Der Traum von einem freien Angola

In „Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer“ erzählt José Eduardo Agualusa von der durchdringenden Kraft der Träume

Von Jana FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Eine allgemeine Theorie des Vergessens (2017), José Eduardo Agualusas letztem Roman, brach der dreißig Jahre andauernde Bürgerkrieg in Angola, der dort durch den Kalten Krieg heiß und wild wie Lava emporgeschossen war, immer wieder in das erzählte Geschehen ein. Und auch in seinem neuen Roman, Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer, sind die Wunden dieses Bürgerkriegs noch offen, der Schmerz noch präsent. Doch auch wenn diese Verletzungen noch nicht verheilt sind und die Traumata immer noch wie tiefe Risse die angolanische Bevölkerung durchziehen, bleibt die Zeit nicht stehen, damit sich Schorf auf den Wunden bilden, Heilung einsetzen kann, sondern die Gegenwart fordert die Angolaner erneut heraus: diesmal, um sich gegen Präsident José Eduardo dos Santos zu wenden, der bis 2017 das Land über drei Jahrzehnte hinweg totalitär regierte.

Agualusa, eine der wichtigsten literarischen Stimmen des lusophonen Afrika, hat sich mit Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer also wieder auf die Suche nach der Identität Angolas begeben, wie bereits in Eine allgemeine Theorie des Vergessens, aber auch in Ein Stein unter Wasser (1999), Das Lachen des Geckos (2004) und Die Frau meines Vaters (2010). Diese Suche jedoch kann, wenn sie erfolgreich sein will, nicht an der Oberfläche der Wirklichkeit verharren, sondern muss bis in die Träume der Angolaner hinabreichen – so jedenfalls will es dieser dichte Roman – da dort die Ängste, Hoffnungen und Vorahnungen der Angolaner verborgen sind.

Der 1960 geborene Autor, der in Portugal, Angola und Brasilien lebt, erzählt in diesem poetischen Roman von Daniel Benchimol, einem Journalisten, der bereits in Eine allgemeine Theorie des Vergessens auftaucht. „Benchimol hat sich auf Verschwundenes spezialisiert, Leute, manchmal recht prominente, deren Spur sich zu Zeiten des Krieges verloren hatte, Regierungsgelder, die sich in Luft auflösten, entführte ausländische Geschäftsleute und solche Sachen.“ Seit seine Ehe zerbrochen ist, da es dem Vater von Lucrécia, seiner Exfrau, nicht gefiel, dass er als Korrespondent für eine portugiesische Zeitung die politischen und gesellschaftlichen Missstände Angolas anprangerte, lebt er allein und sehr zurückgezogen. Von Zeit zu Zeit fährt er in ein kleines Hotel am Meer, wo er Hossi, den Hotelier, kennenlernt, der früher Guerillakämpfer bei UNITA war, der Nationalen Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas, und grausame Verhörmethoden anwandte. Daran erinnert er sich jedoch nicht mehr, da er zweimal vom Blitz getroffen und daraufhin seine Erinnerung an diese Episode seines Lebens aus seinem Gedächtnis gelöscht wurde.

Irgendwann kommen sie auf die Träume zu sprechen: Während Daniel wiederholt von einer Frau mit Haaren wie aus Zuckerwatte träumt, wandert Hossi durch die Träume von anderen Menschen, stets im lila Jackett. Doch bald findet Daniel im Meer eine Kamera, auf der Fotos von der Frau mit den krausen Haaren zu sehen sind, der Frau aus seinem Traum. Und als er sie dann tatsächlich kennenlernt – Moira, eine mosambikanische Künstlerin, die in Südafrika lebt und ihre Träume auf Gemälden inszeniert – haben sich Traum und Wirklichkeit endgültig miteinander verwoben.

Aber dann bricht der Schrecken der Wirklichkeit in das Geschehen ein: die Staatsmacht, die sowohl für Hossi als auch für Daniels Tochter Lúcia zur konkreten Gefahr wird. Während Hossi zwischen Tod und Leben hin und her taumelt, versucht Lúcia durch einen Hungerstreik im Gefängnis ihre Freilassung zu erreichen. Zusammen mit anderen jungen Erwachsenen hatte sie über die sozialen Netzwerke Videos gegen die Diktatur verbreitet und die Konferenz des Präsidenten gestürmt, um ihm blutverschmierte gefälschte Tausenddollarscheine ins Gesicht zu werfen. Mit diesem Akt gegen das totalitäre Regime fordern die Jugendlichen ihren Traum von einem freien und demokratischen Angola ein; ein Ereignis, mit dem Agualusa auf die Aktivisten rund um den Rapper und Menschenrechtsaktivisten Luaty Beirão referiert, der 2015 verhaftet wurde, über ein Jahr im Gefängnis verbrachte und bei einem Hungerstreik beinahe ums Leben gekommen wäre.

Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer lässt sich als poetische Hommage an den Widerstand und an den Glauben an eine bessere Zukunft lesen. Es ist eine Aufforderung an die junge Generation Angolas, die eigenen und die gesellschaftlichen Träume zu verwirklichen, anstatt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufzugeben. Ein rebellischer und poetischer Roman, so ungestüm wie das Leben selbst.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

José Eduardo Agualusa: Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer. Roman.
Aus dem Portugiesischem übersetzt von Michael Kegler.
Verlag C.H.Beck, München 2019.
304 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783406733741

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch