Ein Frauenlob für das 21. Jahrhundert

Claudia Lauer und Uta Strömer-Caysa widmen sich den Werken Heinrichs von Meißen

Von Albrecht ClassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Classen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei manchen Dichtern des Mittelalters hat es viele Jahrhunderte gedauert, bis sie heutzutage eine adäquate Anerkennung gefunden haben. Viele schlummern weiterhin verborgen in den Archiven oder gehören einfach zu den vergessenen Lyrikern oder Dichtern anderer Gattungen. Dies war auch bei Heinrich von Meißen, besser bekannt als Frauenlob, lange Zeit der Fall. Dessen Minneleich wurde zum Beispiel erst 2006 in einer englischen Übersetzung dem anglophonen Publikum bekannt gemacht (Barbara Newman, Frauenlob’s Song of Songs), was keine bemerkenswerte Reaktion in der Forschung oder Lehre hervorrief. In der deutschen wissenschaftlichen Landschaft sieht es etwas besser aus, aber Frauenlob bleibt weiterhin eine schwer zu knackende Nuss, weswegen die Publikation des neuen Handbuch Frauenlob, termingerecht zu seinem 700jährigen Todesjahr (1318) auf den Markt gebracht, sehr zu begrüßen ist, auch wenn es nicht unbedingt innovative Erkenntnisse bietet und mehr darauf gerichtet ist, die Grundlagen für die weitere Erforschung dieses Dichters zu schaffen.

Die Nachwelt, vor allem die protestantisch ausgerichtete, konnte wenig mit diesem großartigen Mariendichter anfangen, der häufig das Prinzip der Hermetik einsetzt und einen höchst abstrakten, wenn nicht obskuren Stil benutzt, den wir erst heute als eine erstaunliche esoterische Leistung einzuschätzen vermögen. Im Spätmittelalter rechnete man aber Heinrich von Meissen zu den zwölf alten Meistern, auch wenn man wohl nur noch wenig mit ihm anzufangen wusste. Die heutige Forschungslage sieht nun ganz anders aus, aber es bleiben viele Desiderata, die im vorliegenden Handbuch in sehr gediegener Art und Weise angegangen werden.

Nach einer soliden Einleitung, die auch den Forderungen etwa von Fritz Peter Knapp (Blüte der europäischen Literatur des Hochmittelalters, Bd. 3, 2019) nachkommt, endlich deutschsprachige Dichter stärker auch im europäischen Kontext zu betrachten, werden die folgenden Themengruppen behandelt: I. Texte (Handschriften und Editionen; Burghart Wachinger) und Metrik/Melodien (Horst Brunner); II. Gattungen, das heißt Leichdichtung (Jens Haustein), Sangspruchdichtung (Claudia Lauer) und Minnelieder (Annette Gerok-Reiter); III. systematische Aspekte, das heißt Frauenlob als Theologe und Philosoph (Christoph Huber) beziehungsweise Frauenlobs ‘Geblümter Stil’ (Sabine Obermaier); und zuletzt IV. die Rezeption des Dichters im 18. und 19. Jahrhundert (Franziska Wenzel zu Frauenlobs Rolle im Meistergesang; Dennis Disselhoff zur Funktion Frauenlobs auf der Opernbühne; Marco Lehmann zur Rezeption Frauenlobs seit dem 18. Jahrhundert bezogen auf seine Grablegung beziehungsweise seine ganze Biographie). Lehmann betont zu Recht, dass Frauenlob im 20. Jahrhundert praktisch jegliche Relevanz verlor, weil sein Frauenideal, das dem von Friedrich Schiller noch nahegestanden habe, zu dem Zeitpunkt aber keine Gültigkeit mehr beanspruchen konnte. Die einzige Ausnahme, die Lehmann ausfindig machen konnte, besteht in der poetischen Anverwandlung Frauenlobs durch Ulrich Koch (in Unmögliche Liebe).

Kritik lässt sich kaum an den einzelnen Beiträgen formulieren. Das sehr zu lobende Bemühen, den globalen Kontext der europäischen Dichtung des 13. Jahrhunderts mit zu beleuchten, habe ich bereits hervorgehoben. Zu Wachingers Untersuchung der Handschriften und Editionen könnte vielleicht bemängelt werden, dass eine tabellarische Übersicht letztlich hilfreich gewesen wäre. Die Gattung des Leichs ist nicht leicht zu definieren, und es wäre wünschenswert gewesen, wenn Haustein dem Leser eine etwas explizitere Hilfestellung geboten hätte. Dass Frauenlob stark theologische Themen verarbeitete und damit eine solide geistliche Ausbildung zu erkennen gab, überrascht wenig, aber Hubers Behauptung, er habe auch umfangreich philosophische Reflexionen integriert, lässt sich nicht so recht nachvollziehen.

Der sehr zu begrüßende Band schafft wichtige Grundlagen für die zukünftige Forschung, auch wenn hier nur relativ wenige analytische Ansätze verfolgt werden. Er schließt mit einer Auswahlbibliographie, einem Abbildungsverzeichnis, einem Verzeichnis der behandelten Frauenlob-Texte und einem Verzeichnis der erwähnten Dichter, Sänger und Autoren. Diese Liste bezieht sich aber nur auf die deutschsprachigen Dichter, während all diejenigen, die vergleichend in der Einleitung genannt werden, hier einfach wegfallen. Die modernen Rezipienten erscheinen ebenfalls nicht, was der eingangs entworfenen Perspektive deutlich widerspricht.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Uta Störmer-Caysa / Claudia Lauer (Hg.): Handbuch Frauenlob. Unter Mitarbeit von Anna Sara Lahr.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2018.
285 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783825369521

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