No country is an island

Im Schwerpunkt der April-Ausgabe von literaturkritik.de geht es um die literarische Verarbeitung des Brexit, die sogenannte BrexLit

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

2016, kurz nach dem Referendum zum Verbleib Großbritanniens in der EU, kommentierte die britische Künstlerin PJ Harvey das Ergebnis der Abstimmung mit John Donnes Gedicht No Man Is an Island von 1624. Darin heißt es unter anderem: „Each is a piece of the continent, / A part of the main. / If a clod be washed away by the sea, / Europe is the less.” Der Klumpen – in diesem Fall Großbritannien – wird durch den Brexit in der Realität zwar nicht vom Meer weggespült, so extrem sind die Folgen des Klimawandels gegenwärtig dann doch noch nicht, aber im übertragenen Sinn ist das gar nicht so weit hergeholt. Durch den bevorstehenden Brexit – wann und wie dieser geschieht, ob mit Deal oder ohne, ob „hart“ oder „weich“, steht seit Monaten in den Sternen – entfernt sich Großbritannien nicht nur von Europa, sondern auch die Kluft innerhalb der britischen Bevölkerung ist gewachsen. Vergleichbar scheint die Spaltung zwischen Brexit-Befürwortern und Gegnern sowie deren Auswirkung lediglich mit der Wahl Donald Trumps in den USA zu sein. Während dieser seit einiger Zeit den Bau einer Mauer plant, um sein Land von Mexiko abzugrenzen, ist das in geografischer Hinsicht aufgrund der Insellage Großbritanniens gar nicht notwendig, lässt man Nordirland einmal außen vor. Die Folgen des Referendums und der Trump-Wahl jedoch ähneln sich auffallend in struktureller Hinsicht. Nicht von ungefähr spielt in John Lancasters dystopischem Brexit-Roman die Mauer eine prominente Rolle. Während vor 30 Jahren eine Mauer Löcher bekam, werden andernorts wieder welche hochgezogen – ob reale oder metaphorische. Vielleicht hätte man die Brexit-Befürworter vor dem Referendum besser John Donnes Gedicht lesen lassen, in dem es heißt: „No man is an island“ – auf Großbritannien gewendet: „No country is an island“.

Im Schwerpunkt der April-Ausgabe, den die Komparatistik-Redaktion in Mainz verantwortet, geht es, wie oben schon deutlich wird, nicht nur um den Brexit als politisches Faktum, sondern um dessen literarische Verarbeitung. So entstanden nach dem Referendum zahlreiche literarische Texte, die sich mit dem Brexit auseinandersetzen; doch auch schon einige Jahre vorher wurde der Austritt Großbritanniens aus der EU fiktional imaginiert, wie Wolfgang Funk in seinem Essay am Beispiel von Julian Barnesʼ Roman England, England zeigt. Und dass Fiktion und Realität nicht weit auseinanderliegen müssen, zeigen die bisherigen Entwicklungen im Brexit-Streit. Vor allem bei einigen von Theresa Mays Auftritten im britischen Parlament wähnt man sich zuweilen im falschen Film. Fest steht, dass uns der Brexit wohl noch einige Zeit beschäftigen wird, sei es in der Realität oder in der Fiktion.

Des Weiteren werfen wir in der April-Ausgabe noch einmal einen Blick auf die Revolution von 1918/19 und die Münchner Räterepublik, die vor 100 Jahren ausgerufen wurde und an der zahlreiche Autoren maßgeblich beteiligt waren, und erinnern in den „Gedenktagen“ an so manchen fast vergessenen Dichter.

Vielen Dank allen, die zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen haben!

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Stefan Jäger