Verräter, Klassenfeind, Revisionist

In seinen Erinnerungen zeichnet der österreichische Antifaschist und Kommunist Franz Marek (1913–1979) seinen Weg vom Stalinismus hin zu einem undogmatischen europäischen Sozialismus nach

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war kein geringerer als der britische Universalhistoriker Eric Hobsbawm, der den österreichischen Kommunisten Franz Marek mit der prägnanten Formel „Beruf und Berufung Kommunist“ charakterisiert hatte. Neben dem befreundeten Ernst Fischer (1899 – 1972) stellte Marek die bedeutendste intellektuelle Persönlichkeit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) dar. Als Ephraim Feuerlicht im seinerzeit österreichischen Przemyśl geboren, war der zuweilen dramatische Lebenslauf Mareks den ideologischen Schrecken des 20. Jahrhunderts unterworfen.

Im vorliegenden Band Beruf und Berufung Kommunist werden erstmals die bislang unveröffentlichten Lebenserinnerungen und Schlüsseltexte  Mareks vorgelegt. In anschaulicher Weise berichtet er über das familiäre und gesellschaftliche Milieu seiner Kindheit und Jugend. Die anfängliche Begeisterung für einen linken Zionismus wich der Erkenntnis, dass die Verhältnisse im eigenen Land geändert werden müssen. Bald darauf sollte sein Eintritt in die KPÖ folgen.

Spannend zu lesen sind seine Schilderungen über die vielen Jahre, die er zuerst im besetzten Österreich und dann in Frankreich im Kampf gegen den Nationalsozialismus im Untergrund verbracht hatte. Seine Beteiligung im aktiven Kampf bezeichnete Marek später als die „glücklichste Zeit seines Lebens“, da er seine Aufgabe als nützlichen Beitrag für eine richtige Sache erkannte. Im August 1944 wurde Marek von der Gestapo verhaftet und entkam nur knapp dem gegen ihn verhängten Todesurteil. Bis in die 1950er Jahre hinein bezeichnete Marek seine eigene politische Position als die eines „glühenden Stalinisten“. Widersprüche zur Parteidoktrin hatten sich im Laufe der Jahrzehnte durchaus immer wieder ergeben, aber die Parteidisziplin hatte sich auch bei Marek durchgesetzt.

Die Entstalinisierung unter dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow sowie die gewaltsame Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes im Jahr 1956 hatten auch Marek zu denken gegeben, aber noch zu keinem Bruch mit der KPÖ geführt. Zu seinem 50. Geburtstag im April 1963 hatte ihm das ZK der KPÖ im parteieigenen Organ „Volksstimme“ einen flammenden Gruß gewidmet. Bitterironisch merkt Marek in seinen Erinnerungen an, dass er nur fünf Jahre später als „Renegat, Klassenfeind, Verräter und Revisionist“ gegolten hatte.

Seit 1946 unterstand Marek die Leitung des theoretischen Organs der KPÖ „Weg und Ziel“. Bereits in den 1960er Jahren öffnete er die Zeitschrift für unabhängig denkende Kommunisten und vor allem für Persönlichkeiten der Italienischen Kommunistischen Partei, die sich vorsichtig von den ideologischen Vorgaben Moskaus abzusetzen versuchten. Den kommunistischen Reformversuch des „Prager Frühling“ im Jahr 1968 begrüßte Marek aufrichtig, er schien genau jene politischen Vorstellungen zu erfüllen, die ihm und seinen sich öffnenden Genossen schon lange vorschwebten. Zusammen mit seiner Frau, der Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi, besuchte er Prag und genoss die euphorische Stimmung der Freiheit in einem kommunistischen Land. Er lernte prominente Reformer kennen und ließ sich von der allgemeinen Begeisterung anstecken.

Die gewaltsame Niederschlagung am 21. August 1968 war auch für Marek ein niederschmetterndes Erlebnis. Dass ein ehemaliger Anhänger der Reformbewegung wie Jiří Hájek zum Parteigänger der Okkupanten wurde, hatte Marek enttäuscht und verwundert. An dieser Stelle irrt die von den Herausgebern angeführte Fußnote und verwechselt den Reformkommunisten und späteren Charta 77-Bürgerrechtler Jiří Hájek (1913 – 1993) mit dem marxistischen Literaturkritiker Hájek (1919 – 1994).

Mareks Ausschluss aus der KPÖ im Jahr 1970 hatte zwar einen Schlusspunkt in seiner parteipolitischen Karriere gesetzt, aber seinen Willen bestärkt, an der Suche nach einem freien und undogmatischen Sozialismus mitzuwirken. Marek begrüßte die Formierung des „Eurokommunismus“ in den 1970er Jahren und widmete sich zugleich den unterdrückten Bürgerrechtsbewegungen in den Staaten des „real existierenden Sozialismus“. Die unter seiner Leitung seit Januar 1970 betreute Zeitschrift Wiener Tagebuch bildete eine europäische Plattform für freie Geister und undogmatische Linke in Ost und West.

Die Konzeption der Herausgeber dieses Lebensporträts ist beachtenswert. Neben Mareks Erinnerungen sind insbesondere seine Schlüsseltexte wiedergegeben, die seine schrittweise innere Öffnung hin zu einem selbstreflektierenden kritischen Denken dokumentieren. Die umfangreiche biografische Skizze von Maximilian Graf und Sarah Knoll überzeugt nicht zuletzt in ihren differenzierten Einsichten und beeindruckt vor allem angesichts der umfangreichen Recherchen und Auswertungen weit verstreuter Archivbestände. Es liegt somit ein beachtliches Schlüsselwerk in der Kommunismusforschung vor.

Mit der vorliegenden Ausgabe wird ein kritischer Geist gewürdigt, dem es im Laufe seines Lebens gelungen ist, feststehende Überzeugungen in Frage zu stellen. Die irritierende Schreibweise, wie sie etwa bei HerausgeberInnen, WiderstandskämpferInnen oder gar InsassInnen auftritt, erinnert den kritischen Leser daran, dass ideologisch motivierte Vorgaben in emsiger Beflissenheit vollzogen werden. Es ist ebendieser unkritische Mechanismus, dem Marek in seinem Denken und Leben begegnet war, und über dessen Aufarbeitung er ein eindrucksvolles Zeugnis abgelegt hat.

Titelbild

Franz Marek: Beruf und Berufung Kommunist. Lebenserinnerungen und Schlüsseltexte.
Herausgegeben und eingeleitet von Maximilian Graf und Sarah Knoll.
Mandelbaum Verlag, Wien 2017.
347 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783854766599

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