Gedichte von Frauen vom Mittelalter bis heute

Hans Braam hat eine Sammlung nach quantitativen Kriterien zusammengestellt

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2004 hat Hans Braam auf der Grundlage von etwa 200 Gedichtsammlungen aus der Zweit zwischen 1693 bis 2004 die berühmtesten deutschen Gedichte ermittelt. Sein Sammelband hat bei Amazon in der Kategorie Lyrik-Anthologien den Bestseller-Rang 46 (Stand Juni 2019). In diese nach rein quantitativen Kriterien versammelte Blütenlese fanden nur Gedichte von sieben Dichterinnen Aufnahme. Das zeigt den den Frauen zugewiesenen Platz in der von Männern dominierten Literaturgeschichte.

Gut ein Jahrzehnt später hat Braam auf einer um etwa 50 weitere Sammlungen erweiterten Basis Die berühmtesten deutschen Gedichte von Frauen ermittelt. Dabei konnte leider der Nachweis der verwerteten Sammlungen gegenüber 2004 nach dem Tod von Hans Braam (2017) nicht mehr ergänzt werden. Jedenfalls liegt jetzt ein Band vor mit den in Anthologien am weitesten verbreiteten Gedichten von 44 Dichterinnen. Dieser neue Band hat übrigens den Amazon Bestseller-Rang 951 in derselben Kategorie.

Die gut 200 Gedichte sind chronologisch und nach ihren Verfasserinnen angeordnet. Ihnen vorangestellt ist ein lesenswertes und informatives Vorwort von Renate Möhrmann, das auf knappsten Raum die Stellung von Frauen im Literaturbetrieb und speziell in der Lyrik nachzeichnet. Dass es allerdings stimmt, dass im 20. Jahrhundert „die deutschen Dichterinnen in der Literaturgeschichte ebenso wie bei den Leserinnen und Lesern längst den ihnen gebührenden Platz gefunden“ haben, muss empirisch im Sinne Hans Braams erst erwiesen werden. Im Übrigen sind die Gedichte zwar deutsch, aber längst nicht alle der Dichterinnen.

Der Band setzt mit einem Text Mechthild von Magdeburgs, Die Wüste hat zwölf Ding, ein, der an die bemerkenswerte Gemeinsamkeit der mittelalterliche Mystik mit dem Taoismus erinnert. Anschließend ist mit Katharina Regina von Greiffenberg erst wieder eine Autorin aus dem 17. Jahrhundert vertreten. Den meisten Platz mit beinahe 50 von 190 Seiten in der Anthologie bekommt Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848). Nur wenige der vorgestellten Gedichte stammen von noch lebenden Dichterinnen: Es sind dies Texte von Friederike Mayröcker, Karin Kiwus, Ulla Hahn und Kerstin Hensel.

Anstoß zu vielfältigen Überlegungen können die im Anhang aufgeführten Indices geben. Dort findet sich etwa eine „Rangfolge der berühmtesten Gedichte nach Abdruckhäufigkeit“, die in sich differenziert ist in Gesamtabdruckzahl, Abdrucke bis 1860, zwischen 1860 und 1920, zwischen 1920 und 1950 sowie 1950 bis heute (2018). Dieser Index erlaubt gewisse Rückschlüsse auf  sich ändernde gesellschaftliche und ästhetische Parameter. Daneben gibt es noch ein Verzeichnis der „Gedichttittel und -anfänge nach Autorinnen“ und eines der Gedichttitel und -anfänge mit Abdruckhäufigkeit.

Das handwerklich schön gemachte Buch mit Lesebändchen vermag darüber hinaus in vielen Fällen für Leserinnen und Leser den Wunsch (die Prophezeiung) von Sarah Kirschs Vers „Morgen wirst du im Paradies mit mir sein“ erfüllen.

Titelbild

Hans Braam / Renate Möhrmann (Hg.): Die berühmtesten deutschen Gedichte von Frauen. Auf der Grundlage von 250 Gedichtsammlungen ermittelt und zusammengestellt von Hans Braam.
Mit einem Vorwort von Renate Möhrmann.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2018.
224 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783520867018

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