Instagrams Töchter

Annekathrin Kohout befasst sich mit der digitalen Bildkultur des Netzfeminismus

Von Kristin SteenbockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristin Steenbock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um ein Bild freizustellen, das heißt ein Motiv auf einem Bildschirm digital auszuschneiden, braucht man mittlerweile keine teure Software mehr. Auf vielen PCs lässt sich mit dem Standardprogramm zum Öffnen von Bildern mühelos der Hintergrund eines Bildes wegschneiden. Das machen auch vorinstallierte Handyapps. Aus einem Marienbildnis eine stehende Maria mit ausgebreiteten Armen freizustellen ist ein Kinderspiel. So eine freigestellte Maria über das Bild einer Austernschale legen und auf Instagram posten: Das ist keine Kunst, wie Annekathrin Kohout betont. Der Effekt aber ist eine Strategie weiblicher Bildpolitik, wie sie seit einigen Jahren unter feministischem Vorzeichen im Netz zu finden ist.

Die Montage, sofern sie proportional ist, erinnert nicht sonderlich subtil an eine Vulva, wobei der Kopf der Madonna die Klitoriseichel, ihre Kopfbedeckung die Klitorisvorhaut und ihr Mantel die kleinen Schamlippen repräsentieren. Die beschriebene Montage stammt von Jess MacCormack und stellt auf dem Frontispiz des schmalen Bändchens Netzfeminismus das erste von 21 (monochromen) Bildern dar. Netzfeminismus ist einer von zwei Titeln, die den Auftakt für die Reihe Digitale Bildkulturen im Verlag Klaus Wagenbach geben, deren Mitherausgeberin Annekathrin Kohout ist.

Ausgangsthese ihrer Abhandlung ist, dass Bilder nicht nur im Zuge der digitalen Wende einen starken Bedeutungszuwachs erfahren haben, sondern dass dadurch auch der Feminismus eine Art piktorale Wende erlebt. Dabei unterscheidet Kohout zwischen einem intellektuellen und eher linken Feminismus, dem es um Geschlechtergerechtigkeit ginge – womit sie in erster Linie einen Kampagnenfeminismus à la Tarana Burke und dem #Metoo beziehungsweise Anne Wizorek und dem #Aufschrei im Sinn hat – und einen „Popfeminismus“, der in erster Linie mit Umdeutungen und Aneignungen weiblicher Kodes die Frage stellt: Was ist Gender? Dem Kampagnenfeminismus attestiert sie eine ausgeprägte Bilderscheu und sogar eine Tendenz zum Bilderverbot. Entsprechend rückt sie in ihrer Untersuchung netzfeministischer Bilder den Popfeminismus in den Vordergrund und interessiert sich hier für Strategien, die sich dafür eignen, eben jene Fragen nach Gender mit einer Kritik an patriarchalen Blickregimes zu verbinden.

Netzfeminismus ist in viele kurze Abschnitte gegliedert, die sich jeweils einem Aspekt feministischer Bildpolitik über einen Hashtag nähern. Kohout beginnt mit dem Bilderstreit rund um Selfies zum Thema breastfeed, den sogenannten „Brelfies“, die Mütter beim Stillen inszenieren. Beispielhaft wird hier ein Grundproblem von Massenmedien deutlich: dass Bilder und Botschaften nicht immer äquivalent zu ihrer intendierten Bedeutung gelesen werden, dass man ein und dasselbe Brelfie als Strategie zur Enttabuisierung und als Beitrag zur Sichtbarkeit von stillenden Personen lesen kann oder aber als idealistische Inszenierung des Stillens, die sich einer ambivalenten Ästhetik bedient. So wird aus dem #brelfie der #bressure, wo „breastfeed“ mit „pressure“ assoziiert wird; dem Druck, den auch Brelfies auf diejenigen ausüben können, die nicht ohne Weiteres lange, gerne und entspannt stillen können (oder wollen). Kohout zeigt gleich an ihrem ersten Beispiel „#brelfie vs. #bressure“, was sie später als Ergebnis dieser Studie herausarbeitet: Die Debatten um Sichtbarkeit, Provokation und weibliche Bildmacht, um patriarchale Blickregimes und Medienmarkt werden entlang von Bildern in sozialen Netzwerken geführt. Deren Eigenlogik trägt dazu bei, dass die Bilder keine „Einzelbilder“ oder gar Originale mehr sind, sondern es ermöglichen, dass Menschen mit solchen Bildern (politisch) aktiv werden.

Was die Macht der Bilder angeht, kommt die Autorin zu einem scheinbar widersprüchlichen Ergebnis: Einerseits sei sie angesichts moralisch geäußerter Kritik allgemein überschätzt, andererseits würden Bilder als Werkzeuge von Feminist*innen weiterhin unterschätzt, womit sie offenbar erneut den Kampagnenfeminismus im Sinn hat, dem sie auch grundsätzlich weniger Humor zutraut. Besonders spannend scheint die Frage, welche Rolle Algorithmen im Netzfeminismus spielen, die allerdings aufgrund des Bilderschwerpunkts nur vereinzelt angerissen wird. Als ich vor Jahren einmal Bilder von aufgeschnittenen Früchten, die an Vulven erinnern, auf Facebook postete, wurden sie direkt über einen Filter von der Plattform gelöscht. Zwar verhinderte Facebook damit eine netzfeministische Intervention, weil der antipornografische Algorithmus hier offenbar nicht ausgereift war, die Verwechslung leuchtet aber ein. Dass dasselbe allerdings auch mit Bildern von Tampons oder Slips passierte, die sich statt mit Blut mit Glitzer „vollgesogen“ haben, lässt jedoch aufhorchen. Hier drängt sich unmittelbar die Frage auf, ob damit nicht eher die ewige Tabuisierung von Menstruationsblut und menstruierenden Personen Ziel, zumindest aber Effekt der Programmierung war.

Auch diese schönen Bilder unter anderen von der jungen Fotografin Cassidy Paul bekommt man in Netzfeminismus zu sehen. Die Bildauswahl ist absolut überzeugend und anregend. Selbstverständlich haben es die Herausgeber*innen nicht versäumt, sich auch auf Instagram einzurichten. Netzfeminismus stellt eine kompakte und übersichtliche Einführung in den Gegenstand zur Verfügung und regt zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema an. Wer mehr von Annekathrin Kohout lesen möchte, sollte unbedingt ihren Blog sofrischsogut besuchen.

Titelbild

Annekathrin Kohout: Netzfeminismus. Strategien weiblicher Bildpolitik.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019.
80 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783803136824

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