Black holocaust?

Steffen Klävers‘ Band „Decolonizing Auschwitz?“ untersucht die mitunter unglückseligen Beiträge der postcolonial studies zur Holocaustforschung

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Auschwitz“ bzw. die mit dieser Metonymie unzureichend benannte Judenvernichtung ist eine Singularität. Zu diesem weitgehenden Konsens brauchte es lange Jahre. Anfangs war die Shoah im Rahmen der Nürnberger Prozesse, als es zur Verhandlung der Kriegsverbrechen, die die Nazis begangen hatten, kam, nämlich nur ein Nebenpunkt.

Heute wird das Schreckliche, das in den Konzentrationslagern geschah, aber auch rings um sie, nicht mehr bagatellisiert. Das ist ein Resultat langer Aufklärungsarbeit, doch jüngst mehren sich wieder Einsprüche: Es sei, so wendet etwa Aram Ziai aus Sicht der postcolonial studies ein, „koloniale Heuchelei“, dass Auschwitz anders beurteilt wird als jene Genozide, die insbesondere in Afrika vorangegangen waren: entgegen der These, der Holocaust sei „unprecedented“, wie die Literatur hierzu seines Erachtens falsch vermerkt.

Im Rahmen der Würdigung des Leids, das über Afrika aufgrund seiner Kolonialherren kam, die in den Menschen dort nur Störfaktoren oder Sklaven sahen, ist es zunächst begreiflich, dass  Nachkommen jener Opfer eine Gedenkpolitik wünschen, wie sie in Berlin etwa zu Peter Eisenmans Mahnmal führte. Diese Sichtbarkeit ist in Bezug auf die Verbrechen an den Herero und Nama nicht gegeben, von denen die Kolonialpolitik Lothar von Trothas Anfang des 20. Jahrhunderts wohl nur ein Viertel überlebte, um bloß ein Beispiel zu nennen.

Allerdings gibt es neben dem Motiv, das eigene Leid endlich öffentlich anklagen zu dürfen – nicht einmal juristisch ist der Fall bisher behandelt worden –, auch manch andere Intention festzustellen, bis hin zum Antisemitismus, der die postcolonial studies samt ihrer Anliegen zum Vehikel seiner Agenda machte. So wurde aus dem Anliegen ein Minenfeld.

In dieses diskursive Minenfeld begibt sich Steffen Klävers mit seiner 2017 eingereichten Dissertation, die nun publiziert vorliegt. Er versucht erstens, noch einmal zu zeigen, inwiefern die Shoah in der Tat gleichsam aus der Geschichte herausfällt, dass es also kein Denkfehler war, dieses Verbrechen als Singularität aus der Geschichte herauszuheben, auch wenn diese an anderen Schrecken nicht arm ist. Und er zeigt an den Protesten gegen diese Deutung, dass diese weniger in der Sache begründet sind als in den Motivlagen und Argumentationen der Protestierenden, die wie angedeutet von unterschiedlicher Qualität sind.

Die These, dass Auschwitz singulär ist, ergibt sich daraus, dass Auschwitz als ein „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) die Idee von Kultur oder Aufklärung selbst angreift, wobei dieses Verbrechen eine bestimmte Aufklärung verlangt: Logistik und dergleichen mehr. Was hernach geschieht, das ist keine Panne, keine Eskalation, sondern das Programm: Es geht anders als in der „Kolonialisierung“ nicht um eine Aneignung von Bodenschätzen und Arbeitskraft ohne Rücksicht. Diese Entstellung des Menschen zum verfügbaren oder störenden Objekt ist gewiss schrecklich genug, hier aber geht es um die „Auslöschung von Menschen“, hier wurde die Kultur selbst zum Ziel dessen, was sie hervorgebracht zu haben schien: Nicht politische Gegner wurden ermordet, Auschwitz ist kein „Politizid“, auch bedurfte es keiner Anthropologie, die manche aufgrund einer vorgeblich niederen Zivilisationsstufe ausbeutete. Es waren „all Jewish deaths […] intended“, wobei es scheint, als ob man sich gerade auch der kritischen Intelligenz selbst entledigen wollte, die dieser Politik, wenn man es noch so nennen kann, etwas wie das „Recht auf Rechte“ (so Hannah Arendts Formel) entgegengesetzt hätte. Von einem zynischen „Erlösungsantisemitismus“ wäre zu sprechen, schreibt Klävers – wobei dies mit der Technik und den Erfahrungen des deutschen Kolonialismus geschah.

Dies und kein „metaphysical claim“ ergibt die Singularität; freilich ist diese fortan so unvorstellbar wie in ihrer Unvorstellbarkeit wiederholbar: Man könne zwar, so schreibt Theodor W. Adorno, „nicht Auschwitz auf eine Analogie mit der Zernichtung der griechischen Stadtstaaten bringen als bloß graduelle Zunahme des Grauens, der gegenüber man den eigenen Seelenfrieden bewahrt“; man versteht also nicht aufgrund anderer, ähnlicher Geschehnisse, wie sich das zutragen konnte, was geschehen ist. Aber in Beziehung zu etwas, das kommen könne und nicht dürfe, setzt Adorno Auschwitz durchaus; er schreibt auch, dass Auschwitz zu jenem „neuen kategorischen Imperativ“ führe, den „Hitler […] den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit […] aufgezwungen [hat]: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“. Klävers führt das breit aus.

Wozu sollte man die Singularität der Shoah aber beeinspruchen? Es geschieht wesentlich von zwei Seiten: Erstens sind da jene, die ihre Entlastung erhofften und noch immer erhoffen, indem sie wie Alexander Gauland die Verbrechen des Nationalsozialismus bagatellisieren oder mit anderen Verbrechen quasi aufrechnen wollen. Es ist dies ein Manöver, das in seiner Unredlichkeit durchschaubar ist und unter anderem bereits von Jürgen Habermas analysiert und vernichtend kritisiert wurde. Im Kern seien diese Versuche solche, „die Hypotheken einer glücklich entmoralisierten Vergangenheit abzuschütteln“, um damit eine „Wiederbelebung des Nationalbewußtseins“ zu initiieren, zu welchem Zwecke auch immer, so schrieb Habermas 1987 im Rahmen des Historikerstreits.

Zweitens sind da aber auch eben jene, die bis heute darauf warten, dass der Genozid an ihrem Volk als solcher erkannt und ins Bewusstsein gehoben wird. Und das sind jene „Subjekte“ der postcolonial studies, die sich bei allem Recht leider auch nicht so verhalten, wie sie es aus europäischer Sicht – als deren Objekte – sollten. Es ist schwierig, diesen Anspruch an sie nicht arrogant zu heißen, doch der Umschlag der Frustration angesicht ignorierten Völkermords in postkolonialen Antisemitismus ist unerträglich. Die Verbitterung dieser Opfer und ihrer Nachkommen ist allerdings begreiflich, wenn man an die zynische Pointe Heiner Müllers denkt, der einmal formulierte, es sei das „eigentlich Schockierende“ an Hitler gewesen, dass dieser „in Geographie so schlecht war und etwas mitten in Europa gemacht hat, was man unter anständigen Menschen nur in Afrika, Asien oder Südamerika tut.“

Klävers zitiert zwar nicht Müller, aber ähnliche Äußerungen – und nicht alle sind provokativ gemeint. Manche sind Empfehlungen, es doch endlich gut sein zu lassen, was da geschehen ist. Angesichts solcher Positionierungen ist Frustration begreiflich. Diese geht leider absurderweise so weit, den Holocaust schließlich zu leugnen, um Israel als „siedlungskoloniales Projekt“ zu denunzieren, zumal da, wo sich die Allianz mit dem Islam ergibt. Konsens vieler Vertreter, die grundsätzlich das „white on white crime“ trivialisieren, ist, dass der „black holocaust“ mit wie immer errechneten 600 Millionen Toten (die Zahl erscheint nicht zufällig gewählt) ungleich schrecklicher gewesen sei. Man habe mehr und am meisten gelitten, so formulieren diese Beschwerdeführer womöglich um den Preis eines akzeptablen Diskurses.

Am Ende ist man und ist auch Klävers ratlos: Wie konnte es geschehen, dass ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (wieder) zu bagatellisieren oder sogar zu leugnen manchen als Mittel geeignet scheint, ein zweifelsohne von ihnen oder ihren Vorfahren erlittenes Unrecht zu thematisieren? Insofern wird man bei aller Unerträglichkeit solchen Vorgehens überlegen müssen, welche Versäumnisse in der Tat gegeben sind. Eine erste Basis dafür kann diese Untersuchung sein, die auf das Problem jedenfalls nachdrücklich und materialreich verweist.

Titelbild

Steffen Klävers: Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung.
De Gruyter, Berlin, Boston 2019.
VII, 250 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783110597622

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