Ringe aus rotem Gold

Ein aufschlussreicher Tagungsband fasst die aktuelle Forschung zum Thema ‚Gold in der europäischen Heldensage‘ zusammen.

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht erst zu Zeiten Goethes wurde der – oftmals überbetonte – Wert des Goldes literarisch verarbeitet. Dies geschah deutlich früher, und gerade in heldenepischen Texten ist das Phänomen ‚Gold‘ in seinen verschiedensten Facetten ein wesentliches Thema. Diesem Umstand trägt der von Heike Sahm, Wilhelm Heizmann und Victor Millet herausgegebene Band ‚Gold in der europäischen Heldensage‘ Rechnung. Die Beiträge der vorliegenden Publikation gehen auf Vorträge zurück, die auf einem Symposium im September 2013 in München vorgetragen wurden.

„Die Raub- und Beutegesellschaften der Spätantike sind darum bemüht, Gold in ihren Besitz zu bringen, ja die Expansionsbestrebungen der nordeuropäischen Eliten nach Südeuropa werden in der zeitgenössischen lateinischen Chronistik mit dem Versuch begründet, das dort vorhandene römische Gold zu erobern. Es kann daher nicht erstaunen, dass das heroic age, also die fiktionale Repräsentation der Völkerwanderungszeit in der germanischen Heldensage, den Goldschatz als zentrale Element ausweist.“ Mit diesen einleitenden Zeilen sind die Themenschwerpunkte der vorliegenden Publikation passgenau dargelegt. Es geht zum einen – das sind die ‚Basics‘ des vorliegenden Bandes – um das reale Gold, das sich in völkerwanderungszeitlichen Funden und Befunden erfassen lässt, mehr noch aber um die kulturell-literarische ‚Verarbeitung‘ dieses Edelmetalls.

Die Kulturgeschichte des frühen Mittelalters ist dementsprechend geprägt durch den Besitz, den Raub, die Zurschaustellung und das Verteilen von Gold. Disziplinenübergreifend ist die Semantisierung von Gold in der Kultur dieser Epoche bislang nicht untersucht. Die hohe kulturelle Bedeutung des Goldes lässt sich an archäologischen Funden wie Grabbeigaben oder Schätzen ablesen. Auch die überlieferten Zeugnisse der Heldendichtung zeigen den besonderen Stellenwert des Metalls an: Helden tragen goldene Rüstungsgegenstände, Herrscherinnen sind goldgeschmückt, und der Raub von Gold hat fatale Folgen. Angesichts dieses Befundes wird die Frage nach der kulturellen Bedeutung des Goldes in der europäischen Heldendichtung des frühen Mittelalters erstmals gestellt.

Der vorliegende Band bezieht überdies Ergebnisse der Archäologie ein und geht auf Methoden und Ergebnisse der historischen Narratologie ein. Im Rahmen von Anthropologie und Geschichtswissenschaft wird die Basis erweitert und die Frage nach der Bedeutung der goldenen Gegenstände im Kontext der erzählten Welten der volkssprachigen und lateinischen Literaturen Mittel-und Nordeuropas gestellt. Die Übersicht über die hier diskutierten Texte lässt eine ‚Reduzierung‘ auf das Endprodukt erkennen: Geraubt oder präsentiert oder geschenkt werden Artefakte aus Gold. Im Unterschied zur aus dem archäologischen Befund zu ermittelnden Praxis wird kaum davon erzählt, dass goldene Gegenstände geschmolzen und neu verarbeitet werden. Der Wert der in der Literatur imaginierten ‚Gold-Dinge‘ ist nicht allein von ihrem Rohmaterial, eben Gold, abhängig, sondern mehr noch von der spezifischen Geschichte der Herkunft und Weitergabe des Artefakts. Dem Gold wird eine kulturelle Bedeutung erst durch die Weitergabe – auf welche Weise diese auch geschieht – zuteil.

Folgerichtig wird das Buch durch Alexandra Peschs lesenswerten Beitrag „Drachengold“, der das Edelmetall in seiner real existierenden Form, das heißt in völkerwanderungszeitlichen Funden und Befunden im europäischen Norden, thematisiert, eingeleitet. Dieser Basisinformation folgt die von Matthias Handt aufgeworfene Frage, ob „Schätze voller Armringe aus Kaisergold“ wohl „Erinnerungen an die Sachkultur der Völkerwanderungszeit in der Heldendichtung des Mittelalters“ darstellten. Und die Antwort fällt, so fraglich das auch erscheinen mag, positiv aus. Denn offenbar erweist sich gerade hinsichtlich der völkerwanderungszeitlichen Sachkultur die spätere Heldenepik als durchaus valide Quelle, auch wenn sie in der Beschreibung exakter historischer Abläufe und Konstellationen nur bedingt vertrauenswürdig erscheint. In genau diese Richtung weist Wolfgang Haubrichs, dem es um „Sagenhafte Schatzfunde bei Gregor, Fredegar, Paulus Diaconus und anderen“ zu tun ist. Der Autor konzentriert sich auf eine christlich-kirchliche Interpretation beziehungsweise Rechtfertigung von Reichtum und weist anhand von vier sagenhaften Schatzfunden des frühen Mittelalters (denen von Narses, des oströmischen Herrscher Tiberius, des Franken Chrodinus sowie des Merowingerkönigs Gunthram) nach, wie die Realität von Schatz und Herrschersymbolik in der Überlieferung auf den allein akzeptablen Weg der Freigebigkeit hin verengt wird, um auf gewissermaßen interdependente Weise eine Meta-Ebene der Rechtfertigung zu generieren. Und er weist darauf hin, dass die anhand realer historischer Persönlichkeiten unternommene Abstrahierung im volkssprachigen ‚Georgslied‘ durch die fiktive bekehrte Königin Elessandria ihre Vollendung findet.

Mit zwei weiteren Beiträgen (Richard North, „Gold in the threaten polity of Beowulf“ sowie Winfried Rudolf, „The Gold in Beowulf and the Currencies of Fame“) wird der kontinentaleuropäische Raum verlassen und das bekannte altenglische Heldenepos, eben der ‚Beowulf‘, behandelt. Die Mehrdeutigkeit des Goldes in dieser Dichtung wird von beiden Autoren in den Blick genommen, während jedoch Richard North die drei Spielarten des Goldes (öffentliches Gold, persönliches Gold, verborgenes Gold) durchdekliniert, und dabei die Intentionen der Dichtung verdeutlicht, der zufolge eben jenes verborgene Gold den Weg in die Hölle bereitet, arbeitet Winfried Rudolf mit den drei ‚Währungen‘ Gold, Blut und Worte, die im Zusammenhang mit Ehr- und Prestigedenken und -handeln ihre zerstörerische Wirkung entfalten. Beide Herangehensweisen verdeutlichen auf unterschiedlichen Wegen, dass das Epos die Weltsicht des christianisierten Dichters transportiert, in der eben dieses Streben nach (weltlicher) Ehre deshalb verhängnisvoll ist, weil der wahre Heilsweg weder erkannt, noch gar befolgt werden kann und ein Untergang der beschriebenen, gewissermaßen ‚vorheilszeitlichen‘ Welt und ihres Repräsentanten unvermeidlich ist.

Die Bedeutung der Metalle für die Exorbitanz des Helden wird von Tanja Mattern („Held und Gold. Zu Stellenwert und Funktion von Metallen im Heldenepos“) zum Thema gemacht. Sind die ‚Funktionsmetalle‘ Eisen und Bronze in gewissem Sinne die Mindestausstattung heldischen Seins, da aus ihnen die Elemente der Rüstung hergestellt werden, so ist das Edelmetall Gold von höchster Ambivalenz. Es steht einerseits als erstrebenswerter Statusmarker im Epizentrum heldischer Selbstvergewisserung, andererseits ist es Sinnbild allen Übels. Und – so ein Ergebnis der Untersuchungen – diese Ambivalenz scheint auch im realen Leben von Relevanz gewesen zu sein. Oft genug, so Tanja Mattern, weisen in heldenepischen Texten erkennbare Zwischentöne darauf hin, dass die scheinbar so eindeutige Auszeichnung, die dem Besitz und dem Zurschaustellen von Gold zugeschrieben werden könnte, durchaus doppelbödig gemeint und verstanden worden war. In seinem lesenswerten Beitrag, „Was sind goldene Waffen wert?“ führt Mitherausgeber Victor Millet diesen Ansatz weiter: Unter Heranziehung des mittelhochdeutschen ‚Ortnit‘ und der spanischen Überlieferung des ‚Cid‘ stellt er die Praktikabilität der in den Texten thematisierten Prunkwaffen in den Mittelpunkt. Dabei wird deutlich, dass die euphorische Beschreibung entsprechender Gaben an verdienstvolle Kämpfer von unterschiedlicher Natur ist. Während im ‚Ortnit‘ Rüstung und speziell Waffe einen nachgerade magischen Symbolcharakter ausstrahlen, entspricht die (Ver-)Wertung der Goldrüstung im ‚Cid‘ eher ökonomischen Aspekten. Hier ist das herausragende Material der Ausstattung zwar auch ein Symbol des Besonderen, es ist jedoch für den Status dieses Helden nicht unabdingbar. Die Statussymbolik in der älteren Dichtung wird ‚ökonomischer Anwendung‘ in der jüngeren gegenübergestellt.

In eine vergleichbar ‚funktionale‘ Blickrichtung orientiert sich Heike Sahm, wenn sie „Gold und Gebärde“ im Kontext heldenepischer Traditionen untersucht. Textliche Grundlage hierbei sind das ‚Nibelungenlied‘ und ‚König Rother‘ und die Eingangsaventiure der ‚Kudrun‘. Die Autorin macht deutlich, welcher (Herrschafts-)Symbolcharakter dem Gold zukommt, mit dem Treue belohnt bzw. Gefolgschaft gebunden wird. Und so ist sicherlich richtig, dass in den Texten – vornehmlich im ‚Nibelungenlied‘ eine „flüchtig konzipierte Identität von Herrschaft“ kenntlich gemacht wird, ob das jedoch, wie angedeutet, eine ‚Selbstaffirmation einer homogenen, auf gemeinsame Werte verpflichteten Hofgemeinschaft“ ausschließt, möchte ich dahingestellt sein lassen.

Edward R. Haymes („Der Ring Andvaranaut und sein Fluch“) erweitert nicht nur geographisch der Raum in den skandinavischen Norden, sondern mit eben dem Ring Andvaranaut definitiv in das Feld des Magischen hinein erweitert wird. Haymes bezieht sich auf die beiden Edda-Überlieferungen sowie die Völsunga saga, die die Legende dieses magischen und fluchbeladenen Attributs transportieren. In eine quasi ‚säkulare‘ Sphäre‘ hinein erweitert der Autor seinen Bezug auf den Fluch als zentrales Element, indem die Gisla saga, die Grettis saga und die Laxdæla saga herangezogen werden, auch wenn das zentrale Motiv des Rings fehlt. Edward Haymes ist es offenkundig um den Vergleich zu tun. Er erweitert konsequenterweise die Perspektive exemplarisch bis in spätere (Literatur-)Epochen hinein, weist aber auch – und der einleitende Aufsatz dieses Bandes entspricht dem ja – auf die Bedeutung der mittelalterlichen Sachkultur für die Literaturwissenschaft, deren Ergebnisse bislang jedoch nur bedingt herangezogenen würden. Diesem Ansatz kommt Anne Hofmann („Draupnir, Andvaranaut und die freigebigen Ringgeber“) insofern nach, als sie in ihrem Beitrag den wohl bekanntesten nordischen Zauberring, eben Draupnir, mit einbezieht. Sie verwendet neben literarischen Quellen aus der Sagaliteratur zudem auch Edda-, Skalden- sowie historiographischer Dichtung sowie ihren ‚literarischen Ring-Imaginationen‘ also, auch Ergebnisse der Archäologie zumindest überblicksartig berücksichtigt. Ebenso auf den Bereich des Symbolischen hin orientiert ist der Beitrag „Milli skriptanna, spengr af gulli“ von Torfi H. Tulinius, in dem es um einen rätselhaften Abschnitt der Egils Saga Skalla-Grimssonar geht, in dem ein geheimnisvoller symbolisch exponierter Schild eine zentrale Rolle spielt, und den Torfi H. Tulinius zum Anlass nimmt, das Thema ‚Konversion‘ im Allgemeinen bzw. die ‚Poesie der Konversion‘ im Besonderen in den Blick zu nehmen. Den ‚nordischen Block‘ schließt Matthias Teichert ab, der unter dem etwas schwerfälligen Titel „Metamorphosen des roten Geoldes. Narratologie, Semantik und Semiotik von Gold (und Silber) in der Hrólfs saga kraka und anderen Texten der altwestnordischen Heldenepik“ behandelt. Das geneigte Publikum sollte sich vom Umfang des Titels nicht abschrecken lassen, denn auch hier gelingt es dem Verfasser, die Doppel- oder sogar Vieldeutigkeit von Gold in der heldenepischen Überlieferung des Nordens nachzuweisen. In diesen Überlieferungen – exemplarisch in erster Linie an der Hrólfs saga kraka belegt – changiert Gold vom Symbol des ‚Aristokratisch-Heroischen‘ zum ‚Monströs-Unheimlichen‘; Doppelseitigkeit und Transgressivität der heldenepischen Goldmythologie sind so offenbar notwendiger Bestandteil der entsprechenden Überlieferungstradition.

Dann schließt sich der Kreis des Goldes mit Wilhelm Heizmanns (der ebenfalls als Herausgeber verantwortlich zeichnet) Beitrag „Das Gold der römischen „Kaiser“ insofern, als wieder eine materielle Basis für die Erzählungen von Schmuck und Gold in den heroischen Dichtungen definiert wird. Dies natürlich umso mehr, als das ‚kaiserliche Gold‘ die Grundlage für die im ersten Beitrag thematisierten völkerwanderungszeitlichen Schätze gebildet hatten. Neben dem Bezug auf die Sachkultur, in der sich auch der Metamorphose römischen Münzgoldes in Form der Brakteaten angenommen wird, verweist Wilhelm Heizmann jedoch auf historische wie literarische Texte, in denen Gold als Träger von Machtrepräsentation Erwähnung und damit einen adäquaten Abschluss des vorliegenden Bandes findet.

Wer immer sich auch nur ein bisschen mit Heldenepik befasst, wird kaum an dieser Publikation vorbeikommen, in der eines der Kernthemen heroischer Dichtung umfassend und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet vorgestellt wird. Dabei ist es ebenso erfreulich wie angemessen, dass auch der Bereich der Sachkultur vertreten ist; es steht zu befürchten, dass vielen (angehenden) Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern beispielsweise das Gallehus-Horn nichts mehr sagt oder auch die Kenntnis von Brakteaten nicht (mehr) sehr verbreitet ist.

Hauptsächlich befassen sich die Beiträge dieses Bandes jedoch mit literarischen (und zum Teil auch historischen) Texten, in denen Gold und seine Bedeutung sowohl in pragmatischer als auch symbolischer Hinsicht ein wesentliches Thema ist. Dies geschieht anhand verschiedener Textprovenienzen, wobei deutschsprachige Überlieferungen des Mittelalters keineswegs den Schwerpunkt bilden. Vielmehr führt die Frage nach ‚Gold in der europäischen Heldensage‘ auch und intensiv in den angelsächsischen und skandinavischen Raum und wird für diese Bereiche anhand markanter Quellen thematisiert.

Der Band ist also allein schon durch seine Breite ein Genuss – wenn nicht gar ein Muss. Hinzu kommt, dass die an der Sachkultur des Mittelalters orientierten das Buch gewissermaßen ‚flankierenden‘ Beiträge erfreulicherweise durch Abbildungen ergänzt und damit erweitert werden, ist es doch immer angenehmer, zur Beschreibung eines Brakteaten etwa auch dessen Bild anschauen zu können. Dies sowie die jeweiligen umfangreichen bibliographischen Angaben und nicht zuletzt auch der aussagekräftige Registerteil machen diese Publikation unabdingbar – und sei es auch ‚nur‘ als Erwerbungsempfehlung für die jeweilige Fachbibliothek.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Heike Sahm / Wilhelm Heizmann / Victor Millet (Hg.): Gold in der europäischen Heldensage.
De Gruyter, Berlin 2019.
353 Seiten, 109,95 EUR.
ISBN-13: 9783110614152

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