Architekturen der Weltliteratur

Das rätselhafte Werk von John Maxwell Coetzee ist um „Ein Haus in Spanien“ reicher

Von Lukas PallitschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lukas Pallitsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Ein Haus in Spanien legt der Nobelpreisautor John Maxwell Coetzee einen zwar schmalen, aber sehr avancierten Erzählband vor, der neben der titelgebenden Geschichte (2000) zwei weitere Kurzgeschichten enthält: Nietverloren (2002) und Er und sein Mann (2003). Während bei den ersten beiden Erzählungen eindeutige Fährten zur eigenen Autobiografie gelegt sind, handelt es sich bei Er und sein Mann um die in Stockholm anlässlich der Verleihung des Nobelpreises vorgetragene Geschichte.

An dieser dritten Erzählung zeigt sich durchaus verschiedenes. Er und sein Mann ist als Allusion auf Robinson und „seinen Mann“ zu verstehen, bei der ein naiver Leser mit „seinem Mann“ unweigerlich „Freitag“ assoziiert, doch die Perspektivik Coetzees ist – wie so oft – durchaus vertrackter. Mit „seinem Mann“ dürfte weniger Freitag als vielmehr Daniel Defoe, sein Mann und Schöpfer gemeint sein. Die Handlung ist in einer Stadt namens Boston angesiedelt, an der Küste von Lincolnshire, die von Sumpfland umgeben ist. Der moderne Robin dürfte zurückgekehrt sein. Damit ist streng genommen nicht nur ein Spiel der Intertextualität, sondern auch der Intratextualität in Gang gesetzt, zumal der Bezug zum eigenen Roman Mr. Cruso, Mrs. Barton & Mr. Foe hergestellt wird. Bei all der textuellen Komplexität, die diese untypische Nobelpreisrede aufweist, ist die Vermittlung der Erzählerfunktion in dieser Geschichte symptomatisch. Denn nicht bei allen Texten erhält man bei Coetzee den Eindruck, der Erzähler sei tatsächlich der Urheber (lateinisch auctor) der Geschichte; viel stärker kommt es auf die Er-Erfahrung der Welt an, wie sie der programmatisch gewählte Erzähltitel verbürgt: Er und sein Mann (in der Originalausgabe He and His Man). Auch 300 Jahre nach Defoes Robinson und zwei Jahrzehnte nach dem eigenen Robinson-Roman wird der „Robin“ dieser Erzählung durch personale Erzählverfahren für die Leser – manchmal weniger als mehr – transparent: „Er (jetzt nicht sein Mann, sondern er) sitzt in seinem Zimmer am Hafen von Bristol und liest das.“ Wie bei Defoe und in seinem Mr. Cruso speist der Autor Berichtteile in die Geschichte ein, sodass der Eindruck entsteht, der Erzählgegenstand müsse seinen Erzähler erst finden.

Weitaus weniger unruhig geht es in der titelgebenden Erzählung zu. Schauplatz der ersten Geschichte ist ein Haus in Spanien. Dort nistet sich der Erzähler ein und rührt auf seine Art und Weise, nämlich handlungsarm, aber mit formalästhetischer Wucht, an den großen Fragen der Weltliteratur. Der Nobelpreisträger, der sonst für die existenzielle Schwere, wie sie aus seinem Meisterwerk Schande bekannt ist, wählt in dieser gleichfalls um die Jahrtausendwende entstandenen und nun veröffentlichten Kurzerzählung erneut die etwas distanzierte, personale Sicht: „Mit zunehmendem Alter wird er, wie er feststellen muss, immer unduldsamer, was die Sprache betrifft, ihren schludrigen Gebrauch, das sinkende Niveau.“ An diesem Eingangssatz zeigt sich neben der heterodiegetischen Perspektive eine lakonisch kühle Stilebene, die zwar bis zum Ende durchgehalten, aber von einer scharfsinnigen Sprachkritik unterbrochen wird. Neologismen und Modewörter treten zeitlosen Begriffen wie Wohnungen alten Häusern gegenüber. Immer wieder wird mit Wenn-dann-Sätzen Anlauf genommen, um die Beziehung zwischen Mensch und Haus auszuloten: „Wenn das eine Ehe ist, sagt er sich, dann heirate ich eine Witwe, eine reife Frau mit festen Gewohnheiten.“ Es spannen sich Parallelen und Dissonanzen im Verhältnis zwischen der Beziehung zu einem Menschen und zum Haus auf. Mit einem herkömmlichen erzähltechnischen Werkzeugkasten schreibt Coetzee, der die Bauformen des Erzählens wie kaum ein zeitgenössischer Autor beherrscht, eine recht feinsinnige Geschichte über ein katalonisches Haus.

Der Erzählband bildet die zwei Hauptbahnen von Coetzees literarischem Œuvre ab, bei dem eine düster realistische Linie (etwa Schande, Eiserne Zeit) von postmodern experimentellen Erzählversuchen (Zeitlupe, Tagebuch eines schlimmen Jahres beispielsweise) flankiert wird. Paradigmatischer hätte insbesondere der Nobelpreistext, der die Fäden beider Werkstränge aufnimmt, kaum sein können, stellt er doch auf experimentelle Art und Weise einen nach Hause gekehrten Schiffbrüchigen in sein Zentrum.

Titelbild

John Maxwell Coetzee: Ein Haus in Spanien. Drei Geschichten.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhild Böhnke.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
64 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972788

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