Gerechtigkeit für Lotte Laserstein
Das Frankfurter Städel Museum und die Berlinische Galerie ehren die Malerin mit einer Ausstellung
Von Walter Delabar
Ihre Karriere wurde harsch beendet, bevor sie richtig hatte beginnen können. Seit einigen Jahren nun erfährt die Malerin Lotte Laserstein, 1898 in Ostpreußen geboren, verstorben 1993 in Schweden, die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Warum? Ganz einfach, in Lotte Laserstein wird vor allem die junge Malerin der späten 1920er und frühen 30er Jahre gesehen, die unsere Sicht auf die Zeit ergänzen, wenn nicht verändern kann. Und sie ist eine weitgehend Unbekannte, die die Verdrängung weiblicher Akteure aus Kunst und Kultur oder wenigstens die Ignoranz einer männlich dominierten Öffentlichkeit gegenüber kunstschaffenden Frauen bestätigt. Mit anderen Worten: Weniger die Kunstgeschichte hat an Künstlerinnen einiges gut zu machen als die männlich dominierte Kultur (von der sie jedoch bestimmt wird). Im Zusammenhang damit will die Öffentlichkeit Künstlerinnen heute verstärkt in den Blick nehmen. Insofern ist das aktuelle Interesse an Laserstein kaum verwunderlich.
Allerdings ist der Fall Laserstein nicht einfach mit der Formel zu fassen, dass die Künstlerin von den Nazis aus dem Kunstmarkt gedrängt und ins Exil gezwungen wurde. Laserstein ist keine Wieder-, sondern eine Neuentdeckung, wenn man denn nicht jeden jungen Künstler und jede junge Künstlerin, deren beginnende Karriere durch die Nazis unterbunden oder gar zerstört wurde, den Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit anlasten will.
Denn wie hätte die Kunstgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit auf Lotte Laserstein stoßen können? Nur wenige ihrer Arbeiten haben vor 1933 den Weg in die Öffentlichkeit gefunden und zudem die Aussonderungen des NS-Regimes überstanden. Zwar erfuhr Laserstein in der späten Weimarer Republik öffentliche Aufmerksamkeit: 1928 wurde ihre Arbeit Im Gasthaus von der Stadt Berlin angekauft, ein großer Erfolg der noch nicht 30-Jährigen, die nur kurze Zeit vorher ihre akademische Ausbildung abgeschlossen hatte.
Auch wurden einige Arbeiten in Zeitschriften gedruckt, weil sie exemplarisch die „Neue Frau“ oder Themen wie Sport vorstellten. Dazu gehörten etwa die Tennisspielerin (1929), ihr Russisches Mädchen mit Puderdose (1928) oder auch der Motorradfahrer (1929). In der Vielfalt der Publikationen der späten Weimarer Republik sind diese Ansätze aber untergegangen.
Lasersteins Arbeiten sind freilich bemerkenswert, auch weil sie in Zeiten einer künstlerischen Konsolidierungsphase am Ende der Weimarer Republik und nach dem Verpuffen der Avantgarden angesiedelt sind. Ihr Werk ist figurativ und nicht abstrakt, es ist von bewusster technischer Altmeisterlichkeit bestimmt und erst auf den zweiten Blick außerordentlich modern. Laserstein lässt auf ihre Zeit blicken, genauer noch, sie inszeniert ihren Blick auf ihre Zeit und nicht zuletzt auf das, was sie selbst darstellt: eine junge Künstlerin in einer verwirrenden Phase der deutschen Geschichte.
Vor allem ihre analytischen Porträts zeichnen sie als außergewöhnliche Künstlerin aus. Hinzu kommen zahlreiche Selbstbildnisse, oft kombiniert mit Akten, und nicht zuletzt ihre wohl wichtigste Arbeit Abend über Potsdam ein elegisches Statement zum Ende der Roaring Twenties – oder zur beginnenden Wirtschaftskrise, die sich 1930 Bahn bricht. Erschöpft blicken die fünf Freunde vor sich hin, die auf einer Dachterrasse eben nicht über Berlin, sondern über dem vergleichsweise beschaulichen Potsdam um eine weißgedeckte Tafel angeordnet sind. Niemand spricht, keiner sieht den anderen an. Nicht einmal die weibliche Zentralfigur, deren gelbes Kleid aus dem Gemälde heraussticht, zieht die Blicke ihrer Gesellschaft auf sich. Sie ist keine Erlöserin, sondern nur eine unter Gleichen. Es ist ein Moment, in dem niemand weiß, was auf ihn folgen wird. Das Bild – heute im Bestand der Nationalgalerie – entstand im Jahr 1930, in einer Zeit, als Laserstein ihre ersten Erfolge verbuchen konnte, und es begleitete sie fast ihr ganzes Leben lang.
In welchem Stadium das Interesse an der Künstlerin eingetreten ist, lässt sich vielleicht auch am Katalog der Frankfurter und Berliner Ausstellung absehen. Das Verzeichnis umfasst lediglich 35 Werke, von denen die meisten in Privatbesitz sind. Das Frankfurter Städel hat zwei Werke im Bestand, darunter das Russische Mädchen mit Puderdose (1928), das zu den Arbeiten Lasersteins gehört, die bereits in der Weimarer Republik wahrgenommen wurden. Amerikanische Museen werden nur zweimal als Eigentümer genannt, was nicht zuletzt anzeigt, wie gering die Resonanz auf Laserstein bislang war.
Das sollte sich mit dieser Ausstellung ändern. Allerdings ist offensichtlich, dass die Beiträge des Katalogs deutlich im Schatten der kurz zuvor in einer überarbeiteten Auflage erschienenen Studie von Anna-Carola Krausse zu Laserstein stehen. Zudem zeigen sie allzu deutlich, dass die Forschung noch am Anfang steht. So kann man keineswegs sagen, dass die Behauptung, Frauen seien als Künstlerinnen bestenfalls dilettantisch, „holzschnittartig“ aus dem 19. Jahrhundert übernommen wurde. Ohnehin wäre zu fragen, ob Holzschnitten hier nicht zu wenig zugetraut wird, schließlich haben sie vor der Fotografie die Hauptlast der Illustriertenabbildungen geliefert. Vielmehr ist die Abwertung der weiblichen Kreativität Teil der Naturalisierung der Geschlechterdifferenz, wie sie um 1900 etwa von Paul Julius Möbius formuliert wurde. Auch kann man nicht davon sprechen, dass die Girlkultur gegen Ende der 20er Jahre bereits ihren Höhepunkt überschritten hatte. Immerhin erschienen erst in den ausgehenden 20er und beginnenden 1930er Jahre – wenigstens in der Literatur – die großen Texte der emanzipierten, selbstbestimmten jungen Frauen, etwa von Irmgard Keun, Mascha Kaléko, Erika Mann oder Marieluise Fleißer. Von einem „Rollback in Richtung einer konservativen Gesellschaftsauffassung“ „am Ende der 1920er Jahre“ zu sprechen, wie dies Annelie Lütgens im Auftakt ihres Beitrags tut, ist zumindest gewagt.
Den Beiträgen ist anzumerken, dass sie dem Druck, Laserstein als verdrängte und vergessene Künstlerin auszuzeichnen, nicht ganz entgehen können. So wird der Malerin einerseits nachgesagt, sie habe die Kunstwelt in den 20er Jahren erobert (was eine deutliche Übertreibung ist). Auch ist von einer „Erfolgswelle“ die Rede, die sie erlebt habe. Andererseits konzediert Elena Schroll, die ihren Beitrag mit dieser Behauptung einleitet, wenig später, dass Laserstein zu einer „verschollenen Generation“ von Künstlerinnen und Künstlern gehörte, die vor 1933 sich nie voll habe entfalten können und deren Aufstieg jäh von den Nazis unterbrochen wurde. Die Künstlerin wurde in diesem Zuge ins Exil gedrängt, was laut Schroll dazu geführt hat, dass ihre Werke auf dem deutschen Kunstmarkt nicht präsent waren. Auffallend ist auch, dass zwar darauf verwiesen wird, dass sich die deutsche Kulturpolitik nach 1945 bemüht habe, die verfemte Kunst der Jahre vor 1933 und hierbei insbesondere den Expressionismus zu rehabilitieren. Dabei sind die verschiedenen Versuche, gerade den Expressionismus als spezifisch deutsche Moderne im Nationalsozialismus zu institutionalisieren – was letztlich am Einspruch Hitlers scheiterte – nicht präsent. Eine Unschärfe, die nicht für die Beiträge spricht.
Allerdings wird man sie wegen solcher gelegentlichen, aber allzu beiläufigen Urteile nicht abtun dürfen. Annelie Lütgens gelingt es auf erhellende Weise, Lasersteins Werke in den Kontext der Arbeiten ihrer Kolleginnen zu stellen. In der Differenz wird die spezifische Position Lasersteins deutlicher. Anna-Carola Krausses Beitrag zur Auseinandersetzung der Malerin mit der ikonografischen Tradition macht die inszenatorische Qualität ihrer Bilder erkennbar. Kristina Lemke analysiert Lasersteins Bemühungen, sich im Kunstmarkt zu etablieren, während Kristin Schroeder versucht, die Differenz ihrer Akte zu den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen herauszuarbeiten. Zudem fällt auf, dass Lasersteins Versuche im schwedischen Exil, einerseits ihren Ansatz weiterzuentwickeln, andererseits sich einen eigenen Markt zu schaffen, der ihr wirtschaftliches Überleben sicherte, als Verlust künstlerischer Qualität verstanden wird. Daran wird die Künstlerin ihren eigenen Anteil haben, indem sie gelegentlich abfällig über ihre Brotarbeit urteilte. Für das Exilwerk Kurt Schwitters’, der ja gleichfalls als Brotarbeit realistische Landschaften malte, spielt dies beispielsweise kaum eine Rolle.
Während der Katalog also eher Skizzencharakter hat, findet sich in Anna-Carola Krausses Studie eine intensive und konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Werk und der Biografie der Malerin. Die Arbeit ist zuerst 2003 erschienen und wurde 2018 in einer geringfügig überarbeiteten Fassung erneut publiziert. Zum Zeitpunkt der Erstpublikation hat Krausses Werkbiografie die Wahrnehmung Lasersteins weitgehend begründet und einen Wissensfundus zusammengetragen, der heute, mehr als 15 Jahre später, nicht überholt ist.
Zwar hat Krausse in ihrem Beitrag zum Städel-Katalog den inszenatorischen Charakter von Lasersteins Arbeiten noch stärker herausgestellt, aber bereits in ihrer frühen Studie hat sie immer wieder darauf verwiesen, dass die Künstlerin ihre Arbeiten nicht „nach der Natur“ malte, sondern als präzise Inszenierung. Aufschlussreich ist Krausses Schilderung, welchen Aufwand Laserstein für den Abend über Potsdam trieb. Die mehr als zwei Meter breite Holzplatte, auf der das Bild gemalt ist, wurde eigens für den Hintergrund nach Potsdam geschafft – nicht mit dem Lkw, sondern mit der S-Bahn, wie sich Traute Rose, das damalige Hauptmodell, erinnert. Die Figuren hingegen wurden später im Atelier ergänzt. Mit diesem Arbeitsprinzip wird die Tiefe erkennbar, in der Laserstein in ihren Bildern kunsthistorisches Material zitierte und moderierte. Diese Bilder sind keine Abbilder, sondern heuristische Szenarien, die dem Erkenntnisgewinn dienen.
Damit richtet Krausse die Wahrnehmung verstärkt darauf, wie die Künstlerin mit ihren Werken Wirkung erzielt. Gerade ihre an der Tradition orientierte Malweise und Komposition lässt ihre Ambitionen besonders deutlich hervortreten. Sie war anscheinend nicht daran interessiert, irgendwie mit der Malerei durchzukommen, sondern ihre Arbeiten waren auf durchschlagende Wirkung hin ausgerichtet. Damit erklären sich nicht nur die zahlreichen Porträts, sondern auch die Akte und die – oft damit kombinierten – Selbstporträts. Das Motiv „Künstlerin mit Modell“ setzt sich offensichtlich bewusst gegen die Reflexionsformen ab, die etwa bei Otto Dix oder Anton Räderscheidt erkennbar sind. Kristi Schröder hat solche Referenzen in ihrem Katalogbeitrag aufgezeigt. Die 1927 entstandene Variante mit dem Titel Zwei Mädchen zeigt jedoch nicht, wie noch Krausse anzudeuten scheint, eine Pose, sondern ist als Signum der Gleichberechtigung von Malerin und Modell ausgezeichnet, die an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Das Motiv, das ja neben der Konvention der spiegelbildlichen Betrachtung (die Malerin schaut in den Spiegel, um sich zu porträtieren) auch den direkten Kontakt zwischen Betrachter und Malerin herstellt, ist zugleich Demonstration des Selbstbewusstseins der Malerin. Dies korrespondiert nicht zuletzt mit den überaus häufigen Selbstporträts der Phase bis 1933, die später nicht ausbleiben, aber einen anderen Charakter erhalten.
Die Selbstporträts, das heißt die Bilder, in denen Malerin und Modell gemeinsam auftreten, lassen sich mit den Darstellungen der jungen, selbstbewussten und emanzipierten Frau verbinden, die ihren Platz in der Gesellschaft wie selbstverständlich bestimmt und einnimmt. Man erkennt diesen Zusammenhang an Lasersteins Im Gasthaus, das im selben höchst produktiven Jahr 1927 gemalt wurde: Das Bild erfasst eine junge Frau im Gasthaus, die anscheinend eben eingetroffen ist, wie selbstverständlich allein sitzt und sich die Handschuhe von den Händen streift. Der Blick ist weg vom Betrachter zur Seite gewandt, sie trägt einen dunklen Blazer, eine weiße Bluse mit Krawatte, einen schwarzen Hut und halblange, nach der Vorgabe der „Neuen Frau“ geschnittene Haare. Im Simmelschen Sinne blickt sie blasiert, abweisend, desinteressiert. Weniger aufgrund der fehlenden Frivolität, die Krausse vermerkt, als aufgrund des blasierten Blickes verweist auch dieses Bild Lasersteins auf die moderne Großstädterin, die in der Distanz die Sicherung ihrer Existenz demonstriert. Frivolität ist zumal deshalb kein Thema, weil sie auf die Situation um die Jahrhundertwende herum verweist, in der der Kurzschluss zulässig war, dass Frauen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit allein in öffentlichen Räumen aufhalten, wahrscheinlich Prostituierte waren.
Die Identifizierung von Gasthaus und Prostitution hängt mit diesem aus bürgerlicher Sicht naheliegenden Schluss eng zusammen. 30 Jahre später jedoch hatten sich Frauen in der Öffentlichkeit einen selbstverständlichen Platz erobert. Dennoch bleibt das Muster erhalten und wirkt fort, wie nicht nur die Anfangspassagen des Dreigroschenfilms zeigen, sondern eben auch Lasersteins Porträt der Journalistin Polly Tieck. Die heute fast völlig vergessene Tieck, die auch unter Ließchen Laßdas, Katta oder Polly Launisch firmierte, eigentlich aber Ilse Aufrichtig hieß und eine geborene Ehrenfried war, wird auf einem Sessel sitzend so ähnlich wie die junge Frau in Im Gasthaus im Halbprofil vorgestellt. Der Blick ist ruhig, die Augen weit geöffnet, das Monokel, das sie vor dem linken Auge trägt, war Polly Tiecks Interpretation der Blasiertheit. In den Hintergrund hat Laserstein jedoch ein Paar gesetzt, das offensichtlich wartet, die Frau mit allen Insignien der „Neuen Frau“ auf einem Stuhl hockend, der Mann, die Hände in den Hosentaschen, lässig an der Wand lehnend. Die Zu- und Unterordnung der Frau ist also auch hier nicht aufgehoben. Der Mann wacht über die Frau – wenn denn nicht im Vordergrund Polly Tieck säße, die dem Grundrauschen männlicher Dominanz die weibliche Selbstständigkeit entgegensetzt.
Laserstein in der Darstellung Krausses ist mithin höchst anregend – etwas Besseres lässt sich über eine werkbiografische Studie kaum sagen. Allein deshalb ist dem Verlag und der Autorin dafür zu danken, dass diese Schrift erneut vorgelegt worden ist.
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