Die Tür in eine andere Welt

In seinem Roman „Exit West“ bedient sich Mohsin Hamad der Mittel des Magischen Realismus um eine aktuelle, hochpolitische Geschichte zu erzählen

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wäre das nicht wunderbar, wenn man überall auf der Welt vor Elend und Krieg fliehen könnte, indem man nur durch eine magische Tür treten müsste, die an einen zuvor unbekannten, aber definitiv sicheren Ort auf dieser Welt führt? Oder wäre das, für die Menschen an diesen sicheren Orten letztlich eine katastrophale Vorstellung, da die humanitären Krisen sich verlagern würden, in ihre Heimat? Würde sich dann nicht das Gleichgewicht der Welt verändern?

Dieser, dem lateinamerikanischen Magischen Realismus würdigen, Frage geht Moshin Hamids Roman Exit West nach. Er handelt von einem jungen Liebespaar, Nadia und Saeed, die in einem nicht genannten Land vor einem ihre Leben zusehends zerstörenden Bürgerkrieg fliehen wollen. Der erste Teil des Romans spielt in jenem Land, das im Grunde nur Syrien sein kann, und ist bedrückend und aufmunternd zugleich. Denn Hamid gelingt es, in all dem alltäglichen Schrecken den Alltag der Menschen und ihre Liebe und Fürsorge füreinander in den Mittelpunkt zu stellen, sodass Schrecken und Hoffnung sich ergänzen.

Eines Tages erfahren die beiden Protagonisten von jenen magischen Türen, durch die man für einen sehr hohen Geldbetrag von einem Schleuser geschickt wird. Die Reise ist beschwerlicher als es klingt. Erstens, weil man zu jenen geheimen Orten geleitet werden muss, an denen sich die Türen befinden, zweitens aber, weil es mit dem Hindurchgehen nicht getan ist: Irgendetwas geschieht mit einem in diesen wenigen Sekunden, man fühlt sich erschöpft, hoffnungslos, desorientiert. Doch ist man erst mal in der neuen Heimat angekommen, nimmt man die Herausforderung, herauszufinden, wo man sich befindet, und sich an die dortigen Bedingungen zu akklimatisieren, dankbar an.

Man wird jedoch nicht mit offenen Armen empfangen. Auch jenseits der Türen warten Flüchtlingslager, wie am ersten Zielort, der vermutlich Griechenland ist (Ländernamen werden auch weiter nicht genannt), wo die gutgläubigen Flüchtlinge von einem Landsmann erst einmal um ihr Geld geprellt, dann aber von einer netten einheimischen Krankenschwester umsonst durch eine weitere Tür geschleust werden, die sie dann in ein dystopisches Post-Brexit-England führt. Dort erfahren der Leser wie auch die Protagonisten selbst nur wenig von den chaotischen Zuständen, die das Land bestimmen, und auf die immer wieder Bezug genommen wird. Verzweifelt versucht Großbritannien, gerade mit Hilfe des unkontrollierten Flüchtlingsstroms, der eigenen Probleme Herr zu werden, indem schnelle Integrationsmaßnahmen mit Aussichten auf eine vollständige Eingliederung in die Gesellschaft getroffen werden. Diese ergreifen auch Nadia und Saeed mit großer Begeisterung, doch bald werden sie sich des unzähmbaren Chaos bewusst, das das Land tatsächlich erfasst hat, und suchen die nächste Tür.

Natürlich ist Exit West eine recht simpel gestrickte Parabel zur derzeitigen weltweiten Flüchtlingssituation und dem Brexit. Das magische Element – die Türen – geben dem Roman jedoch eine gewisse Leichtigkeit, weil es als Metapher sehr gut funktioniert und rein erzähltechnisch der Handlung mehr Raum gibt sich zu entfalten. Ein simpler, aber effektiver Trick, wie ihn auch schon der Roman, der Hamid bekannt machte, The Reluctant Fundamentalist, verwendete. Andererseits kann man diese Durchschaubarkeit, die oft und schnell zu Klischees führt, auch durchaus kritisieren. Doch dass der Roman sich nicht auf seine politische Botschaft beschränkt, sondern im letzten Viertel plötzlich anfängt, eine ganz andere, persönliche Geschichte zu erzählen, macht ihn absolut lesenswert. Indem nämlich Hamid den Fokus vom Politischen zum Persönlichen so gekonnt verschiebt, zeigt er gleichzeitig auf, dass sich Flüchtlingsbewegungen nicht auf Zahlen und Fakten herunterbrechen lassen, sondern dass es hier um das Schicksal von Individuen geht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Mohsin Hamid: Exit West.
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Köpfer.
DuMont Buchverlag, Köln 2017.
224 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783832198688

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