Auf dem Weg ins Hirnprekariat

Über Miriam Meckels „Mein Kopf gehört mir. Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film: Eine Architektin ruft ihr Team zu einer Besprechung zusammen. Wo auf der Welt sich die Teilnehmer gerade befinden, ist dabei völlig egal. Das Treffen findet nämlich außerhalb der analogen Realität statt. Gekoppelt werden die Beteiligten mithilfe ihrer Gehirnimplantate, die drahtlos miteinander kommunizieren. Dort, in einer virtuellen Wirklichkeit, in einer „Hirn-Cloud“, können sich die Teammitglieder dann austauschen. Und zwar ohne den lästigen Umweg über die Sprache, denn die Gedanken und Vorstellungen werden einfach direkt geteilt. Der „Brainchat“ macht’s möglich.

Ausgemalt hat sich diese Szene Miriam Meckel auf der Grundlage der Vorhersagen von Technik-Pionieren aus dem Silicon Valley. Tesla-Chef Elon Musk zum Beispiel ist davon überzeugt, dass wir alle spätestens 2050 auf die schneckenlahme Sprache verzichten können, die ohnehin nur fortwährend Missverständnisse produziert. Und Mark Zuckerberg lässt seine Mitarbeiter längst daran arbeiten, dass die User auf Facebook bald schon in Gedankenschnelle posten und liken. Wie es scheint, hat es für die Silicon Valley-Giganten den „linguistic turn“ in der Philosophie nie gegeben. Miriam Meckel dagegen schreibt über die Direktkopplung unserer Gehirne mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Ein Mix, der für das neue, vorzüglich lesbare Buch der Medienexpertin typisch ist. Mein Kopf gehört mir, das ist ebenso sehr eine Expedition in die schöne neue Welt des „Brainhacking“ wie eine Warnung vor ihr.

Denn Meckels Unbehagen schlägt oft genug in blanken Horror um. Wenn die Veränderung unserer Gehirne mittels digitaler Erweiterungen oder Medikamenten irgendwann so selbstverständlich geworden ist wie heute das Smartphone: Werden wir dann für alles und jeden transparent? Wer schützt uns vor der Manipulation unserer Gedanken oder Erinnerungen? Wie steht es in dieser auf maximale Effizienz getunten Welt um unsere Willensfreiheit? Und wie verändern sich unsere Beziehungen, wenn jeder urplötzlich aufkommende Gedanke, jede Emotion sofort mit dem Gegenüber „geteilt“ wird?

Wer solche Fragen als bloßen Alarmismus oder haltlose Übertreibungen abtut, sei gewarnt: Etliches von dem, was Meckel beschreibt, ist jetzt schon möglich beziehungsweise Realität, das zeigen nicht nur ihre Gespräche mit Forschern oder Neuro-Visionären, sondern auch ihre Selbstversuche. So konnte die Autorin in einem Bostoner Start-up-Unternehmen die Aktivität ihres Gehirns mittels elektrischer Hirnstimulation wie eine Lampe herauf- und herunterdimmen. Oder sie buchstabierte, ein Elektrodennetz auf dem Kopf, in einem Tübinger Uni-Labor allein mit Gedankenkraft Wörter wie „Interface“.

Dass in der Medizin die segensreichen Aspekte dieser Entwicklungen liegen, ist für Meckel selbstverständlich. Längst können zum Beispiel Querschnittsgelähmte Roboterarme bewegen oder in ihrem Körper gefangene Patienten endlich wieder mit ihren Angehörigen kommunizieren. Und dass sich Erinnerungen verändern lassen, haben Experimente mit Ratten gezeigt – was ganz neue Wege bei der Behandlung von Trauma-Patienten eröffne, so Meckel. Ein Desaster war dagegen ihr Selbstversuch mit dem ADHS-Medikament Ritalin. Die Autorin konnte zwar stundenlang konzentriert an einem Text schreiben. Nur war dieser am Ende leider komplett uninspiriert. Dennoch sollen zum Beispiel an amerikanischen Elite-Unis 80 Prozent aller Studierenden diese Art von Medikamentenmissbrauch betreiben.

Heute wird nicht nur auf der ganzen Welt an Wegen geforscht, Gehirne und Computer miteinander zu koppeln. Inzwischen gibt es, gerade in den USA, die Bewegung der „Transhumanisten“, die zum Beispiel davon träumt, unser Bewusstsein gleich ganz ins Netz zu transferieren. Für Meckel sind Transhumanisten ebenso wie die ihre Gehirne dopenden Studenten Vorzeichen einer neuen Zweiklassengesellschaft: mit einer getunten Elite, den „Hirnoptimierten“, auf der einen Seite und einem „Hirnprekariat“ auf der anderen. Wer die erschreckende Logik des heraufziehenden „Neurokapitalismus“ verstehen will, sollte unbedingt Miriam Meckels Buch lesen.

Titelbild

Miriam Meckel: Mein Kopf gehört mir. Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking.
Piper Verlag, München 2018.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492059077

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