Survival of the fittest: Vom Überleben eines Buches

Über die Neuübersetzung von Charles Darwins „Entstehung der Arten“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im November 1859 erschien Charles Darwins Werk On the Origin of Species. Das Buch bildet die grundlegende Basis seiner Evolutionstheorie. Bereits nach kurzer Zeit war diese erste Auflage vergriffen. Darwin war zu dieser Zeit 50 Jahre alt, seine bahnbrechende Reise, die ihn auf der der Beagle von 1831 bis 1836 einmal um den Globus führte, lag zu diesem Zeitpunkt ein Vierteljahrhundert zurück.

Darwin schrieb sein bekanntestes (und wirkmächtigstes) Werk mit großem zeitlichen Abstand zu seiner Expedition, über die er 1839 bereits einen vielgelesenen Reisebericht verfasst hatte. Darwin trug über Jahrzehnte akribisch Belege zusammen, die seine Theorie untermauerten, dass sich Lebewesen an ihren Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion anpassen. Auf diese Anpassung führt er die Entwicklung aller Organismen und ihre Aufspaltung in verschiedene Arten zurück.

Obwohl er sich bereits seit den 1840er Jahren mit diesem Themenkomplex beschäftigte, hielt er die Zeit erst 1859 reif für die Veröffentlichung von On the Origin of Species by Means of Natural Selection. Das Buch bildet die Grundlage der modernen Evolutionsbiologie und markiert den gravierenden Wendepunkt in der Geschichte der biologischen Wissenschaften.

Das Buch löste vor 160 Jahren eine Flut von Diskussionen, Rezensionen, Reaktionen und – nicht zuletzt – erbitterten Widerstand aus. Es fand viele Leser, sodass es zu Darwins Lebzeiten mehrfach aufgelegt wurde. Immer wieder modifizierte, bearbeitete und ergänzte Darwin die Neuauflagen. Zuletzt tat er das 1872, zehn Jahre vor seinem Tod. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine seiner umstrittensten Theorien veröffentlicht: The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex (Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl) in der er die Verwandtschaft des Menschen mit dem Affen herleitet.

Diese (sechste) Ausgabe des inhalts- und seitenschweren Werkes aus dem Jahr 1872 liegt der Neuübersetzung von Eike Schönfeld zugrunde, der sich mit der Übersetzung des Reiseberichtes Die Fahrt der Beagle (2006) bereits mit Charles Darwin beschäftigt hatte. Natürlich unterscheidet sich der Bericht des 30-jährigen Darwin über das Abenteuer seines Lebens erheblich von dem wissenschaftlichen Vermächtnis des gesetzten Wissenschaftlers. Darwin, selbst studierter Theologe, war selbstverständlich das Gewicht seines Werkes bewusst, stellte es doch die Grundfesten der christlichen Schöpfungslehre auf den Kopf.

So finden wir – auch in der von Eike Schönfeld bestellten Übersetzung – den ernsten, wissenschaftlichen Schreibstil eines Naturforschers, der in unerhörter Akribie seine Theorien bis ins kleinste Detail ausbuchstabiert. Das liest sich naturgemäß häufig etwas sperrig, bleibt jedoch stets präzise bis in die letzte Kleinigkeit.

Begleitet wurde Schönfeld, dem mit dieser Übertragung ein gut und flüssig lesbarer Text gelungen ist, bei seiner Übersetzungsarbeit von dem Evolutionsbiologen Josef H. Reichholf. Ergebnis dieser fruchtbringenden Zusammenarbeit sind einige Begrifflichkeiten, die sich von den bestehenden deutschen Ausgaben (Übersetzungen aus den Jahren 1860 und 1876) unterscheiden: So wird der Begriff „natural selection“ neutral mit „natürlicher Selektion“ übertragen (in den älteren Übersetzungen war von „Zuchtwahl“ bzw. „Züchtung“ die Rede). „Survival of the fittest“ übersetzten Schönfeld/Reichholf mit „Überleben der am besten Angepassten“ anstelle des älteren (und griffigeren, jedoch falschen) „Überleben des Stärksten“. Auch der Titelbegriff „origin“, früher mit „Entstehung“ übersetzt, wird in der vorliegenden Fassung mit „Herkunft“ übertragen.

Mit der deutschsprachigen Ausgabe von Schönfeld/Reichholf liegt nun eine sorgfältige Neuausgabe von Darwins Opus summum vor, die ein Muster an Akkuratesse und Sorgfalt ist. Man kann beim Lesen erahnen, wie sehr der Übersetzer Schönfeld und der Wissenschaftler Reichholf um Begriffe und Korrektheit en gros und en detail gerungen haben.

Josef H. Reichholf bietet eine knappe historische Einordnung des Buches und schlägt einen Bogen zum aktuellen Diskurs. Ansonsten wird der Leser nicht an die Hand genommen, sondern muss das 570 Seiten starke Leseprojekt Der Ursprung der Arten alleine schultern, ohne Anmerkungsapparat und mit nur einem Minimum an erläuternden Illustrationen. Für den botanisch-zoologisch ambitionierten Laien ist Der Ursprung der Arten daher eine echte Herausforderung, die im engen Verbund mit einem illustrierten Handapparat (oder einem Internetanschluss) jedoch durchaus früchtetragend ist.

Titelbild

Charles Darwin: Der Ursprung der Arten durch natürliche Selektion. Oder Die Erhaltung begünstigter Rassen im Existenzkampf.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld und mit einem Nachwort von Josef H. Reichholf.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018.
612 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783608961157

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