Unzeitgemäße Grausamkeiten

Inkorrekt, grässlich und großartig zugleich – Charles Willeford zeigt in „Hahnenkämpfer“ seine Qualitäten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tiere als Sport gegeneinander kämpfen zu lassen, bis sie sich gegenseitig umgebracht haben, ist unverzeihlich und grausam. Ebenso klar ist es, dass es nicht gerade von einer ausgeglichenen Geschlechterbeziehung zeugt, wenn ein Mann darauf besteht, dass eine Frau ihn bekocht – von anderem gar nicht zu reden. Nicht minder klar sollte es sein, dass ein Roman, in dem ein Mann tut, was er tun muss, ein bisschen über der Kante ist. Trotzdem ist Hahnenkämpfer von Charles Willeford (1962 zuerst erschienen) ein großartiger, ein außergewöhnlicher Roman. Warum? Weil er konsequent in die Welt seines Protagonisten Frank Mansfield eintaucht und sich keinen Moment über ihn erhebt, um ihn zu verurteilen. Und darum geht es auch nicht, nicht in diesem Roman und nicht in Literatur (das wissen wir spätestens seit Vladimir Nabokovs Lolita von 1955).

Sich aber nicht klüger zu gerieren als seine Figuren, verlangt eine literarische Disziplin, die selten ist. Willeford hat sie, und wer ihn kennt, weiß das und schätzt ihn dafür. Der 1919 geborene Autor ist von seltenem Niveau, hat sich aber in Deutschland nie durchsetzen können. Immer wieder, wenngleich erst spät, hat es dazu Anläufe gegeben, und die waren nicht von schlechter Hand: Erst kurz vor seinem Tod 1988 hat sich Ullstein an ihn gewagt, Anfang der 1990er Jahre hat Rowohlt übernommen, danach folgte Pulp Master. Jetzt ist Willeford beim Alexander Verlag gelandet – was man beiden gönnen mag. Bezeichnend ist das allerdings doch.

Nun ist es nicht zu bezweifeln, dass Willeford seinen Lesern einiges zumutet: Seine Themen sind nicht korrekt, seine Protagonisten noch weniger. Immer aber geben seine Texte Einblicke, die höchst lehrreich sind und eben auch mitreißend, erstaunlich, irritierend und in jedem Fall konsequent. So liest sich Hahnenkämpfer beinahe über die gesamte Strecke wie eine detaillierte Anleitung zur Ausbildung von Kampfhähnen –  präzise und anscheinend unbeirrbar. Es bedarf großer konzeptioneller und literarischer Selbstsicherheit, um so etwas durchzuhalten. Willeford hatte sie offensichtlich.

Wie man dem Filmtagebuch Willefords, das dieser neuen Ausgabe mitgegeben ist, entnehmen kann, ist er mit gutem Grund stolz auf seine Recherchen und ihre Umsetzung im Roman, dessen Personal er – wie er nebenbei bemerkt – der Odyssee entlehnt hat. Wenn man einem Bonmot Bertolt Brechts glauben darf, dann muss ein Autor in einem Text Sachkompetenz simulieren können, aber nicht haben. Ein Schauspieler muss sich wie ein Hahnenkämpfer bewegen können, aber er muss keiner sein. Willefords Anerkennung gilt den Schauspielern, die binnen kurzem lernen, die Vögel so zu halten, wie es ein Profi tun würde. Willeford zeigt sich mithin zwar informiert und simuliert professionell, aber er ist kein Profi. Sein Stolz auf die Anerkennung der Hahnenkämpfer, die sein Buch kaufen und vor allem lesen (was sie nicht per se tun), ist unübersehbar.

Allerdings hat Willeford dafür gezahlt, dass er es keinem recht machen wollte, denn der Roman war ebenso wenig ein Erfolg wie die zwölf Jahre später realisierte Verfilmung. Leser und Kinobesucher waren anscheinend abgestoßen, da weder das Thema noch der Protagonist des Romans zeitgemäß war. Der erwähnte Frank Mansfield will mit allem, was er hat, die Medaille als Hahnenkämpfer des Jahres gewinnen. Diese Auszeichnung wird von einem unechten Senator, der längst jenseits seiner eigenen aktiven Zeit angelangt ist, auf einem Einladungsturnier verliehen, allerdings nicht jedes Jahr. So ist die letzte Preisverleihung schon einige Zeit her. Mansfield, der zwischenzeitlich sehr erfolgreich war, verliert zu Beginn des Romans aber seinen letzten Hahn, sein Geld, seinen Trailer und die 16-jährige Ausreißerin, die ihn schon länger begleitet. Er ist ganz unten. Aber er gibt seinen Plan nicht auf, sondern setzt nur noch mehr daran, endlich den heißbegehrten Preis zu erringen.

Nicht zuletzt hält er sich an den Schwur, nicht mehr zu sprechen, bevor er erfolgreich gewesen ist. Das führt zu der eigentümlichen Konstellation, dass wir zwar der Erzählung Mansfields lauschen, er aber den gesamten Roman hindurch gegenüber seinen Kombattanten stumm bleibt. Eine Idee, die für die Verfilmung einiges verspricht, aber auch schon im Roman zu irritierenden Momenten führt. Nur, wer Versprechen sich selbst gegenüber nicht hält, ist nicht ernst zu nehmen, meint der Erzähler und hält sich daran.

Titelbild

Charles Willeford: Hahnenkämpfer. Roman.
Alexander Verlag, Berlin 2017.
430 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783895814402

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