Hart und Harder

Anlässlich des 75. Geburtstages des früh verstorbenen Autors liegt Jörg Fausers Hardboiled-Kriminalroman „Das Schlangenmaul“ in einer neuen Edition vor

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist völlig abgebrannt, versteht sich. Er träumt vom Krieg, erwacht neben einer thailändischen Prostituierten, hat einen zünftigen Filmriss, nimmt einen Schluck abgestandenen Wodka mit Tonic, dazu eine Zigarette: „Frühstück à la carte.“ Ein Mann am Tiefpunkt: „Ich war 38 und pleite.“ Aber es geht, selbstverständlich, immer noch schlimmer. Direkt nach dem Aufwachen kommt Besuch: Die Steuerfahndung. Begründeter Verdacht der Steuerhinterziehung. Geld muss her, bald, sonst wird es noch weit ungemütlicher. Wie gut, dass pünktlich zum Ende dieses furiosen ersten Kapitels ein Anruf eingeht: eine Reaktion auf das Inserat des „Bergungsexperten für außergewöhnliche Fälle“. Am anderen Ende der Leitung: „Eine angenehme, weiche Frauenstimme. Eine Stimme, die nach Geld klang.“ Na also. Dass sich die Anruferin rasch als genretypische femme fatale geriert, ist wenig überraschend.

All das ist einerseits reiner Pulp, andererseits in seiner Zitathaftigkeit schon wieder so deutlich, dass Pulp zur Kunst erhoben wird. Und die literarischen Vorbilder sind die schlechtesten nicht: Es sind die großen amerikanischen Hardboiled-Romane und deren abgerissene Detektive, die hier Pate gestanden haben. Bei so viel intertextuellem und populärkulturellem Resonanzraum ist es verblüffend, dass auf rätselhafte Weise dennoch eine Art Authentizitätseffekt erreicht wird. Darin liegt womöglich das größte Geheimnis der schriftstellerischen Begabung dieses berüchtigtsten aller deutschsprachigen Autoren der letzten Jahrzehnte: Jörg Fauser, der unmittelbar nach seinem 43. Geburtstag bei einem tragischen Unfall ums Leben kam (sei es, wie manche denken, durch Mord, sei es, weil es keine gute Idee ist, mutmaßlich besoffen über die Autobahn zu laufen).

Der 1985 erstmals veröffentlichte Roman Das Schlangenmaul eröffnet neben dem Drogenroman Rohstoff und Rohstoff Elements, einer Sammlung früher Gedichte und kurzer Prosatexte, die Neuedition, die Diogenes diesem Star des Kaputten, dem Helden der Abgründe, dem deutschen Messias des kritischen Trash widmet. Neben mancherlei anderen Vorzügen vermochte Fauser auch eine deutsche Antwort auf angelsächsische Krimitraditionen zu geben. Das zeigt sein wohl berühmtester Text, Der Schneemann, der zu den wichtigsten deutschsprachigen Kriminalromanen des 20. Jahrhunderts zählt. Zum Gegenstand hat er die Odyssee eines kleinen Ganoven, der unversehens zu einer viel zu großen Menge Kokain kommt. „Mit Der Schneemann und Das Schlangenmaul begann die Zukunft des deutschsprachigen Kriminalromans“ schreibt Friedrich Ani in seinem lesenswerten Nachwort zur vorliegenden Edition, und es ist immer wieder aufs Neue an der Zeit, die Anfänge dieser einstigen Zukunft zu entdecken. Das Schlangenmaul ist Fausers bedeutendster Beitrag zum Genre des Detektivromans, eine Hommage an die düster-pessimistischen Romane aus der Hardboiled-Schule und zugleich eine subtile Selbstreflexion und ein Überbietungsversuch dieses Subgenres. Das beginnt schon bei der Namensgebung des Protagonisten: „Heinz Harder“ klingt zunächst so miefig deutsch wie nur irgend möglich, zugleich aber ist damit eine Position markiert: Dashiell Hammetts Sam Spade oder der „Continental Op“ sowie Raymond Chandlers Philipp Marlowe sind hard, keine Frage – aber Heinz ist Harder.

Die Spielart des „hartgekochten“ Detektivromans entstand in den 1920er Jahren als Reaktion auf die bewusst artifiziellen Detektive des vornehmlich britisch geprägten sogenannten „Goldenen Zeitalters“, die ihre streng logischen Ermittlungen in einer Welt unternahmen, die von materiellem Überfluss und gediegenen gesellschaftlichen Sitten geprägt war. In diesen Romanen ist das plötzlich einbrechende Böse in Form eines – unblutigen und künstlerisch gestalteten – Mordes ein vorübergehendes, durch den säkularen Priester in Gestalt des Detektivs rasch wieder zurück in die niederen Gefilde der Hölle zu verbannendes Übel. Die echte Welt mit ihren Sorgen und Nöten, ihren politischen und ökonomischen Wirrungen taucht allenfalls als diffuses Hintergrundrauschen auf, reale soziale Probleme der unteren Schichten wären in einem fein ausgeklügelten ästhetischen Arrangement nur (fiktions-)störende Wirklichkeitseffekte, die unsere Aufmerksamkeit vom bald einsetzenden Gang der Ermittlungen durch den Deduktionskünstler ablenken.

Dem stellten die harten Detektivromane einen anderen Typus des Ermittlers, nicht zuletzt aber auch eine ganz andere Ausgestaltung der erzählten Welt gegenüber. Anders als bei den bukolisch-nostalgischen Handlungsorten der klassischen Detektivromane ist hier die Idylle nicht einfach nur temporär gestört – sie ist irreversibel verheert. Dem konservativen, wenn nicht gar reaktionären britischen Detektivroman wird eine linke, sozialkritische amerikanische Kontrafaktur entgegengesetzt, in der es dem Ermittler nicht genügt, mittels überragender Geistesschärfe klinisch arrangierte Mordfälle zu lösen. Vielmehr sollte er sich selbst die Finger schmutzig machen, dahin gehen, wo es weh tut und – was freilich wie alle anderen Bestandteile des Genres selbst rasch zum Klischee gerann – sich selbst in die Ermittlung verstricken.

Das Schlangenmaul ist geradezu ein Schulbuchbeispiel dafür, wie man all diese Bestandteile aufnehmen und in die bundesrepublikanische Gegenwart der 1980er Jahre transponieren kann. Heinz Harder vereinigt alle wesentlichen Merkmale des toughen, selbst zwielichtigen Ermittlers. Was aber hinzukommt: Er hat eine veritable Schreibkrise und ermittelt, statt zu schreiben, oder womöglich auch (das wird immer wieder nahegelegt), um über die Ermittlungen schreiben zu können. Er ist also Detektiv auf dem zweiten Bildungsweg, aus Not, die zur Überzeugung wird. Ist der Detektivroman darauf ausgelegt, aus Indizien, Aussagen und Beobachtungen am Ende eine wohlgeordnete Narration (klassischerweise vom Tathergang) zu ergeben, ist Harder immer schon auf der Suche nach der Story und misst alles an seiner erzählerischen Verwertbarkeit. Das verleiht dem Roman eine selbstreflexive Ebene, da es beständig um das Erzählen von Geschichten und die literarische Verarbeitung der eigenen Erlebnisse geht. Harder kokettiert sogar damit, womöglich einen Krimi zu schreiben.

Da es mit der journalistischen Karriere gerade stockt, versucht sich der „Zeilenschinder“ Harder also als „Bergungsexperte“. Auch wenn er die Bezeichnung „Privatdetektiv“ ablehnt, findet er sich bald in einem klassischen missing person case wieder und sucht nach der verschwundenen Tochter seiner attraktiven Auftraggeberin. So ganz anders als sein eigentlicher Beruf ist das schließlich alles nicht: „Ich gehe immer noch meinem alten Gewerbe nach – Sachen rausfinden.“ Er begibt sich auf die Suche, was zur typischen Etappenstruktur des harten Detektivromans führt: Harder spricht mit den verschiedensten Figuren an den unterschiedlichsten Orten, wodurch ein Panorama der erzählten Welt entsteht, das von der Villa bis zur psychiatrischen Klinik reicht, vom Kirmeszelt zur Zeitungsredaktion, vom Polizeipräsidium zum Puff. Die Milieubeschreibung schiebt sich ein ums andere Mal vor die Ermittlung und zeigt dabei das pralle, beschissene Leben im alten Westberlin. Die Form des Detektivromans wird zwar nicht ausgehöhlt, aber doch benutzt, um eine Vielzahl spezifischer Einblicke zu ermöglichen. Dadurch kommt der Ermittlungsarbeit der Charakter einer Reise zu, bei der – auch das natürlich ein Klischee – der Detektiv letztlich auch auf der Suche nach sich selbst ist. Am Ende bleibt jede Entwicklung aus. Die Lösung des Falles wird sekundär, der Filz, auf den der Detektiv stößt, ist zu tief, als dass die Ordnung der Welt wiederhergestellt werden könnte, alles mündet in Absurdität.

Zugestanden: Sprachlich ist das alles wenig ambitioniert. Weder ist der Stil des Erzählers allzu elegant, noch wird die Figurenrede konsequent individualisiert oder auf das jeweilige Milieu abgestimmt. Fauser verleiht seinem Ich-Erzähler eine karge, reduzierte Sprache, die weniger humoristisch aufgelockert als etwa bei Chandler, aber kaum weniger drastisch ist. Fauser vermittelt Impressionen von Deutschland, besonders vom Westberlin der 1980er Jahre, und nimmt dabei eher die Gossen, die Spelunken und die Bordelle in den Blick als die glänzende Oberfläche. Die wohlgeordnete Spießigkeit der frühen Kohl-Jahre hat ein alles andere als vorzeigbares Fundament, und Fauser leistet Arbeit am Verdrängten, indem er die schäbigen Seiten des Lebens ausleuchtet. Das alles geschieht – muss es eigens erwähnt werden? – politisch völlig unkorrekt und mit abgegriffenen Genderklischees, was dem Text aber zum einen zum Zeitdokument macht, zum anderen vom Genre vorgegeben ist.

Heinz Harders Arbeiten als Journalist werden beschrieben als „Nicht ganz seriös, aber unterhaltsam.“ Das gilt auch für Fauser selbst, wobei gerade das „nicht ganz seriös“ als Gütesiegel verstanden werden sollte. Fauser markiert genau den Ort, an dem das Niedere sich im Bewusstsein der eigenen Niedrigkeit zum Höheren erhebt, dann aber doch lieber im Hinterhof verbleibt als die Allee entlang zu flanieren. Die Neuedition seiner Werke möge Gelegenheit sein, Fauser wieder zu lesen und die Würde des Schunds neu zu denken. Gerade indem er die Welt und seine Figuren teils als schäbige, teils als liebenswert abgerockte Existenzen zeigt, verleiht er der schon damals ihrerseits ziemlich abgerockten Form des harten Detektivromans eine neue Daseinsberechtigung und zeigt ihr Potenzial zur Schilderung deutscher Verhältnisse. „Unterhaltsam“ ist das, ganz nebenbei, auch noch.

Titelbild

Jörg Fauser: Das Schlangenmaul. Roman. Mit einem Nachwort von Friedrich Ani.
Diogenes Verlag, Zürich 2019.
306 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070361

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