Nicht still bleiben, sondern dagegenhalten

Heinrich Detering zerlegt die Rhetorik der Rechten

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hochschullehrer und Wissenschaftler sind Teil der Gesellschaft. Warum sollten sie sich zurückhalten, wenn es gilt, ideologische Scharfmacher in die Schranken zu weisen? Der Göttinger Professor für Literaturwissenschaft, Heinrich Detering, hält sich angesichts rechtslastiger, geklitterter und zum Teil die Tatsachen verfälschender Verlautbarungen vor allem aus AfD-Kreisen nicht zurück. Präzise und mit professioneller Kompetenz analysiert er ihre Aussagen sowie Gestus und Stil ihres Sprechens und Kommunizierens. Er hätte den vorliegenden Text nicht schreiben müssen, hat es aber getan, weil totalitäre Ermächtigungsvorstellungen und krude Phantasien seitens der AfD und Pegida salonfähig werden. Seine Brandschrift Was heißt hier „wir“? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten, die die „Schlagwörter und Kampfvokabeln, kalkulierte provozierende Verstöße gegen Höflichkeitsregeln und Taktempfinden“ der parlamentarischen Rechten argumentativ zurückweist, will mithelfen, wichtige Themenfelder nicht denen zu überlassen, die Zwietracht säen, den politischen Diskurs mit Parolen verhexen und die Gesellschaft spalten wollen.

Angesichts dieser Sachlage ist der Autor von der Inanspruchnahme und eigentümlichen Verwendung des „wir“ von AfD-Vertretern und Vertreterinnen irritiert, ja abgestoßen. Auf wen genau beziehen sie das Pronomen, wen meint ihr „uns“ und „unser“? In viel diskutierten Reden, die Detering einer Neulektüre unterzieht, stehen „wir/uns/unser“ offenbar gleichbedeutend für „unser Volk“, „unser Vaterland“ und „unsere Kultur“. Die Phrasen sollten Aufschluss geben, welche Menschen die Sprecher und Sprecherinnen in das grundsätzlich komplizierte Kollektivsubjekt „Deutsches Volk“ aufnehmen und welche sie ausschließen. Das aber tun sie nicht, zumindest nicht eindeutig. AfD-Abgeordnete wie Alexander Gauland, Björn Höcke und Alice Weidel vermeiden es in brisanten Kontexten, klar Stellung zu beziehen, sie bringen stattdessen kalkulierte Mehrdeutigkeiten zum Ausdruck. Sie verstehen es, sich eine Hintertür offenzuhalten und ihre Statements, die wegen der aggressiven Stoßrichtung und zahlreichen Tabubrüchen oft auch schon auf der Wortebene für Schlagzeilen sorgen, wenn nötig zu relativieren und als ‚nicht so gemeint‘ zu verharmlosen. Die latenten Kommunikationsabsichten, die in dieser fuchsschlauen, vielleicht kann man sagen perfiden Doppelbödigkeit aufgehoben sind und zur Wirkung gelangen, ja gelangen sollen, legt der Autor bis zu den Wurzeln frei; die nicht auf Anhieb sichtbaren ideologischen Grundstrukturen verraten, wes Geistes Kind die Sprecher sind.

In sieben kurzen Kapiteln, die mit zahlreichen Zitaten O-Töne, Redeanlässe und Zuhörerreaktionen, offene und subtile Provokationen, Anspielungen, Unterstellungen und  Beleidigungen belegen, geht Detering zum Beispiel auf Reizwörter wie „Vogelschiss“, „Entsorgung“ und „Messermännern“ ein. Seine Interpretation, die angesichts der Tiefenbohrung in die syntaktischen, metaphorischen und argumentativen Kontexte aufdeckt, wie diese Nomen bewusst pejorativ und sogar menschenverachtend verwendet wurden, liefert den Nachweis, dass sie alles andere als verbale Ausrutscher waren. Das von vielen Repräsentanten der AfD mit demonstrativer Verachtung benutzte Wort „System“ und Komposita wie „Systempresse“ und „Systemparteien“ werden genau überprüft, ebenso die Zwecke, für die sich vor allem die extremen Rechten das Konzept der „kulturellen Identität“ angeeignet haben. Immer geht es um die Frage, was sich aus den rhetorischen Bestandsaufnahmen für die entsprechende „wir“-Bestimmung feststellen lässt. In der Nachbemerkung gibt der Autor unter anderem aufschlussreiche Reaktionen auf seine zuvor schon in unterschiedlichen Foren veröffentlichten Buchkapitel wieder. Neben anderem wurde ihm Gewalt angedroht, weil seine Sprachkritik überzeugend einen „schlecht verkleideten Jargon von Gangstern“ entlarvte, dessen sich Gauland und andere bedienen. In was für einem traurig-beängstigenden Zustand präsentiert sich hier die Anhängerschaft der desavouierten AfD-Spitze!

Die um sich greifende Maßlosigkeit in vielen Lebensbereichen, das zunehmende Wohlstandsgefälle, eine wachsende Geschichtsunkenntnis und -vergessenheit, all das ist besorgniserregend, weil dadurch die Gesellschaft polarisiert und der Gemeinschaftssinn ausgehöhlt werden. Den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ein Täter aus dem rechtsextremen Milieu ermordet (2. Juni 2019). Es ist wahrscheinlich, dass rhetorische Mobilmachung von rechts außen für dieses politische Verbrechen mit verantwortlich ist, weil sie die entsprechende Gesinnung bestärkt. Deterings Schrift kommt also zum rechten Zeitpunkt, wenn sie nicht überfällig ist. Der Wermutstropfen ist einmal mehr das Dilemma zwischen Anspruch und Wahrnehmung des Bändchens. Hier schreibt zwar niemand, der die Wortführer der Rechten mit intellektueller Ironie und Satire bloßstellen will, sondern jemand, der seiner Empörung sachbezogen und in deutlichen Worten Luft macht. Es ist aber eine gelehrte Klarstellung, denn der Literatur- und Sprachexperte Detering kann gar nicht anders als mit genauen Recherchen der AfD-Redekontexte sowie mit Verweisen auf die deutsche Geschichte, Vorgänge im deutschen Parlament, biologistisch-rassistische Denkmuster und Erfahrungen und Bekundungen weltoffener deutscher Persönlichkeiten zu kontern und Paroli zu bieten. Er aber muss gegen Personen argumentieren, die sich als ‚kleiner Mann der eingebildeten urdeutschen Wir-Gemeinschaft‘ gerieren, Plattitüden zum Besten geben und mit ‚Volkes Stimme‘ zu sprechen behaupten. Werden sich diese Leute der Konfrontation stellen? Leser, die Deterings Schrift in die Hand nehmen und seine Sicht auf die Dinge teilen, werden in ihrem Engagement gegen die extreme Rechte wie gegen jede extreme Gesinnung und Bewegung bestärkt. Diejenigen, die sich nicht mehr auf kritische Diskussionen einlassen, die Taten statt Worte fordern – und dazu gehören die radikalen Rechtsaußen von AfD und Pegida –, werden sich wahrscheinlich verweigern. Kulturen sind mehrstimmig, bunt und kompliziert, so auch die deutsche, daran werden AfD und Pegida nichts ändern. Ihr viel beschworenes „Wir“ aber, das nur sich selbst und ihresgleichen als vermeintlich ‚echte‘ Deutsche adressiert und unser Land ausschließlich für sich fordert, ist laut und aggressiv. Umso dringlicher ist es, nicht still zu bleiben und dagegenzuhalten, auch wenn der Protest hilflos und leise scheint.

Titelbild

Heinrich Detering: Was heißt hier »wir«? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten.
Reclam Verlag, Stuttgart 2019.
60 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-13: 9783150196199

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