und Themen, um die herum die Rezitatorin und ihr Musiker die insgesamt 17 Gedichte gruppiert haben. Es sind enttäuschte Liebe und Herzeleid, Treulosigkeit, Leichtlebigkeit und die Überheblichkeit der Männer, aber auch die Reaktionen der Frauen auf die unehrlichen Treueschwüre, ihre trotzige Selbstsicherheit und ihr beißender Spott über das „starke“ Geschlecht sowie eine gehörige Portion Selbstironie. Dorothy Parker steht für ihre Themen und Motive eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung: Spott, Ironie, befreiendes Lachen, über andere und über sich selbst, Witz und Komik, aber auch Sarkasmus und Selbstkritik. In vielen Versen und sprachlichen Wendungen blitzt das literarische Talent der amerikanischen Schriftstellerin auf. Sie zeigen sie darüber hinaus als eine Frau, die bereits vor 100 Jahren frei und unabhängig von allen Geschlechterkonventionen gelebt und diese Unabhängigkeit auch in ihrem öffentlichen Auftreten demonstriert hat. Eine lässig-modern gekleidete Frau mit einer Zigarette im Mundwinkel und dem Weinglas in der Hand, so könnte man sich Dorothy Parker vielleicht vorstellen und so passte sie auch in die jazzigen 20er und 30er Jahre des Amerika des letzten Jahrhunderts. Die Gedichte weisen sie als eine scharfzüngige Feministin aus, die sich für Frauenrechte eingesetzt und dafür politisch gekämpft hat – und bereit war, für diesen Kampf Kritik und Häme zu ertragen. Die Gedichte passen von ihrem Ton und von ihrer Haltung her gut in ein liberales Großstadtmagazin wie das des New Yorker.

Nora Gomringer trifft den typischen Dorothy Parker-Ton aus Nonchalance und beißendem, auch sarkastischem Humor genau. Einige Texte rezitiert sie, begleitet von den Jazzklängen eines Klaviers oder den Rhythmen, die Philipp Scholz auf seinem Instrument erzeugt. Andere singt sie; manchmal ist es eine Mischung aus Gesang und Rezitation; einmal haucht sie die Worte nur, lässt sie leise ausklingen, dann wieder trägt sie sie mit kräftiger Stimme vor, „schauspielert“ sie regelrecht. Die Nummern auf der CD sind so arrangiert, dass ein ständiger Wechsel zwischen mehr vorgetragenen und mehr gesungenen Texten stattfindet.

In den meisten Songs geht es um die Untreue der Männer und die Opferrolle der Frauen. Die Pointe steht oft am Ende einer Strophe oder am Ende des Songs. Gomringer und Scholz arbeiten diese „spitzen“ Verse in ihrer musikalischen Aufbereitung wirkungsvoll heraus. So lautet die Pointe im Song Men, in dem es um die Bevormundung der Frauen durch Männer geht: „They make me sick, they make me tired“. Durch den Vortrag und die Drums wird diese Zeile akzentuiert. Übrigens geschieht das auch durch die deutsche Übersetzung, in der es heißt: „Sie machen krank, sie können mich mal.“ Und in dem Song mit dem ironischen Titel Folk Tune lauten die spöttischen Schlusszeilen: „Why, ah why, then should I love you? / Naturally, I do not“. Es ist das Ergebnis eines Vergleichs des eigenen Freundes mit den Eigenschaften anderer Männer. „Geh mit Gott“, heißt es in der deutschen Übersetzung. Diese Zeile ist alles andere als wörtlich gemeint.

Der Titel Frustration war bereits auf der CD Peng Peng Peng von 2016 enthalten und sorgt für eine Verbindung zwischen den beiden Veröffentlichungen. Der sarkastische Song handelt von dem Wunsch, allen, die „mich stör’n“, eine Kugel in den Kopf zu jagen und gipfelt in den Zeilen der Schlussstrophe:

Leider hab ich keine Waffen,
Kann mir keinen Spaß verschaffen.
Und so lebt noch unversehrt,
Was längst in die Hölle gehört.

Gomringer kann in vielen Songs ihre enorme Vortragskunst entfalten. Besonders eindrucksvoll gelingt ihr das in dem Text Verse For A Certain Dog. Hier wird die Rezitation zu einem bunten „szenischen Spiel“, das zwischen Bewunderung für den Hund und Verzweiflung über die weniger angenehmen Seiten seines Hundeverhaltens hin- und herspringt.

Was die CD über den gelungenen musikalischen Vortrag der einzelnen Dorothy Parker-Texte hinaus hörenswert macht, ist die Bandbreite der Gefühle, die die Lyrikerin und ihr Drummer entfachen und mit denen sie in einzelnen Songs spielen. Ironie und Sarkasmus überwiegen zwar, treffen aber nicht für alle Texte und Lieder zu. Mehrere Songs werden von einer melancholischen, desillusionierten, fast traurig in sich gekehrten Stimmung getragen.

Das erste Lied zum Beispiel wird von einer solchen nachdenklichen Haltung des Ich bestimmt. Es trägt den Titel A Very Short Song. Die erste Strophe lautet:

Once, when I was young and true,
Someone left me sad –
Broke my brittle heart in two;
And that is very bad.

Gomringer singt jeweils eine Strophe auf Englisch, dann in deutscher Übersetzung. So ähnlich verfährt sie übrigens mit allen Liedern der CD: Immer werden beide Versionen vorgetragen. Das Eingangslied ist eine Rezitation, die die Struktur aus Hebungen und Senkungen der Silben stark betont und damit ein ungewöhnliches Sprachgebilde schafft. Scholz begleitet Gomringers Vortrag mit leichten Trommelgeräuschen, die aus einem Hintergrund heraus ihre Wirkung erzielen. Die raffinierte Einfachheit des Vortrags bleibt damit gewahrt, wird dadurch sogar unterstützt. Die Verse „Someone left me sad“ oder „Love is for unlucky folk“ oder – die Sprecherin sieht sich nicht nur als „Opfer“ – „Once there was a heart I broke; / And that, I think, is worse“ bleiben im Ohr des Zuhörers haften.

Ein anderer Text zählt die Möglichkeiten auf, die es gibt, sich selbst umzubringen, und gleichzeitig die Gründe, warum es sich nicht lohnt. Denn „Razors pain you; Rivers are damp“ heißt es da unter anderem. In der Schlusszeile wird eigentlich ein verzweifeltes Résumé gezogen: „You might as well live“. Gomringer wird bei diesem Song von einer Jazzmelodie auf dem Klavier begleitet. Der Text kann auch autobiografisch gelesen werden: Dorothy Parker hat einmal versucht, sich das Leben zu nehmen.

Die CD endet allerdings nicht mit diesen eher düsteren Stimmungstönen. Der letzte Song trägt den Titel Kommentar und darf wohl auch wörtlich so verstanden werden: als eine Art Zusammenfassung der Männer-Frauen-Beziehungen, wie Dorothy Parker sie sieht und wie Gomringer und Scholz versucht haben, sie in Musik zu „übersetzen“ und darzubieten. Der Songtext lautet:

Ein Lied ist das Leben, es singt und es klingt,
Ein Medley aus Improvisina;
Und Liebe ist etwas, das immer gelingt,
Und ich bin der Kaiser von China.

Der überaus ironische, vielleicht sogar leicht sarkastische Ton in diesen Zeilen ist nicht zu überhören. Gomringer verstärkt ihn durch die Art, wie sie die Wörter „Liebe“ und „Kaiser in China“ in ihren Vortrag spricht und dehnt.

Peng Peng Parker ist eine CD, die neugierig macht auf die beiden Künstler; sie weckt den Wunsch, sie live zu erleben. Solange das nicht möglich ist, ist die CD ein guter Ersatz, mit intelligenten, unterhaltsamen Texten, die von zwei echten Profis in tolle Vortragsnummern mit Jazzmusik „umgeschrieben“ wurden. Die Hörer lernen eine amerikanische Lyrikerin kennen, deren Texte auch heute noch, viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, so aktuell wie ehemals sind: Sie enthalten komische und bittere Wahrheiten sowohl über Männer als auch über Frauen, sind unterhaltsam und immer wieder irritierend. Der freie New Yorker Geist der 20er und 30er Jahre wird übrigens auch auf dem gelungenen Coverbild der CD, das von Eva Revolver gestaltet wurde, lebendig.

Titelbild

Nora Gomringer / Philipp Scholz: Peng Peng Parker.
Verlag Voland & Quist, Dresden 2019.
1 CD + 1 Booklet,
ISBN-13: 9783863912215

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