Figurationen der Liebe in Fiktionen der Gegenwart

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

I mean if love is just a game then how come it’s no fun
If love is just a game how come I’ve never won.

Noah and the Whale: 2 Atoms in a Molecule[1]

Vorbemerkung

Erschöpfend über Liebe, Erotik und Sexualität zu schreiben lässt sich nur in einer Bedeutung des Wortes realisieren. Die Leserin oder den Leser bei der Lektüre eines Texts zu erschöpfen kann aber hier nicht das Ziel sein, vielmehr gilt es festzuhalten, dass eine erschöpfend-umfassende Bestandsaufnahme weder möglich ist noch dieser Beitrag allzu umfangreich werden kann, zumal es sich trotz aller Objektivierungsversuche stets nur, auch in der Wissenschaft, um eine durch individuelle Erfahrungen und Einstellungen geprägte Perspektive auf ein Thema handelt, die sich allerdings nicht nur einer üblichen individuell-biographischen Beschäftigung mit diesem Thema verdankt.[2] Was Liebe ist, muss jede/r für sich selbst herausfinden. Was Liebe sein kann, darüber geben sowohl Fiktionen als auch wissenschaftliche Publikationen in einem Ausmaß Auskunft, das ohnehin nur eine äußerst selektive Rezeption erlaubt. Was nicht heißt, dass die Strukturierung des Wahrgenommen nicht durchaus hilfreich sein kann, wenn man sich weiter wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen möchte.

Einführung

„Was der heilige Augustinus über die Zeit sagt, gilt nicht minder für die Liebe. Je weniger Gedanken wir uns über sie machen, desto selbstverständlicher erscheint sie uns; wenn wir aber anfangen, über sie nachzugrübeln, kommen wir in Teufels Küche“, meint Patrick Süskind in seinem Essay Über Liebe und Tod.[3] Allerdings kann auch er sich, sonst hätte er über das Thema keinen Essay geschrieben, des Nachgrübelns nicht enthalten.

Um einen Zugang zum Thema zu finden, der anschlussfähig genug für verschiedene Disziplinen ist,[4] bietet sich der Begriff der „Figuration“ an: „Mit dem Begriff der Figuration lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Interdependenzen der Menschen. Die Frage ist, was Menschen eigentlich in Figurationen zusammenbindet.“[5] Soweit Norbert Elias, wobei der Begriff nachfolgend nicht auf reale Menschen, sondern auf Erzähler und Figuren in Romanen und Erzählungen, Filmen und Songs der Gegenwart bezogen werden soll, um anschließend Überlegungen zum Verhältnis von Fiktion und rekonstruierbarer Realität anzustellen.

Das Verständnis von Liebe, das hier zugrunde gelegt wird, bezieht sich auf Niklas Luhmann[6] und seine Studie Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, in der er Liebe als ‚symbolischen Code‘,[7] als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ (L, 21) bezeichnet und die historische Entwicklung dieses Codes skizziert. Das bedeutet nicht, dass Gefühle keine Rolle spielen würden, ganz im Gegenteil ist mit Luhmann festzuhalten: „Man kann bei Liebe nicht nicht an Sinnlichkeit denken“ (L, 35). Die Emotionen,[8] beispielsweise das Fühlen eines körperlichen Begehrens, müssen aber nach einem für die oder den anderen verstehbaren und akzeptierbaren Ausdruck streben, wollen sie erfolgreich sein:

Im körperlichen Zusammenspiel erfährt man, daß man über das eigene Begehren und dessen Erfüllung auch das Begehren des anderen begehrt und damit auch erfährt, daß der andere sich begehrt wünscht. […] Mit all dem durchbricht die Sexualität den Schematismus von Egoismus/Altruismus ebenso wie die Hierarchisierung menschlicher Beziehungen nach dem Schema Sinnlichkeit/Vernunft (L, 33).

Luhmann hat seine Kenntnisse nicht zuletzt aus der Romanliteratur des 17. bis 19. Jahrhunderts bezogen und die Lektüreergebnisse mit historischen Quellen abgeglichen (vgl. L, 11f. u. 179). Für Luhmann steht fest, dass Liebe „kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode“ ist, „nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren“ kann (L, 23). Auf dieser Beobachtung lässt sich folgende These aufbauen: Auch fiktionale Figuren kommunizieren und verwenden bzw. modifizieren dabei den Kommunikationscode der Liebe, wobei die konstitutive Polyvalenz von Fiktionen Rezeptions- und Deutungsspielräume eröffnet. Zu berücksichtigen ist also immer eine dreifache Konstruktionsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen mit allen ihren Kontingenzen – die der Wahrnehmung von Realität durch die Individuen, die des Codierens von Fiktionen und die der Rezeption des fiktionalen Werks.

Die Entwicklung der Codierung von Liebe hat auch Michel Foucault nachgezeichnet.[9] Historisch gesehen lassen sich so unterschiedliche Formen wie die Knabenliebe in der Antike, die als Teil von Initiationsriten gesehen werden kann, die höfische Liebe, die aus einer nicht auf körperlich-seelische Erfüllung gerichteten Anbetung der Geliebten besteht, die Konventionsehe und die romantische Liebe unterscheiden. Die romantische Liebe (vgl. v.a. L, 163ff.) hat sich seit der Entstehung und Radikalisierung der Subjektautonomie im 18. Jahrhundert zunächst zur Norm entwickelt, bevor ihre Dominanz in der pluralen westlichen Gesellschaft die Entstehung anderer, flüchtigerer Formen von Liebe provozierte, die allerdings immer noch oder wieder unter dem Primat der Autonomie standen und stehen.

Die Soziologin Eva Illouz hat sich bemüht, eine Summe des jüngeren Diskurses zu ziehen und zugleich einen eigenen Schwerpunkt zu setzen, indem sie eine Verbindung von Liebe und Ökonomie herausgearbeitet hat.[10] Sie greift hierbei auch auf den Begriff des Kapitals von Pierre Bourdieu zurück, mit dem Status und Ansehen als ökonomische Faktoren beschreibbar werden.[11] In den folgenden Ausführungen soll es aber vor allem um die Frage gehen, wie Fiktionen der Gegenwart mit dem Konzept der romantischen Liebe umgehen.

Liebe in Fiktionen der Gegenwart

Es gibt zahlreiche Erzähltexte in der jüngeren Literatur, in denen Liebe nicht nur Motiv, sondern auch Stoff oder Thema ist. Man denke etwa an die Werke Martin Walsers, die den Begriff im Titel führen, hier gibt es allein im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts drei Romane – Der Lebenslauf der Liebe von 2001, Der Augenblick der Liebe von 2004 und Ein liebender Mann von 2008. Während bei Walser problematische Figurationen aus der Perspektive älterer Männer verhandelt werden, sind es bei dem um die Jahrtausendwende erfolgreichen Benjamin Lebert, etwa in Crazy von 1999 und Der Vogel ist ein Rabe von 2003, junge Männer; in Zoë Jennys Das Blütenstaubzimmer von 1997, Charlotte Roches Feuchtgebiete, dem Bestseller des Jahres 2008, oder Helene Hegemanns Axolotl Roadkill von 2009 ist es jeweils die Perspektive einer jungen Frau, ebenso in Wolfgang Herrndorfs Bilder deiner großen Liebe von 2014. Schon in Christian Krachts Roman Faserland von 1995, mit dem die sogenannte Pop-Literatur der 1990er Jahre begann, und in Benjamin von Stuckrad-Barres viel gelesenem Soloalbum von 1998, aber auch in Texten wie Thomas Meineckes Tomboy, ebenfalls aus dem Jahr 1998, Sven Regeners Herr Lehmann von 2001, Raoul Schrotts historisch und intertextuell breit angelegtem Roman Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde von 2003 oder Helmut Kraussers Episodenroman mit dem bezeichnenden Titel Einsamkeit und Sex und Mitleid von 2009, um nur einige wenige und konzeptionell sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen, geht es um die Frage, wie in einer unsicher gewordenen Gegenwart eine auf Dauer gestellte, ‚romantische‘ Liebe noch möglich sein kann, und stets wird das Scheitern von versuchten Liebesbeziehungen vorgeführt.

Helmut Krausser ist zweifellos einer der Gegenwartsautoren, die sich am intensivsten und radikalsten mit literarischen Figurationen der Liebe beschäftigt haben; Liebe ist Thema oder zentrales Motiv von jedem seiner mittlerweile zahlreichen Romane. Auch wenn die Romane unterschiedliche Protagonisten haben, vom Obdachlosen (etwa in Fette Welt von 1992) bis zum Jet-Set-Dirigenten (in UC von 2003), so eint ihre Protagonisten die Suche nach einer Liebesbeziehung und das Scheitern dieser Suche. Nicht zufällig hat Krausser zwei Romanen die Titel Eros (2006) und Thanatos (1996) gegeben, sie also nach den für Sigmund Freud grundlegenden menschlichen Trieben benannt, dem Liebes- und dem Todestrieb.

Krausser lotet in den teilweise sehr verschiedenen Versuchsanordnungen, die er wählt, ein breites Spektrum an menschlichen Obsessionen aus, darunter auch und vor allem sexuelle, etwa in Schmerznovelle von 2001. Auch in Kraussers Roman Die letzten schönen Tage von 2011 wird die Unmöglichkeit partnerschaftlicher Liebe in heutigen Zeiten auf radikale Weise vorgeführt, allerdings mit einem für Werke dieses Autors ungewöhnlichen Schluss. Serge und Kati lieben sich, aber Serge kann Kati sexuell nicht befriedigen und sie hat, mit schlechtem Gewissen, ein Verhältnis mit David. Wie in dem Film Intimacy, auf den noch einzugehen sein wird, verliebt sich die männliche Figur in die Sexualpartnerin, obwohl das Gegenteil verabredet war. Kati erfährt schließlich, weshalb Serge nicht nur sexuelle, sondern tiefgehende psychische Probleme hat – er hat als Jugendlicher im Streit den Unfalltod seiner Mutter verursacht, nicht zuletzt, weil die Ehe der Eltern in die Brüche gegangen war. Ob Kati nun mit David, der sie aus der gefährlichen Beziehung mit Serge ‚rettet‘, glücklich wird, sei dahingestellt, zumindest wird eine solche Perspektive eröffnet. Dieser für Protagonisten bei Krausser eher ungewöhnliche Schluss votiert also für das romantische Konzept von Liebe in einer monogamen Zweierbeziehung.[12] Die Gefahren versuchter Paarbildungen werden aber ebenso deutlich, nicht nur in der Figur von Serge, sondern auch in der von Becky, der Nichte Davids, die offenbar von zwei jugendlichen Bekannten vergewaltigt und misshandelt wurde.

Besonders beachtet wurden seinerzeit Judith Hermanns Erzählungen, die als exemplarisch für die Gestaltung von Figurenbeziehungen in der Zeit der Jahrtausendwende gelten können, diese Erzählungen sind in den Bänden Sommerhaus, später von 1998 und Nichts als Gespenster von 2003 veröffentlicht worden. Bereits der erste Band sorgte für enormes Aufsehen und eine Bemerkung in der ZDF-Aspekte-Sendung Das literarische Quartett wurde nahezu sprichwörtlich: „Hellmuth Karasek schwärmte vom ‚sehr traurig machenden Sound einer neuen Generation‘.“[13] Dieses Zitat wird in einer Besprechung der 2007 erfolgten Verfilmung von Nichts als Gespenster in abgewandelter Weise wiederholt, was zeigt, dass sich an dem exemplarischen Status der Erzählungen offenbar wenig geändert hat: „In Martin Gypkens Episodenfilm ‚Nichts als Gespenster‘ reisen Dreißigjährige in ferne Länder und sind doch nur auf der Suche nach sich selbst. Sonst passiert fast nichts – zum Glück, denn selten wurde das Lebensgefühl einer Generation unaufdringlicher eingefangen.“[14]

Das Thema der Erzählungen sind gescheiterte Liebesbeziehungen, etwa in Sommerhaus, später. Die Symbolzahl der sieben Erzählungen des Bandes kontrastiert mit der Nichterfüllung des Liebeswunsches in allen seinen Erzählungen. In der Titelerzählung zeigt sich in der fehlenden Namensnennung der Ich-Erzählerin und in der lapidaren Bezeichnung „Stein“ für ihren Liebhaber, dass es sich um eine kommunikationsarme und wenig aussichtsreiche Liebesbeziehung handelt, schon der Anfang der Erzählung weist auf ihr Scheitern voraus: „Stein fand das Haus im Winter. Er rief mich irgendwann in den ersten Dezembertagen an und sagte: ‚Hallo‘, und schwieg. Ich schwieg auch.“[15]

Die Jahreszeit symbolisiert die Kälte und Aussichtslosigkeit der Beziehung. Dass Stein Taxifahrer ist und die Ich-Erzählerin in einer Wohngemeinschaft lebt, in der sie wechselnde Sexualpartner hat, illustriert die Orientierungslosigkeit der Figuren. Stein zeigt der Ich-Erzählerin, die in Berlin wohnt, sein Haus in Canitz, in dem er – dies legt der Text zwischen den Zeilen nahe – mit ihr sesshaft werden will, doch spricht er seinen Wunsch nie direkt aus. Die Ich-Erzählerin versteht die Zeichen nicht, sie antwortet auf keine der Postkarten, die Stein ihr schickt, und kehrt wieder zu ihrem derzeitigen Geliebten Falk ins Bett zurück, nachdem sie symbolische „drei Mal“ den ausgeschnittenen Zeitungsartikel gelesen hat, der zuletzt mit der Post kam. Stein hat offenbar, nachdem sein Liebeswerben erfolglos war, die Hoffnung aufgegeben, sein renoviertes „Gutshaus“ angezündet und ist verschwunden. Die Ich-Erzählerin reagiert gleichgültig und der letzte Satz der Erzählung zeigt, dass sie die Perspektive einer dauerhaften Liebesbeziehung bis ins Nirgendwann aufschiebt: „Ich dachte: ‚Später.’“[16]

Um zeigen zu können, dass diese Stelle exemplarisch auf dreierlei verweist, auf das Scheitern des romantischen Liebescodes, den Wunsch der Rückkehr zu diesem Code und das Fehlen eines Codes, der an seine Stelle treten könnte, soll noch einmal auf Luhmanns Konzeptualisierung von Liebe eingegangen werden.

Der romantische Liebescode und die Folgen

Im 18. Jahrhundert entsteht, bedingt durch den Umbau und die Ausdifferenzierung der Gesellschaft, parallel zum modernen Subjekt der Code der ‚romantischen Liebe‘ (vgl. L, 163ff.), mit Luhmann gesprochen: Das liebende Subjekt „will im Glück des anderen sein eigenes Glück finden“ (L, 174). Dafür entwickelt es spezifische Strategien, etwa das „Versinken im unbegrenzten Moment“ der Liebe, das eine gesteigerte Selbstwahrnehmung ermöglicht, oder „eine eigentümliche Kombination von zirkulärer Geschlossenheit und Offenheit für alles, was die Liebe anreichern kann“ (L, 177). Liebesbeziehungen sind dann erfolgreich, wenn ihr Kommunizieren zur „Konstitution einer gemeinsamen Sonderwelt“ führt (L, 178).

Die Konstituierung des Subjekts im 18. Jahrhundert geht aber bereits mit den ersten ernsthaften Krisen des Subjekts einher. Auf den Code der Liebe bezogen wird „das Identischbleiben beim Aufgehen im Anderen“ zum Problem (L, 178), also das Aushandeln spezifischer Gemeinsamkeiten von Subjekt und Umwelt. Das kann ohne Verzicht auf beiden Seiten nicht funktionieren; die zu lösende Aufgabe ist, um es wieder mit Luhmann zu sagen: „Daß der Liebende das Lächeln sieht und nicht die Zahnlücken […]“ (L, 180).

Mit den immer weiter zunehmenden Kontingenzerfahrungen der Moderne, der Postmoderne und darüber hinaus wird der Code der romantischen Liebe einerseits perforiert, andererseits aber auch zum möglichen Rettungsschirm in Zeiten der Orientierungsverluste und brüchig gewordenen Sozialbeziehungen.[17] Waren zunächst Liebe, Sexualität und Ehe im Interesse der Durchsetzung des romantischen Liebescodes miteinander gekoppelt worden, so werden sie nun, um die auf Dauerhaftigkeit gerichtete Perspektive zumindest temporär zu ermöglichen, wieder partiell entkoppelt, anders gesagt – man kann sich heute festlegen, ohne sich zu sehr festzulegen. Dennoch wird es offenbar immer schwieriger, den „anspruchsvollen, hochindividualisierten Erwartungshaltungen“ (L, 197) eines Partners gerecht zu werden. Sexualität ist in der postmodernen Warenwelt zum Prüfstein für das Funktionieren von Liebe geworden, damit wird der Code stärker auf einen Aspekt bezogen.[18] Mit Luhmann lässt sich festhalten: „Die Tragik liegt nicht mehr darin, daß die Liebenden nicht zueinanderkommen; sie liegt darin, daß sexuelle Beziehungen Liebe erzeugen und daß man weder nach ihr leben noch von ihr loskommen kann“ (L, 203).

Die angeführten Primärtexte zeigen in zahlreichen Versuchsanordnungen genau dieses Problem und stellen Lösungsmöglichkeiten zur Disposition, auch und gerade durch Aussparung. Die Figuren und mit ihnen die LeserInnen sind auf der Suche nach einem post-romantischen Liebescode, der alle äußeren und inneren Widerstände aushält, die das Subjekt heute umtreiben.[19] Die Ich-Erzählerin von Sommerhaus, später entscheidet sich zwar gegen Stein, das renovierte Haus und die Provinz, damit auch gegen den romantischen Liebescode – aber dies wird durch die Erzählung als Verlust präsentiert.

Liebe im Film und anderswo

Ganz unabhängig von der Verfilmung literarischer Vorlagen – etwa von American Psycho aus dem Jahr 2000 und von Nichts als Gespenster aus dem Jahr 2007[20] – gilt für Filme das gleiche wie für alle anderen Fiktionen: Liebe ist ein bevorzugtes Thema oder zumindest ein wesentliches Motiv. Nur bei Songtexten ist die Fokussierung auf gerade dieses Thema wohl noch größer.

Es gibt immer wieder Filme, die besonderes Aufsehen erregen, weil sie Sexualität in einer Tabu brechenden Weise darstellen. Auch wenn im Laufe der Zeit der Tabubruch immer schwieriger geworden ist, können Filme (wie Bücher, etwa jene von Charlotte Roche) durch das explizite Zeigen (oder Beschreiben) von sexuellem Verhalten zumindest in Einzelfällen immer noch große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Pornographie sei hier ausgenommen, erstens wegen der von ihr vollzogenen Trennung von Liebe und (serieller, von der Individualität des Partners unabhängiger) Sexualität, zweitens wegen der geringen öffentlichen Beachtung, die ihr in den letzten Jahrzehnten zugekommen ist. Allerdings gibt es immer wieder Filme mit ästhetischem Anspruch, die an der Grenze zur Pornographie operieren, zumindest wird ihnen in einigen Rezeptionsdokumenten dies attestiert, man denke an Der letzte Tango in Paris (1972), Gefährliche Liebschaften (1989) und Basic Instinct (1992).[21] Hier soll nun in notwendiger Kürze auf Eyes Wide Shut (1999), Intimacy (2001) und Shortbus (2006) eingegangen werden.

Eyes Wide Shut [22] ist nicht zuletzt deshalb so bekannt, weil es sich um den letzten Film des Erfolgs- und Kultregisseurs Stanley Kubrick handelt und weil Kubrick eine weltberühmte Erzählung von Arthur Schnitzler adaptiert, die Traumnovelle (1925/26).[23] Kubrick verlegt die Handlung aus dem Europa zu Anfang des 20. Jahrhunderts in das Amerika am Ende des 20. Jahrhunderts. Der New Yorker Arzt William (Tom Cruise) führt mit seiner Frau Alice (Nicole Kidman) offenbar eine Bilderbuch-Ehe, die beiden sind wohlhabend, angesehen und scheinen sich bestens zu verstehen. Auf einer Party flirtet Alice mit Fremden, später sprechen beide über ihre Erfahrungen und Sehnsüchte. Alice gesteht ihrem Mann verborgene Ehebruch-Fantasien, William fühlt sich gedemütigt. Eifersüchtig geht er durch die Stadt und trifft einige Frauen, ohne mit ihnen eine Affäre zu haben, etwas kommt immer dazwischen. Schließlich lädt ein alter Schulfreund ihn zu einer geheimen Orgie ein, bei der sich Maskierte der anwesenden nackten Frauen bedienen. William wird entdeckt, eine geheimnisvolle Schöne setzt sich aber für ihn ein. Es stellt sich heraus, dass Victor Ziegler, der bei einer Party am Filmanfang mit einer jungen Frau Sex hatte, die an Drogen starb, William einschüchtern wollte. Anders als bei Schnitzler wird also eine Auflösung zumindest der wichtigsten Handlungselemente der Odyssee des Protagonisten angeboten. Der reiche Ziegler steht offenbar für den glamourösen Amoralismus seiner Zeit, während William und Alice, die sich am Schluss versprechen, ihre Beziehung neu und besser zu führen, den Widerpart bilden.

Kubricks Versuch, dem Stoff eine Moral zu geben, wird unterlaufen durch die – wenngleich virtuos inszenierte – Darstellung der Orgie. Die Kamera ist der ‚männliche Blick‘,[24] sie zeigt in einem ästhetisch eindrucksvollen Panorama Frauen als sexuelle Verfügungsobjekte. Dass William von der Orgie ausgeschlossen bleibt, ist eher Zufall und könnte auch als Zugeständnis des Regisseurs an das Publikum gewertet werden, diesem keinen radikalen Tabubruch zuzumuten – höchstens einen durch die ästhetische Überformung und sexuelle Nichterfüllung Williams stark geminderten (die Kamerafahrt entlang nackter Frauen wurde und wird in der Rezeption des Films zumindest als potentiell skandalös wahrgenommen).[25]

Die Handlung von Intimacy,[26] ein mit dem Goldenen Bären der Berlinale prämierter Film, lässt sich so zusammenfassen: Barkeeper Jay (Mark Rylance) wird von einer Frau besucht (Kerry Fox), mit der er einmal Sex hatte; sie hat nun wieder Sex mit ihm und kommt regelmäßig zu ihm, ohne dass mehr als wenige belanglose Worte ausgetauscht werden. Jay hat sich von seiner Familie getrennt, er lebt in den Tag hinein, wohnt in einem Reihenhaus in London und ist mit der stillschweigenden Regelung zunächst einverstanden. Dann aber wird er neugierig und folgt ihr, um festzustellen, dass sie mit dem schlichten Taxifahrer Andy (Timothy Spall) verheiratet ist und einen Sohn hat. Jay ist betroffen, sein Interesse an ihr scheint über den wöchentlichen Geschlechtsverkehr hinauszugehen und er möchte eine Beziehung. Claire bekommt mit, dass er ihr nachspioniert hat, sie bricht den Kontakt ab. Beide sind nicht dazu in der Lage, dem anderen – oder sich selbst – Rechenschaft über ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse zu geben. Insofern lässt sich argumentieren, dass Intimacy kein Film ist, der zeigt, dass „die Utopie der Vereinigung“ in die „Tyrannei der Intimität umgeschlagen“ ist.[27] Vielmehr scheint die Handlung gerade wegen der Trostlosigkeit des Settings und der Sprachlosigkeit der Figuren das zu betonen, was absent ist – eine funktionierende Liebesbeziehung, die den Wunsch nach Sex und dauerhafter Bindung gleichermaßen befriedigt. Anders als bei anderen Filmen ist der in Intimacy dargestellte Sex eher verstörend, da bei dem Akt des Zusammenkommens die Figuren gerade nicht zusammenkommen, weil ihre Körper, von dem Ausbruch sexueller Lust abgesehen, nicht miteinander kommunizieren. Der Film bemüht sich, soweit dies möglich ist, die potentielle sexuelle Erregung, die durch das Schauen entsteht, mit einer solche Störungen visualisierenden Darstellungsweise umzusetzen.

Shortbus[28] ist im Unterschied zu den anderen genannten Filmen mit Laienschauspielern gedreht worden und zeigt echten Sex, bewegt sich also bewusst auf der Grenze zur Pornographie, vermutlich um Authentizität zu erzeugen.[29] Allerdings fällt auf, dass auch hier die Figuren, in einer Zeit großer sexueller Freiheit, keineswegs sexuell befreit sind, sondern große Probleme mit ihrer Sexualität haben und dass sie nach einer Verbindung von Liebe und Sexualität suchen. Wie schon bei Eyes Wide Shut stellt sich auch bei diesem Film die Frage, ob die Zurschaustellung der Versuche, sexuelle Befriedigung und Partnerschaft zu finden, nicht eher das voyeuristische Interesse insbesondere der männlichen Zuschauer befriedigt als die Reflexion über die mögliche Varationensbreite von Liebesbeziehungen zu stimulieren.

Libretti, Songtexte und alle anderen Beigaben musikalischer Darbietungen leben zu einem großen Teil von der skizzierten, historisch gewachsenen Paradoxie der Liebe. Dieser Zusammenhang kann hier nur mit einem Beispiel angedeutet werden: Love the way you lie, ein Songtext von Eminem (feat. Rihanna), in der die männliche Figur schildert, dass sie sich oft mit ihrer Partnerin streitet und diese sogar schlägt, dass die Partnerin dabei Schmerz empfindet und der Mann ihr Schmerzen zufügt, sie aber zugleich auch grenzenlos liebt. Diese innere Zerrissenheit wird im Song nicht aufgelöst, sondern durch den Song, in Musik und Gesang ausgelebt. Es gibt keinen Schluss, man kann sich vorstellen, dass die Beziehung so weitergeht, doch konstatiert die weibliche Stimme auch am Ende des Songs, dass sie die Schmerzen und die Spannungen, um des anderen willen, aushält.[30] Der Trennung steht nur der Dauerkonflikt als potentiell bessere Lösung entgegen – eine Wahl, die zu wenig Optimismus Anlass gibt, die aber auch alternativlos scheint, weil um Beziehungsarbeit selbst in einer radikal individualisierten Welt offenbar kein Weg herumführt: „You don’t get another chance. / Life is no Nintendo game.“[31] Der Song korrespondiert offenbar mit autobiographischen Erfahrungen der beiden Interpreten; hier ein Auszug aus einem Zeitungsartikel über Rihanna:

Im Februar 2009 veröffentlichte das Promi-Portal ‚TMZ‘ ein Foto der heute 24-Jährigen [Rihanna], das sie mit einem blauen Auge und aufgeplatzter Lippe zeigte. Wer hatte sie vermöbelt? Genannter Sängerknabe Chris Brown. Es folgten fünf Jahre Haft auf Bewährung sowie die Auflage, stets 45 Meter Abstand zu seiner Ex-Freundin zu halten.[32]

Liebe international

Schon eine alte Volksballade wusste, dass Liebende oft nicht zusammen kommen, weil das Wasser zwischen ihnen zu tief ist.[33] Auch wenn nicht jede/r, wie in der Ballade, beim Versuch zu schwimmen stirbt, so ist es heute offenbar noch gefährlicher geworden, sich zum geliebten Gegenüber zu begeben. Da scheint es eine erwägenswerte Alternative, es gar nicht erst mit dem Schwimmen zu versuchen, denn Sex lässt sich ja auch ohne Liebe haben. Allerdings hinterlässt, wie beispielhaft gezeigt, ein solches Verhalten nicht weniger unbefriedigte Figuren.

Das skizzierte Codeproblem wird in vielen, wenn nicht in allen westlichen Literaturen verhandelt, entsprechende Verweise finden sich bereits in den genannten Texten, etwa in der Erzählung Sommerhaus, später, wenn es über den Zeitvertreib der Ich-Erzählerin heißt: „Wir hörten Paolo Conte aus Heinzes Ghettoblaster, schluckten Ecstasy und lasen uns die besten Stellen aus Bret Easton Ellis[‘] American Psycho vor.“[34] Neben Ellis gilt Michel Houellebecq als international bedeutender, das Thema Liebe in besonders radikalen Darstellungen verhandelnder Autor.

In dem Roman Plattform von 2001 macht der farblose kleine Beamte Michel eine Reise nach Thailand und genießt dort die sexuelle Freizügigkeit, nicht ohne über die Unmöglichkeit einer funktionierenden Liebesbeziehung in Europa nachzudenken. Nach seiner Rückkehr verliebt er sich in seine Mitreisende Valérie und scheint sein Urteil zu revidieren, allerdings sollte man die distanzierende Ironie der Textstelle beachten: „Ich hätte nie gedacht, daß es mir eines Tages Spaß machen könnte zu kochen. Die Liebe heiligt so manches.“[35] Schon am Anfang der scheinbar perfekten Beziehung deuten Valéries folgende Worte an Michel auf das Scheitern voraus:

„Ich bin glücklich mit dir, ich glaube, du bist der Mann meines Lebens, und im Grunde möchte ich mich damit zufriedengeben. Ich bin in ein System verstrickt, das mir nicht mehr allzuviel gibt und von dem ich im übrigen weiß, daß es unnötig ist; aber ich weiß nicht, wie ich ihm entkommen soll.“[36]

Houellebecq radikalisiert die Spannung zwischen dem romantischen Liebescode und der heutigen Zeit, indem er den Wunsch der Figuren nach einer dauerhaften Liebesbeziehung mit dem Anspruch auf Ausleben der eigenen Individualität, und das heißt heute vor allem: Sexualität, konfrontiert und das Scheitern des Versuchs einem nicht näher benannten ‚System‘, wohl der globalisierten Gesellschaft, anlastet. Eine solche unspezifische, das Subjekt als Unterworfenes präsentierende Projektion hinterlässt aber wohl auch nach Reflexionsstimulanz suchende, unbefriedigte LeserInnen.

Fazit: Vom Suchen und Finden der Liebe

Das Thema Liebe wird in der Literatur verhandelt, seit es Literatur gibt, im Film, seit es Filme gibt und im Lied, seit es Lieder gibt. Zwar lässt sich beobachten, dass sich der Liebescode zur Gegenwart hin verändert hat – die romantische Liebe ist immer noch das Ideal, aber ihre Paradoxien werden immer sichtbarer. Liebe gibt aber weiterhin das Gefühl, lebendig zu sein, wohl deshalb wird der Liebe so oft der Tod als Antagonist gegenübergestellt. Der Songtext Das hat die Welt noch nicht gesehen der Söhne Mannheims zeigt dies einmal mehr auf populäre Weise:

Das hat die Welt noch nicht gesehen.
Trotzdem ist Liebe wunderschön,
ist unsichtbar und trotzdem da.
Freude und Leid das ganze Jahr,
man nimmt das Leben sonst nicht wahr.[37]

Liebe bedeutet gesteigerte Lebendigkeit, eine Steigerung des graduellen Gefühls, den Tod überwunden zu haben – eine illusio, die zu den Paradoxien des Menschseins gehört.

Im Gegensatz zu den vorgestellten Liebesbeziehungen, die wegen des problematisch gewordenen Liebescodes nicht funktionieren, stehen zahlreiche Fiktionen, die eine geglückte romantische Liebe vorführen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gehen solche Fiktionen von einer naiven Leserperspektive aus, die die Problematik nicht wahrhaben will, dann sind die Texte trivial – das Genre des Liebesromans ist und bleibt besonders populär. Es ließe sich außerdem fragen, ob nicht auch zahlreiche im Feuilleton positiv besprochene Texte zu dieser Gruppe gehören, von denen bereits einige erwähnt wurden. Viele Texte vermeiden zwar die Häufung von Klischees und trivialen Formulierungen, können ihre Schablonenhaftigkeit und sprachliche Einfachheit aber kaum verbergen und punkten etwa durch medienwirksam inszenierte Skandalisierungen.

Die zweite Möglichkeit ist, dass Literatur auf originelle Weise mit dem Liebescode und mit seinen Problemen spielt. Das kann, wie in Raoul Schrotts Roman Tristan da Cunha und in vielen anderen Texten, negativ ausgehen, es kann aber auch in die ersehnte Liebesbeziehung münden. Oder das Ende kann offen bleiben, wie in Herrndorfs Bilder deiner großen Liebe.

Das literarische Spiel mit der Liebe kann sich zudem durch Anspielung und Aussparung vollziehen. Felicitas Hoppe – die sich entsprechender Techniken bedient – hat es „die Aufladung des Textes durch die Präsenz der Abwesenheit“ genannt.[38] In Hoppes komplexen Texten gibt es zahlreiche Liebespaare, aber wie und weshalb sie sich lieben, bleibt der Fantasie der LeserInnen überlassen. Die Texte vermeiden nicht nur konkrete Zuschreibungen, sie verzichten auch darauf, Optionen zu skizzieren, zu diskutieren oder zu relativieren. Der Roman Hoppe von 2012 zeichnet zwar mehrere Liebesbeziehungen der Hauptfigur, ihre Relevanz für Identität und Lebensweg der Protagonistin bleibt aber offen, auch wenn sich zweifellos verschiedene Indizienketten bilden und diskutieren ließen. Da ist zum einen der kanadische Eishockeyspieler Wayne Gretzky, den es auch außerhalb des Textes gibt und in den sich bereits das Kind Hoppe verliebt. Freilich als literarische Erzählung innerhalb des Romans markiert, wird die Geschichte der ersten großen Liebe der 14jährigen zu dem blinden, kaum älteren Jungen Joey Blyton geschildert. In diesem Text im Text heißt es beispielsweise: „Anstatt weiterzugehen, blieben wir sitzen, Hand in Hand, während zum ersten Mal im Leben eine Hand mir sagt, dass ich mich nicht mehr fürchten muss, weil an mir wirklich was dran ist und eine flüsternde Stimme behauptet, ich sei wirklich schön.“[39]

Allerdings ist der, der es behauptet, blind – wie so oft balanciert der Roman auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik, ganz abgesehen davon, dass die Konstruktion (die verschiedenen Ebenen des Erzählens und die Unsicherheit darüber, was innerhalb der Fiktion als ‚wahr‘ gelten kann) die LeserInnen ermächtigt, den Text in einer für sie gemäßen Weise zu aktualisieren.

Hoppes Roman Johanna von 2006 setzt ein entsprechendes Signal ganz an den Schluss, er endet mit der Andeutung einer näheren Beziehung der Ich-Erzählerin und einer Figur namens Peitsche, wobei offen bleibt, wie weit die Annäherung gehen wird: „Und morgen, falls es das Wetter erlaubt, werden wir uns duzen.“[40] Wieder bleibt außerdem (kalkuliert) offen, ob man die Stelle ironisch verstehen sollte.

Das Wetter kann zur Überleitung auf einen anderen Roman dienen. Nicht nur die Satire, auch die Parodie darf frei nach Kurt Tucholsky alles und ihr ist es sogar möglich, den romantischen Liebescode zu retten. Vor allem durch das Distanz erzeugende Mittel der Ironie kann sie ihn neu erschaffen, das zeigt Wolf Haas in seinem geistreichen, 2006 erschienenen Roman Das Wetter vor 15 Jahren. Vittorio Kowalski erobert auf spektakuläre Weise seine Jugendliebe Anni zurück, allerdings erfährt dies der Leser nur durch ein Gespräch zwischen einer „Literaturbeilage“ genannten Kritikerin und einer Autorfigur namens „Wolf Haas“. Der virtuos-hypertrophe Gebrauch von gängigen Symbolen macht den Gesprächs-Roman zu einem besonderen Leseerlebnis. Vittorio sprengt sich aus einer Höhle frei, in der er einst mit Anni sein erstes Liebeserlebnis hatte. Mit einem Auszug aus dem Dialog über die Liebes-Symbolik kommt auch dieser Beitrag zu seinem Finale:

Literaturbeilage Spritzende Vulkane, penetrantes tock tock tock, das sind alles Sachen, die nicht mit Küssen einhergehen, Herr Haas.

Wolf Haas Nein, also die Klopfzeichen, die waren sicher nicht so gemeint. Das wäre ja peinlich.

Literaturbeilage […] Herr Haas, was hat sich in den Minuten, als Herr Bonati verzweifelt an den verriegelten Eingang seines Schmugglerlagers hämmerte, würklich [sic] zwischen den beiden Kindern abgespielt?[41]

Das verrät der Autor aber erst, nachdem die Journalistin ihr Mikrofon abgeschaltet hat.

Anmerkungen

[1] Noah and the Whale: Peaceful, the world lays me down. Mercury Records 2008, Track 1.

[2] Die nachfolgenden Ausführungen sind die überarbeitete und gekürzte Fassung des folgenden Aufsatzes: Stefan Neuhaus: Paarbildungen. Figurationen der Liebe in Gegenwartsliteratur und -film. In: Ders. (Hg.): Figurationen der Liebe in Geschichte und Gegenwart, Kultur und Gesellschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 2012 (Film – Medium – Diskurs, Bd. 43), S. 273-292.

Ich erlaube mir außerdem, summarisch-bibliographisch auf meine bisherigen weiteren Publikationen zum Thema hinzuweisen: Sexualität im Diskurs der Literatur. Tübingen u. Basel: Francke 2002. / Oliver Jahraus u. Stefan Neuhaus (Hg.): Der erotische Film. Zur medialen Codierung von Ästhetik, Sexualität und Gewalt. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003 (Film – Medium – Diskurs, Bd. 1); darin: (zus. mit Oliver Jahraus:) Ent-Hüllung eines Genres: Der erotische Film, S. 7-15; „How did they ever make a movie of Lolita?“, S. 17-34; „Das Thema polarisiert das Publikum“: Solo für Klarinette, S. 153-167. / Liebe. In: Bettina v. Jagow u. Florian Steger (Hg.): Literatur und Medizin. Ein Lexikon. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, Sp. 497-502. / Tabu und Tabubruch im erotischen Film. In: Michael Braun (Hg.): Tabu und Tabubruch in Literatur und Film. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006 (Film – Medium – Diskurs, Bd. 20), S. 137-150. / „Ihre Möpse sind weich. Ungewöhnlich schön liegen sie in der Hand.“ Zur Funktionalisierung von Erotik und Sexualität in der Gegenwartsliteratur. In: Doris Moser u. Kalina Kupczynska (Hg.): Die Lust im Text. Eros in Sprache und Literatur. Wien: Praesens 2009 (Stimulus. Mitteilungen der Österr. Gesellschaft für Germanistik 2008), S. 375-S. 387. / Figurationen der Liebe. In: SN (Hg.): Figurationen der Liebe in Geschichte und Gegenwart, Kultur und Gesellschaft, S. 5-17. / Liebesentwürfe in Literatur und Film. In: Anja Hartung (Hg.): Lieben und Altern. Die Konstitution von Alter(n)swirklichkeiten im Film. München: kopaed 2011 (Gesellschaft – Altern – Medien, Bd. 1), S. 73-92. / Was kommt nach der romantischen Liebe? Codierungen von Intimität im Liebesroman der Gegenwart. In: Rafał Pokrywka (Hg.): Der Liebesroman im 21. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2017 (Film – Medium – Diskurs, Bd. 80), S. 119-138. / Sachliche Romanzen: Lebensformen der Liebe. In: Kathrin Schuchmann u. Christopher Quadt (Hg.): Schliff. Literaturzeitschrift. Nr. 5: Lebensformen. München: edition text + kritik 2016, S. 148-160.

[3] Patrick Süskind: Über Liebe und Tod. Zürich: Diogenes 2005 (detebe 23589), S. 7.

[4] Welche Verwirrung auch in der Wissenschaft herrscht, sobald es um das Thema Liebe geht, zeigt ein neuerer Sammelband, der Konzeptionalisierungen von Emotionen in Sprache und Literatur untersucht. Auch wenn viele Beiträge zu Liebe oder Trauer überzeugend zeigen, was der Titel des Bandes verspricht: nämlich dass und wie man solche Konzepte erkennen und beschreiben kann, sind die Herausgeberinnen dennoch der Meinung: „Ähnlich wie die Religion verweist die Liebe auf etwas Unerreichbares.“ Vgl. Lisanne Ebert, Carola Gruber, Benjamin Meisnitzer u. Sabine Rettinger (Hg.): Emotionale Grenzgänge. Konzeptualisierungen von Liebe, Trauer und Angst in Sprache und Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011, Einleitung S. 7-16, hier S. 10.

[5] Norbert Elias: Was ist Soziologie? 11. Aufl. Weinheim und München: Juventa 2009 (Grundfragen der Soziologie), S. 144.

[6] Diese Weichenstellung für Luhmann und eine literatursoziologische Perspektive bedeuten eben auch den Verzicht auf andere Interpretationsperspektiven, für die theoretische Überlegungen von Freud, Foucault oder anderen nutzbar gemacht werden könnten.

[7] Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. 5. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1999 (stw 1124) [Erstausgabe 1982], S. 9. Die Studie wird im folgenden Text abgekürzt zitiert mit der Sigle L und Seitenzahl.

[8] Solche Überlegungen wären einzubetten in den ‚emotional turn‘, wie ihn bereits vor 20 Jahren Thomas Anz skizziert hat, vgl. seinen Artikel: Plädoyer für eine kulturwissenschaftliche Emotionsforschung. Zur Resonanz von Daniel Golemans Emotionale Intelligenz und aus Anlaß neuerer Bücher zum Thema „Gefühle“. In: literaturkritik.de vom 01.02.1999, URL: https://literaturkritik.de/id/47 (abgerufen am 14.06.2019).

[9] Vgl. v.a. Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Übersetzt v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983 (Sexualität und Wahrheit, Bd. 1).

[10] Vgl. z.B. (es gibt zahlreiche Publikationen der Autorin zum Thema) Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Aus dem Engl. v. Michael Adrian. 2. Aufl. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 23.

[11] Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1539).

[12] Vgl. Helmut Krausser: Die letzten schönen Tage. Roman. Köln: DuMont 2011.

[13] Wolfgang Höbel: Das gute, beschissene Leben. Junge Autoren öffnen Plattenschränke und Diskothekentüren, um vom Zustand ihrer Generation zu erzählen. Die Berlinerin Judith Hermann schafft es – ganz ohne popmoderne Prahlerei. In: Der Spiegel v. 7. Dezember 1998.

[14] Jenny Hoch: Man nennt es Hirngespinst. Road-Movie „Nichts als Gespenster“. In Spiegel online v. 28.11.2007, http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,519996,00.html (abgerufen am 23.6.2010).

[15] Judith Hermann: Sommerhaus, später. 11. Aufl. Frankfurt/Main: S. Fischer 2006 (Fischer-TB 14770), S. 139.

[16] Ebd., S. 156.

[17] Zu diesem Kontext vgl. Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003 (edition suhrkamp 2432) [Erstausgabe 1986]; ders. u. Elisabeth Beck-Gersheim (Hg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt a. Main: Suhrkamp 1994 (Edition Suhrkamp 1816); Zymunt Bauman: Flüchtige Moderne. Aus dem Engl. v. Reinhard Kreissl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003 (es 2447); ders.: Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. Aus dem Engl. v. Richard Barth. Hamburg: Hamburger Edition 2008; Manfred Prisching: Das Selbst – die Maske – der Bluff. Über die Inszenierung der eigenen Person. Wien u.a.: Molden 2009.

[18] Vgl. hierzu z.B. Volkmar Sigusch: Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Frankfurt/New York: Campus 2005; Jörg Metelmann (Hg.): Porno-Pop. Sex in der Oberflächenwelt. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005 (Film – Medium – Diskurs 8). Zur Geschichte der Sexualität vgl. Franz X. Eder: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. 2., erw. Aufl. München: C.H. Beck 2009 (becksche reihe 1453) [Erstausgabe 2002].

[19] Zur literarischen Auseinandersetzung mit dem Thema Subjekt und Postmoderne vgl. auch folgende Studien, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Britta Minges: Patchworkfamilien in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Innsbruck: StudienVerlag 2010 (Angewandte Literaturwissenschaft 6); Friederike Gösweiner: Einsamkeit in der jungen deutschsprachigen Literatur der Gegenwart. Innsbruck: StudienVerlag 2010 (Angewandte Literaturwissenschaft 9); Eva-Maria Schertler: Tod und Trauer in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Innsbruck: StudienVerlag 2011 (Angewandte Literaturwissenschaft, 12).

[20] Vgl. Neuhaus: Liebesentwürfe in Literatur und Film, S. 80-87.

[21] Vgl. Neuhaus: Tabu und Tabubruch im erotischen Film, S. 141-145.

[22] Eyes Wide Shut. USA / Großbritannien 1999. Regie: Stanley Kubrick. Drehbuch: Stanley Kubrick [und Frederic Raphael, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Eyes_Wide_Shut, abgerufen am 9.9.2011) nach der Vorlage von Arthur Schnitzler. Kamera: Larry Smith. Musik: Jocelyn Pook, Dmitri Schostakowitsch, György Ligeti, Chris Isaak. Produktion: Stanley Kubrick/Warner Bros. Länge: 155 Min. Darsteller: Tom Cruise, Nicole Kidman, Marie Richardson, Madison Eginton, Jackie Sawiris, Sydney Pollack. Vgl. Das große TV Spielfilm Filmlexikon. Alle Top-Filme von A bis Z. Berlin: Directmedia 2006 (Digitale Bibliothek, Sonderband), S. 3752f.

[23] Zu Film und Vorlage vgl. Oliver Jahraus: Der Film als Traum und der Voyeurismus des Zuschauers – Stanley Kubricks Verfilmung Eyes Wide Shut von Arthur Schnitzlers Traumnovelle. In: Jahraus / Neuhaus (Hg.): Der erotische Film, S. 169-187.

[24] Vgl. Laura Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino. In: Liliane Weissberg (Hg.): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt/M.: S. Fischer 1994, S. 48-65.

[25] Zum inszenierten Skandal(versuch) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Eyes_Wide_Shut, abgerufen am 9.9.2011: „1995 kündigte Warner Bros. Eyes Wide Shut als ‚eine Geschichte über sexuelle Eifersucht und Obsession, mit Tom Cruise und Nicole Kidman in den Hauptrollen‘ an. In den folgenden Jahren gab es nur wenig weitere Informationen und es kamen unterschiedliche Gerüchte in Umlauf. So hieß es, dass Cruise und Kidman Psychiater spielen würden, die sich auf sexuelle Beziehungen mit ihren Patienten einlassen, oder dass Tom Cruise in einer Szene ein Kleid tragen würde. Auch das Gerücht, dass der Film Sexszenen zwischen Nicole Kidman und Tom Cruise beinhalte, hielt sich lange. […] Auch der von Kubrick geschnittene Trailer enthielt viele Szenen, in denen Cruise und Kidman flirtend, küssend und nackt zu sehen sind, und heizte damit die Erwartungen des Publikums weiter an.“

[26] Intimacy. Frankreich 2001, Regie: Patrice Chéreau. Drehbuch: Patrice Chéreau, Anne-Louise Trividic. Kamera: Eric Gautier. Musik: Eric Neveux. Produktion: Charles Gassot/Telema Productions/Studio Canal/Arte France Cinéma/France 2 CinémaWDR/arte/Mikado Films/Azor Films. Länge: 119 Min. Darsteller: Kerry Fox, Mark Rylance, Timothy Spall, Marianne Faithfull, Philippe Calvario. Vgl. Das große TV Spielfilm Filmlexikon. Alle Top-Filme von A bis Z. Berlin: Directmedia 2006 (Digitale Bibliothek, Sonderband), S. 6463f.

[27] Vgl. Jörg Metelmann: Post coitum vir tristis. Über Intimacy, Männerkrisen und die Tyrannei der Sexualität. In: Oliver Jahraus u. Stefan Neuhaus: Der erotische Film. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003 (Film – Medium – Diskurs 1), S. 189-203, hier S. 203.

[28] Shortbus. USA 2006, Regie: John Cameron Mitchell. Drehbuch: John Cameron Mitchell. Musik: Yo La Tengo, Scott Matthew. Kamera: Frank G. DeMarco. Schnitt: Brian A. Kates. Besetzung: Jay Brannan, Lindsay Beamish, PJ DeBoy, Raphael Barker, Paul Dawson, Peter Stickles, Sook-Yin Lee. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Shortbus, abgerufen am 9.9.2011.

[29] Ebd.

[30] Vgl. Eminem: Recovery. Interscope (Universal) 2010, Track 15.

[31] Ebd.

[32] Simone Höhn: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Die Sängerin Rihanna und ihr Prügel-Ex schäkern wieder. Hopfen und Malz scheinen da verloren. In: Stuttgarter Zeitung Nr. 46 v. 24.2.2012, S. 10.

[33] Hier der Anfang der Ballade Es waren zwei Königskinder: „Es waren zwei Königskinder, / die hatten einander so lieb, / sie konnten beisammen nicht kommen, / das Wasser war viel zu tief.“ Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Es_waren_zwei_Koenigskinder (abgerufen am 09.09.2011).

[34] Hermann: Sommerhaus, später, S. 153.

[35] Michel Houellebecq: Plattform. Roman. Deutsch von Uli Wittmann. 5. Aufl. Reinbek: Rowohlt 2009 (rororo 23395), S. 174.

[36] Ebd., S. 155.

[37] Söhne Mannheims: IZ ON. Tonpool 2009, Track 12.

[38] Vgl. Felicitas Hoppe: Sieben Schätze. Augsburger Vorlesungen. Frankfurt/Main: S. Fischer 2009, S. 57.

[39] Felicitas Hoppe: Hoppe. Roman. Frankfurt/Main: S. Fischer 2012, S. 160.

[40] Felicitas Hoppe: Johanna. Roman. Frankfurt/Main: S. Fischer 2006, S. 171.

[41] Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Roman. 3. Aufl. Hamburg: Hoffmann u. Campe 2006, S. 223.