Die Bürde der Unsterblichkeit

Mit „KA – Das Reich der Krähen“ legt John Crowley einen wortgewaltigen und bedeutungsschweren Fantasy-Roman vor

Von Laura RötheleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Röthele

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus Namen entsteht Bedeutung – diese Weisheit erlernt Dar Eichling von den Menschen. Der ungewöhnliche Protagonist aus John Crowleys neuem Fantasy-Roman KA – Das Reich der Krähen gibt sich als Erster seiner Art einen eigenen Namen und wird dadurch schon bald zu einer Legende unter den Krähen. Über Jahrhunderte hinweg bewegt er sich zwischen zwei Welten und tritt dabei immer wieder in Kontakt zu ausgewählten Menschen, bis er schließlich in einer nicht allzu fernen Zukunft einem einsamen, alten Mann seine Geschichte erzählt.

Für den Roman erhielt Crowley 2018 den Mythopoeic Award, der mythologische Elemente in fantastischen Werken ehrt. Der 76-Jährige ist bekannt für seine Wortgewandtheit und seine Liebe zur Sprache und Literatur, die sich in nahezu all seinen Werken niederschlägt. Auch inhaltlich beschäftigt er sich immer wieder mit Fragen der Erzählkunst und der Möglichkeit der Übersetzung von Worten in andere Sprachen. Insbesondere der Roman Die Übersetzerin setzt dies performativ um, doch auch mit KA – Das Reich der Krähen präsentiert Crowley einen hochgradig selbstreflexiven Text.

Das fast 600 Seiten lange Fantasy-Epos handelt von der unsterblichen Krähe Dar Eichling, die dem menschlichen Ich-Erzähler einen Einblick in ihre zahllosen Leben gewährt. Geboren wird sie in prähistorischen Zeiten, als das Krähenvolk zum ersten Mal mit Menschen in Berührung kommt. Von klein auf ist Eichling von dem Wunsch getrieben, die Welt zu erkunden und seinen Horizont zu erweitern. So kommt es, dass er sich mit Fuchskopf anfreundet, einer Person, die er als Mädchen kennenlernt, die sich später jedoch selbst von einer eindeutigen Geschlechtszuschreibung distanziert. Sie bringt Eichling bei, mit den Menschen zu kommunizieren – eine Gabe, die ihn noch jahrhundertelang begleiten wird. Gemeinsam gelangen die beiden in den Besitz des sogenannten „höchst kostbaren Dings“, bei dem es sich um ein Mittel zur Erlangung von Unsterblichkeit handelt. Als Eichling dieses „Ding“ jedoch wieder verliert, verdammt er nicht nur Fuchskopf und ihr Volk zum Tode, sondern muss nun allein mit der Bürde eines unsterblichen Lebens zurechtkommen – und mit der niemals enden wollenden Suche nach dem Tod. Immer wieder stirbt er und wird neugeboren, nur um die Welt ein ums andere Mal verändert vorzufinden. Crowley gelingt hier die Rekonstruktion einiger bedeutsamer Stationen der Menschheitsgeschichte wie zum Beispiel der Entdeckung der Neuen Welt oder der Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner. All das filtert er durch die Augen einer Krähe, wodurch er eine gänzlich neue Perspektive auf das Menschsein richtet.

Der Ich-Erzähler tritt in erster Linie als Übersetzer auf, um Eichlings Schilderungen in die Menschensprache zu übertragen. Da Krähen anders denken und wahrnehmen, ist der Text von originellen Wortneuschöpfungen geprägt wie zum Beispiel „tagwärts“, „dunkelwärts“ und „schnabelwärts“ als Pendants zu den menschlichen Himmelsrichtungen. Die Neologismen tragen zur Glaubwürdigkeit des Übersetzungsaktes bei und zeigen darüber hinaus, wie gut Crowley sich in seinen nicht-menschlichen Protagonisten hineindenkt. Er lässt Eichling über die Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Menschen reflektieren, insbesondere über ihre Beziehung zum Tod, die sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Ebenso wandelt sich die Rolle der Krähe selbst – vom ehrwürdigen Totenvogel, der die Menschen am Ende ihres Lebens in die Anderswelt führt, zum bösen Geist, dem nachgesagt wird, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, bis hin zum Parasiten, der von den Menschen gejagt und getötet wird.

Eichling ist das Bindeglied zwischen zwei Welten; immer wieder springt er zwischen dem Reich der Krähen und dem Reich der Menschen hin und her, ohne sich jedoch wirklich jemals zu Hause zu fühlen. Über die Jahrhunderte hinweg findet er zwar viele Freunde und Partnerinnen, dennoch ist und bleibt er ein Einzelgänger. Die Unsterblichkeit ist für ihn mehr Fluch als Segen und keineswegs das „höchst kostbare Ding“, das die Menschen sich davon versprechen. So wird der Tod zum zentralen Element der Erzählung: Eichling ist stets auf der Suche nach ihm, und auch die Menschen, zu denen er eine Verbindung aufbaut, haben alle eine besondere Beziehung zum Tod. Der Ich-Erzähler hat beispielsweise seine Frau verloren und will ihr am Ende des Romans mit Eichlings Hilfe nachfolgen. Andere Figuren treten dagegen in einem religiösen Kontext auf, zum Beispiel ein Mönch, an dessen Seite Eichling buchstäblich durch die Hölle geht.

Das zweite Element, das Menschen und Krähen miteinander verbindet, ist schließlich die Kunst des Geschichtenerzählens: „Menschen lebten mit Geschichten. Wie auf Pfaden konnte man mit ihnen in jede Richtung gehen, aber sie gingen immer vom Anfang bis zum Ende.“ Eichling lässt sich von dieser Kunst inspirieren und entwickelt sich im Laufe seiner vielen Leben selbst zu einem begnadeten Geschichtenerzähler. Dadurch findet er wiederum Einzug in die Geschichten der Menschen, da sich schon bald Legenden um ihn ranken und er selbst zum Protagonisten wird. Somit konstruiert Crowley mit KA – Das Reich der Krähen eine fiktive Biografie.

Der Roman überzeugt mit großem Detailreichtum und einem philosophischen Blick auf die Weltgeschichte. Stellenweise nimmt er einen düsteren, fast schon schaurigen Ton an, der ihn eindeutig im Genre der Fantastik verortet. Dennoch greift Crowley auch Elemente des historischen Romans oder Sachbuchs auf. Seine Sprache ist poetisch, hochliterarisch und verlangt den Leser*innen einiges ab. Die Handlung selbst ist weniger komplex; es gibt weder geschickt konstruierte Erzählstränge noch spannende Cliffhanger oder Erwartungen, die gebrochen werden. Der Autor erzählt die Geschichte seiner Krähe auf eine simple und lineare Art, erweist sich dafür aber umso geschickter im Umgang mit Sprache und Stil. Mehr noch als seine anderen Romane geht KA – Das Reich der Krähen über die Grenzen reiner Unterhaltungsliteratur hinaus. Indem Crowley der Sprache einen so hohen Stellenwert beimisst, vermittelt er zugleich die Grundbotschaft des Romans: Wahre Unsterblichkeit erlangt man nur durch das Erzählen von Geschichten.

Titelbild

John Crowley: KA – Das Reich der Krähen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Annette Charpentier.
Golkonda, Berlin 2018.
571 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783946503453

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch