Ein Gentleman auf Abwegen

Im fünften Band von Martin Suters Allmen-Krimiserie wird der Detektiv selbst zum Täter

Von Anna Sophie BüchölRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Sophie Büchöl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Johann Friedrich von Allmen, der auf das »von« gerne verzichtete, um diesem mehr Gewicht zu geben,“ ist ein echter Lebemann. Geld gibt er aus, unabhängig davon, ob er welches besitzt oder nicht. Kein Wunder, dass er bei diesem ausschweifenden Lebensstil chronisch pleite ist. Die Villa seiner Familie musste er verkaufen, nun lebt er zusammen mit seinem guatemaltekischen Butler Carlos und dessen Freundin María im Gärtnerhaus.  Um seine Finanzen aufzubessern, haben Allmen und Carlos die Firma Allmen International Inquiries zur Wiederbeschaffung wertvoller Kunstgegenstände gegründet. In Martin Suters Allmen und die Erotik übernehmen sie ihren fünften Fall: Das Auffinden einer Sammlung erotischer Porzellanfiguren.

Diesen Auftrag übernehmen die beiden jedoch nicht ganz freiwillig. Krähenbühler, der Chef einer Sicherheitsfirma, erpresst Allmen. Er soll in ein Lager einbrechen, um die anzüglichen Porzellanfiguren zu stehlen. Anschließend will der Erpresser seine Dienste für die Sicherung des Lagers anbieten, während Allmen sich um den Auftrag zur Auffindung der Kunstgegenstände kümmern soll. Natürlich verlangt Krähenbühler einen saftigen Anteil von Allmens Honorar. Der Coup gelingt, doch die Wiederbeschaffung gestaltet sich anders als gedacht. Denn keiner hat mit Jasmin, der geheimnisvollen Besitzerin der Porzellansammlung gerechnet.

Bei Allmen und die Erotik handelt es sich keinesfalls um einen typischen Kriminalroman. Das klassische Narrationsmuster eines Krimis, bei dem ein Verbrechen begangen wird, das dann von einer anderen Person aufgedeckt wird, erfährt dadurch einen Bruch, dass Allmen hier gleich beide Rollen einnimmt – sowohl die des Täters als auch die des Ermittlers. Denn Allmens Ruf steht auf dem Spiel, und dann ist da ja noch das Geld:

Er hatte Herrn Arnolds Dienste schon lange nicht mehr beglichen. Der Fahrer war sich zwar von seinem Lieblingskunden ausgedehnte Zahlungsfristen gewohnt, aber Allmen pflegte diese jeweils durch mehr als großzügige Trinkgelder wettzumachen. Doch diesmal hatte er die Geduld des guten Mannes dermaßen strapaziert, dass er seine Dienste schon eine ganze Weile nicht mehr in Anspruch genommen hatte, um dem Thema aus dem Weg zu gehen.

Allmens ohnehin schon große Geldprobleme nehmen überhand, und wenn er neben seiner Villa nicht auch noch seinen Lebensstandard verlieren will, bleibt ihm keine andere Wahl als sich auf Krähenbühlers Forderungen einzulassen. Die Geldsorgen des Protagonisten stehen in diesem fünften Allmen-Band stärker im Vordergrund als die Kriminalhandlung an sich. Diese ist hier eher die Lösung für Allmens Geldprobleme und wird im Verlauf des Romans immer nebensächlicher, bis sie sich mit dem Auftritt der Eigentümerin der erotischen Porzellane fast vollständig verliert. Geht es im ersten Teil des Romans noch um den Diebstahl und die Wiederbeschaffung der Sammlung, geht es im zweiten Teil fast ausschließlich um die mysteriöse Jasmin, in die Allmen sich verliebt.

Generell passiert auf den 267 Seiten des Buchs nicht viel. Ein Spannungsbogen ist kaum zu erkennen. Zwar gibt es bei dem Stehlen der Porzellanfiguren Schwierigkeiten, aber diese lassen sich so schnell aus dem Weg räumen, dass dem Leser keine Zeit bleibt, mitzufiebern. Die Handlung wird zunehmend schwächer und verworrener, die Taten der Figuren sind nicht immer nachvollziehbar. Und auch wenn Allmen und die Erotik Teil einer Romanserie ist, wäre hier eine abgeschlossene Erzählung durchaus wünschenswert.

Denn auch das Ende widerspricht dem eines üblichen Kriminalromans: Es bleibt offen. Der bis zu den letzten Seiten im seichten Gewässer treibende Leser wird von einer großen Welle überrascht und treibt voller Fragen an den Strand zurück. Das Ganze erinnert an eine Folge einer Daily Soap, in deren Verlauf sich nur wenig ereignet und lediglich der Schockmoment am Ende den Zuschauer dazu verleitet, beim nächsten Mal wieder einzuschalten. Ein Konzept, das im Fernsehen hervorragend funktioniert, bei Literatur, die sich jenseits des Umfangs eines Heftromans bewegt, jedoch nicht angewandt werden sollte.

Über den enttäuschenden Inhalt trösten jedoch die wirklich wundervoll erdachten Figuren des Romans hinweg. Der verarmte Gentleman Allmen überzeugt mit bis ins kleinste Detail erdachten Schrullen. Er trinkt keinen herkömmlichen Tee, sondern Lapsang Souchong, den er routiniert „nach dem Frühstück und vor dem Aperitif zu genießen pflegt.“ Als Aperitif trinkt er stets einen Negroni, als Operncocktail bevorzugt er eine Margarita und seine Anzüge lässt er sich bei einem römischen Schneider aus Super 170’s australischer Merinowolle von 12 Micron fertigen. Perfekt ergänzt wird Allmen durch seinen stets treu ergebenen Diener und Geschäftspartner Carlos, ein ruhiger Mann, „dessen Umgang mit Geld von seiner Vergangenheit als Schuhputzer und papierloser Einwanderer geprägt“ ist und der somit Allmen in Zeiten finanzieller Engpässe gerne mal aushilft. Carlos‘ temperamentvolle Freundin María komplettiert das Trio als Allmens Assistentin und Köchin, weist die beiden Männer mit ihrer feurigen südamerikanischen Art in ihre Schranken und hilft ihnen mit ihrer klugen Denkweise aus der Patsche. Diese drei zusammengenommen sorgen dafür, dass der Leser trotz der banalen Handlung das Buch nicht zur Seite legt und ihm das ein oder andere Mal ein Schmunzeln widerfährt.

Dazu trägt ebenfalls der elegante Schreibstil Suters bei, der den Charakter Allmens unterstreicht und somit ein Flair in die Geschichte bringt, welches Allmen und die Erotik zumindest bedingt empfehlenswert macht. Diese Eleganz wird vor allem bei der Beschreibung der obszönen Porzellanfiguren deutlich:

Allmen hob den Deckel ab. Unter der Krinoline ragte der nackte Unterleib der Rokokodame heraus. Ihre Beine waren weit gespreizt. Der Boden der Terrine war eine grüne Blumenwiese. Darauf kauerte ein etwas rundlicher Mann. Er trug einen roten Überrock, eine grüne Kniebundhose mit weißen Strümpfen, ein gelbes, mit Spitzen verziertes Hemd und eine weiße Perücke, die zu einem Zopf gebunden war. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die rosa Zunge weit herausgestreckt. Es brauchte nicht viel Vorstellungskraft, um zu erraten, wohin diese Zunge geriet, wenn der Krinolinendeckel der Terrine so aufgelegt wurde, dass die kleine Ausbuchtung an ihrem Rand exakt in die Nut der Terrine passte. Carlos räusperte sich verlegen, und Allmen warf ihm einen amüsierten Blick zu.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass derjenige, der durch eine gute Kriminalhandlung unterhalten werden will, lieber die Finger von Allmen und die Erotik lassen sollte. Die großartigen Figuren und der Schreibstil des Schweizer Autors sind dagegen wirklich lobenswert, machen das beinahe völlige Fehlen von Spannung und das Driften der Kriminalerzählung ins Nichts jedoch nur bedingt wett und den Roman lediglich zu einer insgesamt mittelmäßigen literarischen Darbietung.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Martin Suter: Allmen und die Erotik. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2018.
267 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070330

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