Natürliche Verbündete?

Über zwei philosophische Bücher zum Thema Antinatalismus und ein feministisches Manifest für ein kinderfreies Leben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die An- – oder wie manche sagen würden – die Einsicht, dass es besser sei, nicht geboren zu werden, wurde bereits in der Antike vertreten. Ausgerechnet Silen wurde sie zugeschrieben, dem Mundschenk des sinnenfreudigen Gottes Dionysos. Seither wurde sie über die Jahrtausende hinweg immer wieder von einigen Menschen geteilt, mögen sie auch stets eine verschwindend kleine Minderheit gewesen sein. Heute ist die prokreationskritische Haltung unter dem Begriff Antinatalismus bekannt.

Karim Akerma, der sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Wunsch, nicht geboren worden zu sein, befasst und Ende des letzten Jahrhunderts zwei Bücher vorlegte, die die Frage stellen, ob die Menschheit weiter existieren oder ob sie besser „verebben“ solle, hat nun ein umfangreiches, wenn auch nicht erschöpfendes Handbuch zum Thema veröffentlicht. So räumt der Autor selbst ein, dass sein neustes Werk „in mancherlei Hinsicht alles andere als fertig“ ist.

Der fast 740 Seiten umfassende Band Antinatalismus nähert sich seinem Gegenstand keineswegs neutral, sondern „dokumentiert und erörtert die Einsicht in das Nichtseinmüssen von Menschen als einen Gewinn von Freiheit gegen biosozionome Vorgaben“. Damit verfolgt er „die ethische Absicht, fortzeugungswillige Leser davon zu überzeugen, dass es besser ist, nicht so zu handeln, dass neue Menschen entstehen“. Menschen, die Akermas „antinatalistische Haltung“ bereits teilen, möchte der Autor in ihrer Überzeugung „bestärken“. Damit das gelingt, wartet das Handbuch mit einer „Vielzahl von Argumenten, Neologismen und Stellungnahmen zur Natalität aus Jahrtausenden“ auf.

Als „Fernziel“ der von ihm propagierten „natalen Enthaltsamkeit“ strebt der Antinatalismus „das Aussterben der Menschheit“ an. Und zwar nicht etwa aus Misanthropie, sondern ganz im Gegenteil aus philanthropischen Gründen. Seine universale Maxime in der von Akerma vertretenen Variante lautet: „Hilf allen existierenden Lebewesen so gut du kannst und argumentiere dahingehend, dass keine neuen Lebewesen zu existieren beginnen“. Dass die beiden Teile dieser Maxime in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten können und wie es zu lösen ist, wird allerdings nicht eingehender erörtert.

Wie Akerma etwas unscharf formuliert, treten AntinatalistInnen für „das Recht der Kinder auf Nichtexistenz“ ein. Dem naheliegende Argument, es gelte die Welt lebenswert zu gestalten, statt auf Nachkommen zu verzichten, hält er entgegen, „dass die Welt zunächst kindergerecht (und menschengerecht) gemacht werden müsste, bevor es moralisch vertretbar sein könnte, so zu handeln, dass weitere Kinder zu existieren beginnen.“ Gegen die merkwürdige Vorstellung, Glück und Leid ließen sich gegeneinander aufrechnen und falls das Glück überwiege, seien Welt und Dasein gerechtfertigt, verweist der Autor auf die „Inkompensierbarkeit des Leids“. Ein Gedanke, der ähnlich bereits bei Cusano auftaucht, dem die ganze Schöpfung angesichts der Träne eines einzigen unschuldigen Kindes als sinnlos galt. Da nun aber Dasein ohne Leiden nicht denkbar ist, wäre auch die beste aller möglichen Welten besser nicht. Wäre hingegen ein Dasein ohne Leid denkbar, „hätte der Antinatalismus einen Teil seines moralischen Impetus und seiner Daseinsberechtigung verloren“, wie Akerma einräumt.

Dass es besser sei, nicht geboren zu werden, gilt dem Autor zufolge nun nicht allein für Menschen, sondern für alle „leidfähige Wesen“. Daher sollten Menschen nicht nur auf Fortpflanzung verzichten, sondern auch so handeln, „dass kein weiteres leidfähiges Tier zu existieren beginnt“. Ein solcher „universaler“ oder „humanistischer Antinatalismus“, der alle leidfähigen Wesen berücksichtigt, stehe dem „ethischen Vegetarismus“ nahe.

Etwa zur gleichen Zeit wie Akernas Handbuch kam ein schmales Bändchen auf den Markt, das ein Novize in Sachen Antinatalismus verfasst hat. Es handelt sich um die überarbeitete Magisterarbeit von Günther R. Eberhard. Sie erschien ebenfalls unter dem schlichten Titel Antinatalismus und verspricht zu erklären, „warum es immer schlecht ist empfindungsfähige Wesen zu erschaffen“. Ihren Ursprung als universitäre Qualifikationsarbeit zum Magister kann Eberhards Publikation nicht verleugnen. Er schlägt sich nicht zuletzt in der Diktion, dem etwas bemühten Aufbau sowie in der dürftigen Literaturliste nieder.

Ähnlich wie Akerma vertritt Eberhard die These, „dass jede Erzeugung empfindungsfähiger Wesen als unmoralisch angesehen werden muss“. Zu ihrer Verteidigung referiert er verschiedene antinatalistische Argumentationsstränge und die jeweiligen Gegenargumente, um beide anschließend, wiederum unter Rückgriff auf einschlägige AutorInnen, gegeneinander abzuwägen. Dabei zeigt er sich von „keinem der Einwände gegen die Auffassung, Prokreation sei unmoralisch“, überzeugt. Vielmehr konnten die pronatalistischen KritikerInnen Eberhard zufolge, die „Argumente, die dafür sprechen, Leid zu vermeiden, indem man empfindungsfähiges Leben vermeidet“, nicht entkräften. Das ist eine von mehreren Stellen, an denen der Autor unsauber formuliert. Denn gemeint ist offenbar „indem man vermeidet, selbst empfindungsfähiges Leben selbst zu schaffen“. Eberhards Formulierung würde hingegen auch Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen gutheißen.

Manche der erörterten Sachverhalte legt Eberhard in ganz einfachen Worten dar. Das führt zwar gelegentlich zu Verkürzungen, doch sind diese in aller Regel tragbar. Das menschliche Vermögen der Vernunft lässt sich allerdings nicht auf ein bloßes „Werkzeug der klugen Wahl“ zurechtstutzen. Unglücklich gewählt ist der von Eberhard verwendete Ausdruck „lebensunwertes Leben“. Auch wenn er ihn dahingehend definiert, dass der jeweilige Mensch, und nur er, selbst darüber zu entscheiden hat, ob ihm sein Leben lebenswert ist, sollte ein historisch derart belasteter Begriff doch tunlichst vermieden werden. Andere seiner Wendungen sind nicht nur aus der Zeit gefallen sondern schlichtweg unhaltbar. So etwa seine Rede von einem angeblichen „moralischen Instinkt“ der Menschen: Nicht nur weil er auf das von Seiten der Verhaltensbiologie weitgehend ad acta gelegten Konzept eines (tierischen) Instinktes rekurriert, sondern auch, weil es sich bei dem Topos um ein Oxymoron handelt.

Während Eberhard Einblicke in einige der wichtigsten Argumente von AntinatalistInnen vor allem der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit bietet, enthält Akermas Handbuch darüber hinaus zahllose Informationen über nicht selten scheinbar abseitige und oft überraschende Stellungnahmen, Meinungen und Argumenten bekannter wie unbekannter AutorInnen bis in die Antike hinein.

Der Aufbau des ausgesprochen heterogenen Handbuches ist lexikalisch. Stichworte und Namen für das Thema relevanter Persönlichkeiten sind alphabetisch geordnet. Sowohl die Sacheinträge wie auch diejenigen zu Personen sind zumeist weiter untergliedert und enthalten etliche Unterartikel, in denen entweder bestimmte Aspekte behandelt oder Stellungnahmen zum jeweiligen Thema vorgestellt und erörtert werden. Da etliche der AutorInnen zu verschiedenen Themen etwas zu sagen hatten und unter entsprechend vielen Stichwörtern zu Wort kommen, wäre ein Personenverzeichnis mehr als wünschenswert gewesen, zumal nicht alle Namensnennungen aus dem nicht weniger als 60 Seiten umfassenden Inhaltsverzeichnis ersichtlich sind. Immerhin zeigen Querverweise unter den jeweiligen Artikel sachverwandte oder weiterführende Stichworte an.

Die Einträge selbst sind in aller Regel sehr kurz gehalten. So etwa die Lemmata „Aussterbepflicht“, „Bioaxionomische Urschicht“, „Daseinsrenitenz“ oder „Lebenslüge Geburtstag“. Oft bieten sie eine knappe, nur mehrere Zeilen umfassende Erläuterung sowie Stellungnahmen von AutorInnen in Zitatform.

Im Eintrag zu Theodor W. Adorno erfährt man über den Mitbegründer der Kritischen Theorie, dass er „als Theoretiker von Verblendungszusammenhängen und der gescheiterten Zivilisation […] öfter im Vorhof des Antinatalismus denkt, ohne je zu ihm vorzustoßen“. Hannah Arendt wiederum wird als „Mutter der Natalität (Gebürtlichkeit)“ vorgestellt und Johann Gottlieb Fichte erhält als Vertreter des „staatsnützigen Pronatalismus“ einen eigenen Eintrag. Neben solch geläufigen Namen werden auch AntinatalistInnen vorgestellt, die weniger bekannt sind, wie etwa Philippe Belotte, der unter dem Pseudonym Annaba schreibt. Andere Einträge gelten Persönlichkeiten, von denen wohl nur wenige wussten, dass sie sich zu antinatalistischen Fragen äußerten wie etwa Frédéric Chopin.

Selbstverständlich bietet das Handbuch zahlreiche zu erwartende Einträge. So sind die Theodizee und der Utilitarismus mit jeweils eigenen Lemmata vertreten. Allerdings sind die nicht zu erwartenden Einträge weit zahlreicher. Das hängt damit zusammen, dass die Themen und Sachverhalte über die sie jeweils informieren, ganz unbekannt sind. So etwa das Lemma „Tierliche Niegewesenseinswünsche“, über die man erfährt, dass es sich um „lavierte menschliche Niegewesenseinswünsche“ und deren „Projektionen“ handelt, oder der Eintrag „Heimvorteil des Daseins“, der darin bestehe, dass es den Menschen schwer falle, „auch nur den Gedanken zu fassen, dass es besser gewesen sein könnte, niemals entstanden zu sein“. Auch den Eintrag zur „Tragödie der Frau“ hätte man nicht unbedingt erwartet. Sie sei eine biologische, lässt sich dort lesen, und könne nur durch Kinderlosigkeit überwunden werden.

Trotz zahlreicher meist kompliziert anmutender Neologismen sind die Einträge aufgrund der stets klaren Argumentation des Autors beinahe ausnahmslos allgemeinverständlich. Nie sind sie dunkel formuliert, nie nebulös. Zuweilen aber durchaus provokant wie etwa der Untereintrag „Abtreibung als Fluchthilfe“ .

Bestimmte Wendungen wie etwa „O wäre ich doch abgetrieben worden“ werden ebenfalls mit einem eigenen Lemma gewürdigt. Titel wie dieser und manch anderer Einträge klingen wenig ernsthaft. Dies trifft etwa auch auf den „Beipackzettel zu möglichen Nebenwirkungen der bitteren Pille ‚Leben‘“ zu. Bei wiederum anderen ist der gesamte Inhalt eher aphoristischer Natur, darum aber nicht unbedingt falsch. So gibt etwa der Eintrag „Daseinsantritt, Eintritt ins Dasein“ die knappe Auskunft: „Wir treten weniger ins Dasein oder unser Dasein an, als dass wir ins Dasein getreten werden.“ Derlei ist allenfalls belustigend. Wirklich instruktiv sind hingegen die ausführlichen Lemmata. So etwa der Eintrag über „Damnatoren“, bei denen es sich um „humanistisch reflektierte und neganthropisch informierte Träger von Kultur und Wissenschaft“ handelt, „die ruhigen Gewissens dazu auffordern weitere Menschen einem ungewissen Schicksal und dem gewissen Sterbenmüssen auszuliefern“.

Auch der Antinatalismus selbst hat ein eigenes Lemma bekommen. Es beginnt mit einer Kritik des Begriffes selbst, da er eigentlich „Wider die Geburt“ bedeutet. „Was der Antinatalist jedoch erreichen möchte“, erläutert Akerma, „ist in erster Linie, dass keine weiteren Menschen zu existieren beginnen“. Das Ziel ist also, dass sie weder gezeugt, noch geklont oder durch sonstige bio-technische Hilfsmittel ins Leben gerufen werden, ließe sich präzisieren.

Fraglos ist Akermas Antinatalismus-Handbuch sehr informativ und bestens geeignet sich mit dem vielfältigen Gedankengut des Antinatalismus vertraut zu machen. Doch erweckt die Auswahl der Lemmata vielfach den Eindruck der Beliebigkeit und der Zufälligkeit.

Dass ein derartiges Mammutunternehmen, noch dazu im Alleingang nicht ganz ohne Schwächen und Fehler gelingen kann, versteht sich. So ist in der Anordnung der Lemmata von „Kinderlosigkeitsdank“ bis „Kindheitsblindheit“ einiges durcheinander geraten. Neben solchen formalen Fehlern lässt sich auch inhaltliche Kritik üben. Im Anschluss an A. W. Nemilow verwechselt Akerma etwa Frauen mit Müttern, wenn er schreibt: „Frauen sind einerseits – freiwillige Komplizinnen oder zwangsverpflichtete Beihelferinnen – des Diktats der Geburt, zugleich aber unterliegen sie (in weit höherem Maß als der Mann) dem Diktat des Menschen, dessen Existenz sie beginnen lassen: des Embryos“. Und dass Akerma Franziska zu Reventlow den Feministinnen zurechnet, wird er wohl schwerlich begründen können.

Apropos Feminismus: „Antinatalistische Schübe“ sind Akerma zufolge der Säkularisierung, dem „metaphysischen Denken Schopenhauers und Eduard von Hartmanns“, dem Nihilismus, und – für viele vielleicht überraschend – dem Feminismus zu verdanken. Denn „der Kampf der Frauen um Selbstbestimmung eröffnet“ Akerma zufolge „ein antinatalistische Potential“. So bekommt nicht nur Hedwig Dohm einen eigenen Eintrag und erhält in etlichen weiteren das Wort, sondern auch eine ganze Reihe andere Feministinnen wie etwa Rosa Mayreder, die als „scharfsinnige Vertreterin des Feminantinatalismus“ gewürdigt wird. Selbst ein von Akerma „in Anlehnung an das aus der Elektrizitätslehre bekannte ‚Ohmsche Gesetz‘“ nach Dohm benanntes „Dohmsches Gesetz“ findet sich in dem Handbuch als Lemma wieder. Es besagt, dass „die in der Mutterschaft aufgewendeten Energien […] regelmäßig von der Widerständigkeit des Daseins absorbiert werden, das Kind […] hinter den Erwartungen zurückbleibt, die Hoffnung auf ein neues Leben im Zeichen des tendenziell nestflüchtigen Kindes […] sich als trügerisch erweist.“

Da sich im Feminismus „die Einsicht Bahn bricht, dass Frauen nicht naturgesetzlich bestimmt sind, Kinder zu gebären“, ist er Akerma zufolge sogar „von Haus aus ein Verbündeter des Antinatalismus“. Diese Behauptung berücksichtigt zwar nicht die Mutterschaftsseligkeit des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900 oder die Vorstellungen des 1987 veröffentlichten feministischen Müttermanifests. Ganz abwegig ist sie allerdings nicht. Im Gegenteil: So hat Akerma etwa einen „Grundsatz des feministischen Antinatalismus“ ausfindig gemacht, der aus der Feder der Radikalfeministin Helene von Druskowitz stammt: „Bei der Wahrnehmung des höheren Lebensgesetzes wird ihnen [den Frauen] zugleich auch die höhere Bestimmung vollkommen klar werden, die darin besteht, dass sie als Führerinnen in den Tod erscheinen, indem sie das Endesende vorbereiten. Dieses wird sodann das Ideal werden und an die Stelle eines Ideals ohne Ziel und Ende treten“.

Auch erschien jüngst einmal mehr ein dezidiert feministisches Buch, das sich gegen einen, wenn nicht den „wirkungsmächtigsten und ältesten patriarchalen Imperativ“ wendet, wie es dort heißt. Er besage, Frauen sollten Mütter werden. Die Verfasserin Verena Brunschweiger ermutigt Frauen, die keine Kinder wollen, nachdrücklich, sich diesen Wunsch zu erfüllen, denn es sei „eine deutlich ‚feministischere‘ Entscheidung, sich der Fortpflanzung zu verweigern“. Im Zentrum ihres zwar etwas unstrukturierten, aber überzeugend argumentierenden Manifests mit dem Titel Kinderfrei statt kinderlos stehen Frauen, „die sich absichtlich nach reiflicher Überlegung und aus völlig freien Stücken gegen die Reproduktion entscheiden“. Denn die Entscheidung ob Kinder oder keine sei „in Wahrheit eine existenzielle feministische Frage, eine echte strukturelle Herausforderung und vielleicht sogar die Zukunftsfrage schlechthin“. Daher propagiert die Autorin „das progressive Ideal der kinderfreien Frau aus den 70er- und 80er-Jahren“. Allerdings zielt sie nicht wie die AntinatalistInnen darauf, die Menschheit letztendlich aussterben zu lassen, sondern möchte – fast im Gegenteil –, dazu beitragen, dass „der Planet noch länger bewohnbar und lebenswert“ bleibt. Angesichts des „Artensterbens“, der „Zerstörung des Bodens“, der „Wasserknappheit“ der „Verschlechterung der Luft“ und schließlich aufgrund der aus ihnen unausweichlich folgenden sozialen Katastrophen, bei denen es dann ums „nackte Überleben geht“, sei „eine drastische und schnelle Reduzierung des globalen Bevölkerungswachstums in der Zukunft unabdingbar“, erklärt Brunschweiger.

Keine Nachkommen in die Welt zu setzen, zeitigt Brunschweiger zufolge gleich in dreifacher Hinsicht begrüßenswerte Auswirkungen. Detailliert zeigt sie auf, „was Kinderfreiheit an positiven Aspekten für die einzelne Frau, die Gesellschaft und natürlich vor allem für die Umwelt bringt“. Außerdem thematisiert sie die vielfältige Diskriminierung Kinderfreier und zeigt wenig überraschend, „dass Leute ohne Kinder systematisch benachteiligt werden“. Als aktuelles Beispiel führt sie den Vorschlag des nicht eben für eine frauenfreundliche Politik bekannten Bundesgesundheitsministers Jens Spahn an, der Kinderfreie bei Sozialbeiträgen stärker belasten will als Eltern, denn „angeblich bräuchten die sozialen Sicherungssysteme Kinder“. Brunschweiger erwidert, „der Kapitalismus und das momentane Wirtschaftssystem brauchen Kinder. Würden wir unsere Konsumhaltung und umweltvernichtenden Verhaltensweisen ändern, sähe das schon ganz anders aus.“

Brunschweiger kritisiert nicht etwa Menschen, die Eltern werden wollen oder sind, sondern spricht sich „strukturell gegen Fortpflanzung“ aus. Auch wendet sie sich dezidiert gegen Prostitution ebenso wie gegen Leihmutterschaft. Denn „in beiden Fällen haben wir es mit einer sogenannten Wahlfreiheit zu tun, die schön neoliberal darüber hinwegtäuschen soll, dass hinter der Geschäftemacherei mit Frauenkörpern eine klare Systematik und eine kalte Organisation stecken“. Selbstverständlich macht sie sich für „das genuin feministische Recht auf Abtreibung“ stark, das „unbedingt mehr Unterstützung erfahren“ müsse. In diesem Zusammenhang legt sie dar, dass die von AbtreibungsgegnerInnen angeblich verfochtenen „Fötusrechte im Prinzip Väterrechte“ sind. In der „Priorisierung des ungeborenen Lebens“ liege zudem „eine patriarchale Abwertung von Frauen“, die „in letzter Konsequenz auf die Gebärfunktion reduziert“ werden.

Bietet Akerma ein wichtiges Nachschlagewerk für Menschen, die sich für die Abschaffung ihrer Spezis interessieren, so Brunschweiger ein nicht weniger wichtiges für alle, die kinderfrei bleiben wollen und womöglich eine gut lesbare Entscheidungshilfe für Frauen, die überlegen, Mutter zu werden. Dass ihre Beweggründe androphil sind, dürfen beide AutorInnen für sich in Anspruch nehmen.

Titelbild

Karim Akerma: Antinatalismus. Ein Handbuch.
epubli Verlag, Berlin 2017.
736 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783741892752

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Günther R. Eberhard: Antinatalismus. Warum es immer schlecht ist empfindungsfähige Wesen zu erschaffen.
Books on Demand, Norderstedt 2017.
143 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783744814140

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Verena Brunschweiger: Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest.
Büchner-Verlag, Marburg 2019.
150 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783963171482

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch