Keine Angst vor dem F-Wort

Scarlett Curtisʼ Textsammlung „The future is female! Was Frauen über Feminismus denken“ beweist, warum die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter aktueller und wichtiger denn je ist

Von Michelle HegmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michelle Hegmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im April 2017 fragte die Moderatorin Miriam Meckel auf der internationalen W20-Frauenkonferenz in Berlin in die Runde, wer sich selbst als Feminist*in bezeichnen würde, woraufhin alle Hände im Zuschauerraum und auf dem Podium in die Höhe schossen – bis auf die von Angela Merkel. Auf die direkte Frage, ob sie Feministin wäre, antwortete die Bundeskanzlerin zunächst mit Schweigen, bevor sie zögernd erklärte, dass sie sich nicht sicher sei. Sie würde in der Frauenbewegung Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zu ihrer eigenen Geschichte erkennen und wolle sich deshalb nicht mit diesem Titel schmücken. Da sie keine Angst vor dem Begriff habe, dürften sie andere durchaus Feministin nennen, sie selbst könne das aber nicht aus voller Überzeugung tun. Trotz #MeToo und immer lauter werdenden öffentlichen Protesten fürchten sich viele Frauen davor, sich gegenüber anderen als Feministinnen zu outen. Der Grund dafür ist wohl nach wie vor der bittere Beigeschmack des F-Worts, in dem besonders erfolgreiche Frauen eine potenzielle Bedrohung für ihre Karriere sehen. Sich offen zum Feminismus zu bekennen, stellt für viele weiterhin ein Problem dar.

Die britische Journalistin, Bloggerin und Aktivistin Scarlett Curtis bat daher über 50 Frauen verschiedenster Kulturen, Altersklassen und Branchen, über ihr „Aha!-Erlebnis“ zu schreiben: über ihre erste Berührung mit dem gefürchteten F-Wort und ihre subjektiven Eindrücke davon. Das Resultat sind über 400 Seiten an Denkanstößen, die mal subtil mit Lyrik, mal offenkundig mit Protesten auf den Feminismus bezogen sind. Der Band umfasst 60 Texte in 8 Rubriken, die zeigen wollen, dass wir noch immer nicht in einer Zeit des Postfeminismus leben. Von den Kategorien „Erleuchtung“ über „Zorn“ bis hin zu „Aktion“ decken die Schauspielerinnen, Aktivistinnen und Unternehmerinnen zahlreiche Facetten des Feminismus ab. Einige davon stimmen nachdenklich, andere machen wütend, einige lösen betroffenes Kopfschütteln aus und wieder andere machen Mut.

Einer dieser Essays ist Das schwächere Geschlecht der Schauspielerin Keira Knightley, in dem sie ihrer 2015 geborenen Tochter eine hingebungsvolle Liebeserklärung macht. Sie schreibt ohne Scheu von ihrem Gefühl der Unbesiegbarkeit nach der Geburt, nach dem stundenlangen „Schmerz, wenn unser Körper aufreißt, unsere Brüste auslaufen, unsere Hormone toben“, nach der „Kotze, dem Blut, das Genähtwerden“ – und dem Irrsinn, dass sie trotz alldem als das schwächere Geschlecht gelten soll. Mit ihrem Text möchte sie Müttern Mut zusprechen, über ihre Schmerzen und Gefühle während und nach einer Geburt nicht zu schweigen, auch wenn viele ihrer Mitmenschen genau das bevorzugen würden. Ferner möchte sie ihre und andere Töchter dazu ermutigen, sich nicht vom männlichen Ego den Weg in ein selbstbestimmtes Leben versperren zu lassen. Denn wie sie mehrfach betont: „Ich bin nicht das schwächere Geschlecht. Du bist nicht das schwächere Geschlecht. Wir sind nicht das schwächere Geschlecht.“

Einige der Autorinnen beschäftigen sich auch mit der anhaltenden Diskussion, ob Femininität ein Hindernis für den Feminismus darstellt. Regelmäßig taucht in Artikeln, Blogs und Interviews die Frage auf, ob Frauen die „echten“ Feministinnen verraten, sobald sie gerne Make-Up und figurbetonte Kleidung tragen, realitätsferne Liebeskomödien schauen oder (der Klassiker) die Farbe Pink mögen. Dazu nimmt der Originaltitel des Buches eindeutig Stellung: Feminists don’t wear pink & other lies. Amazing women on what the F-word means to them. Ist der Trend in deutschen Verlagen, Haupttitel in Englisch, Untertitel jedoch in Deutsch zu halten, ohnehin schon zu kritisieren, so verdreht der Goldmann Verlag in diesem Fall die Bedeutung des Originaltitels jedoch enorm. Auch wenn dies künstlerischer Freiheit geschuldet sein mag: Mit The future is female! assoziiert man genau jene Haltung, der die Frauen im Buch widersprechen, das heißt, dass es in ihrem Interesse wäre, für sich mehr Rechte einzufordern als sie die Männer besitzen, anstatt Chancengleichheit zu verlangen.

Ähnlich undurchdacht ist auch die vom Original stark abweichende Farbauswahl des Covers. Die Herausgeberin selbst berichtet von dem amerikanischen Professor Dr. Alexander Schauss, der in den 1980er Jahren herausfand, dass Pink Herzfrequenz, Puls und Atmung verlangsamen kann. Nach etlichen Experimenten fand er schließlich die Farbformel, die bei der Reduzierung von Feindseligkeit den maximalen Effekt brachte. Schauss testete die Wirkung, indem er die Direktoren einer Haftanstalt in Seattle davon überzeugte, einige Gefängniszellen in besagtem Ton zu streichen. Im anschließenden Bericht heißt es, seit der Prozedur habe es „keine Vorfälle sprunghaften oder feindseligen Verhaltens mehr gegeben.“ Der Professor gab der Farbe den Namen Baker-Miller-Pink – in genau diesem Farbton ist auch das Originalcover gehalten. Zwar bietet der Goldmann Verlag den Leser*innen eine exemplarische Ansicht des Baker-Miller-Pinks auf den Umschlaginnenseiten, für das Cover der Übersetzung wurde jedoch ein äußerst greller Pinkton gewählt, der nichts mehr mit Schaussʼ Entdeckung gemein hat. Zwar sticht The future is female! dadurch aus den Regalreihen der Buchhandlungen hervor, ignoriert aber leider den dahinterstehenden Gedanken von Curtis.

Auf Diversität legt die Herausgeberin löblicherweise großen Wert und lässt Frauen verschiedenster Nationalitäten zu Wort kommen wie beispielsweise die Autorin Amani Al-Khatahtbeth mit 17 Wahrheiten über muslimische Frauen oder die Girl-up-Jugendbotschafterin Tapiwa H. Maoni in African Feminist. Daraus entsteht ein buntes Mosaik aus persönlichen Eindrücken sowie Blickwinkeln auf den Feminismus. Einige Texte thematisieren sexuelle Belästigung, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede und Kinderehe, andere wiederum alltägliche Tabuthemen wie die Periode oder weibliche Lust. Wer die Lektüre als Feminismus-Neuling beginnt, erhält in einigen Beiträgen außerdem einen Crashkurs in Sachen Frauenbewegung und Erläuterungen zu zentralen Begriffen wie „Patriarchat“, „Intersektionalität“ und „Consent Culture“.

Die Themenvielfalt der anregenden Essays ermöglicht den Leser*innen einen leichten Einstieg in den feministischen Diskurs und die Reflexion über eigene Erfahrungen. Zusätzliche Hilfestellung leistet die Schauspielerin, Aktivistin und mittlerweile UN-Botschafterin Emma Watson, die mit Our Shared Shelf den weltweit größten feministischen Buchclub ins Leben gerufen hat. Sie gibt zehn Lektüreempfehlungen und stellt diverse Bücher vor, die jede*r gelesen haben sollte, insbesondere „diejenigen unter euch, die gerade anfangen, die Welt zu entdecken und ihren Platz darin zu suchen.“

Was die thematische Bandbreite bereits offensichtlich werden lässt, bringt die Wissenschaftlerin und Autorin Claire Horn zum Abschluss des Buches noch einmal auf den Punkt: „Es gibt so viele verschiedene Konzepte, mit denen du dich auseinandersetzen kannst, so viele feministische Aufträge, derer du dich annehmen kannst, und so viel Raum für deine eigenen Ideen.“ Für genau diese Ideen der Leser*innen lässt Curtis die letzten Seiten frei, auf denen sie ihre Gedanken zum Thema Feminismus niederschreiben, inspirierende Zitate notieren oder sie auch einfach nur in einem harmonischen Baker-Miller-Pink ausmalen können.

Titelbild

Scarlett Curtis (Hg.): The future is female! Was Frauen über Feminismus denken.
Übersetzt aus dem Englischen von Antje Althans, Katrin Harlaß, Elke Link,Kristin Lohmann, Sophie Zeitz und Johanna Ott.
Goldmann Verlag, München 2018.
415 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783442159826

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