„Ein kleiner Schritt für einen Menschen …“
Vor 50 Jahren betrat erstmals ein Mensch die Mondoberfläche
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„That’s one small step for [a] man, one giant leap for mankind“ (dt. „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.“) Dieser Satz gehört zu den berühmtesten Zitaten der Menschheitsgeschichte. Neil Armstrong sprach ihn, als er am 21. Juli 1969 um 3 Uhr, 56 Minuten und 20 Sekunden (MEZ) als erster Mensch einen Fuß auf den Mond setzte.
20 Minuten nach dem Kommandanten des Raumschiffes Apollo 11 entstieg Buzz Aldrin der Landefähre Eagle. Das spinnenbeinige Gefährt mit den beiden Astronauten an Bord war am Vorabend auf dem Erdtrabanten gelandet. Ein uralter Menschheitstraum hatte sich damit erfüllt.
Das Unternehmen Apollo 11 hatte am 16. Juli 1969 begonnen. Die Erfolgschancen lagen unter 50 Prozent. Pünktlich um 09.32 Uhr Ortszeit (14.32 Uhr MEZ) hob die Saturn-V-Rakete mit einem riesigen Feuerschweif vom Startgelände Cape Kennedy in Florida ab. An Bord der Raumkapsel befand sich neben Armstrong und Aldrin als dritter Astronaut Michael Collins. Er war der Pilot des Mutterschiffes und musste in der Mondumlaufbahn zurückbleiben, während seine beiden Gefährten wenig später auf dem Erdtrabanten Geschichte schrieben.
Während des Fluges zum Mond musste die Landefähre an die Kopfseite der Kapsel angekoppelt werden. Ein Manöver, das ohne Probleme gelang. So erreichte Apollo 11 am 19. Juli den Mond. Am nächsten Tag trennte sich die Landefähre mit Armstrong und Aldrin vom Mutterschiff und begann mit der Landung auf dem Erdtrabanten. Die letzten Augenblicke vor dem Aufsetzen der Fähre gestalteten sich jedoch äußerst dramatisch. Die beiden Astronauten mussten, um Felsbrocken auszuweichen, auf Handsteuerung umschalten. Als die Eagle am 20. Juli 1969 um 21.17 Uhr (MEZ) aufsetzte, hatte sie nur noch Treibstoff für 20 Sekunden.
Drei Stunden früher als geplant, am 21. Juli um 03.39 Uhr (MEZ), öffnete Neil Armstrong dann die Ausstiegsluke der Landefähre. Sein historischer Abstieg auf einer Leiter wurde von einer fest installierten Schwarz-Weiß-Kamera an der Fähre festgehalten. Als Erstes sammelte er einige Bodenproben ein, eine „Notfall-Mustersammlung“, falls ein unerwarteter Rückstart notwendig gewesen wäre.
Buzz Aldrin versuchte auf der Mondoberfläche, einige Bewegungen zu erproben. Neil Armstrong fotografierte ihn dabei mit einer auf seiner Brust befestigten Kamera. Dann hissten die beiden das amerikanische Sternenbanner. Armstrong verlas die Inschrift einer Gedenkplatte, die sie auf dem Mond hinterließen: „Hier betraten Menschen vom Planeten Erde zum ersten Mal den Mond, 1969 A.D. Wir kamen in Frieden für die gesamte Menschheit.“
Schließlich installierte Armstrong eine Fernsehkamera, damit die Bodenkontrollstation und die Fernsehzuschauer rund um den Erdball die beiden Astronauten bei ihrer Arbeit verfolgen konnten. Sie bauten wissenschaftliche Geräte auf, darunter ein Seismograf zur Messung von Mondbeben und einen Spezialschirm zur Untersuchung des Sonnenwindes, sammelten weitere Gesteinsproben und führten ein Telefongespräch mit US-Präsident Richard Nixon.
Über zwei Stunden verbrachten Armstrong und Aldrin außerhalb ihrer Fähre. Spannung kam noch einmal beim Rückstart von der Mondoberfläche auf. Doch 21 Stunden und 36 Minuten nach der geglückten Landung zündete das Triebwerk der Fähre, wobei das Landeteil als Startrampe diente. Dreieinhalb Stunden später koppelte Eagle wieder an das Mutterschiff an, in dem Collins während der ganzen Zeit den Mond in einer Entfernung von 110 Kilometern umrundet hatte. Am 24. Juli kehrten die Weltraumhelden wohlbehalten von ihrer historischen Mission auf die Erde zurück.
Weltweit verfolgten etwa eine halbe Milliarde Menschen gebannt diese Sensation, auf dem heimischen Sofa oder auf öffentlichen Plätzen. Rund um den Erdball schien der Alltag stillzustehen. Die Fernsehübertragung machte die Menschen zu einer Gemeinschaft von Augenzeugen. Durch die Nutzung der neuesten Medien wurde die Mondlandung zu einem Spektakel, das von Beginn an als Medienereignis geplant und inszeniert wurde.
Das Fernsehen dokumentierte nicht nur den wissenschaftlichen Erfolg, sondern es präsentierte gleichzeitig seinen eigenen Erfolg. Mit Hilfe der 27-stündigen Live-Übertragung war es möglich, dass die Menschheit bei dieser wissenschaftlichen Großtat dabei war. Die Mondlandung ging als das erste weltweite mediale Großereignis in die Geschichte ein, eine strategisch durchdachte Inszenierung. Die Bilder der Mondlandung waren, so könnte man provokativ behaupten, mindestens so wichtig wie das Ereignis selbst. Durch das größte TV-Ereignis aller Zeiten haben sich die Bilder der Apollo 11-Mission gewissermaßen in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt. Damit ist diese historische Leistung weit besser in Erinnerung geblieben, als wenn wir nur von ihr gehört oder gelesen hätten.
Zum 50. Jahrestag der Mondlandung sind zwei prächtige Bild-Text-Bände erschienen, die neben der wissenschaftlichen Pioniertat auch einen Überblick über die Raumfahrt im Allgemeinen geben. In der Neuerscheinung Abenteuer Raumfahrt (Dorling Kindersley Verlag) erzählt der britische Astronom Giles Sparrow, der bereits mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht hat, die komplette Geschichte der Expeditionen ins All (so der Untertitel) – von den Raketenpionieren (Konstantin Ziolkowski, Hermann Oberth oder Wernher von Braun) bis zu den geplanten Weltraumprojekten in naher Zukunft. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Kapitel „Aufbruch in den Weltraum“ und „Wettlauf zum Mond“. Mit zahlreichen historischen Fotos, Skizzen, Schemata, Dokumenten und Kurzbiografien wird diese spannende Zeitspanne von 1957 bis 1972 überaus üppig illustriert. Auch die Expeditionen nach Apollo 11 mit den weiteren Mondlandungen – der sowjetischen Raumstation Mir, dem amerikanischen Columbia-Projekt oder der Internationalen Raumstation ISS – werden vorgestellt. Der Erforschung des Weltraums mit Satelliten und Raumsonden (Mars Exploration Rover oder Jupitersonde Galileo) widmet sich der Autor ebenfalls. Die einzelnen wissenschaftlichen Erfolge (und Misserfolge) werden zumeist kompakt auf Doppelseiten dargestellt, die an den äußeren Seitenrändern mit einem Zeitstrahl versehen sind, der die entscheidenden Etappen deutlich macht. Detaillierte Aspekte der Raumfahrttechnik oder Erfahrungen aus den einzelnen Missionen werden in speziellen Rubriken erläutert. In seinem Vorwort erinnert Buzz Aldrin an seine Astronautenausbildung und seine Einsätze in den Gemini- und Apollo-Programmen. Außerdem drückt er die Hoffnung und Überzeugung aus, dass es bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts möglich sein werde, auf den Mond zurückzukehren.
Der zweite Bild-Text-Band MoonFire wählt eine andere Herangehensweise an das Jahrhundertereignis. Sein Autor ist der berühmte amerikanische Schriftsteller Norman Mailer (1923–2007), der Verfasser von einem Dutzend Romanen, darunter etliche Bestseller (u.a. der Antikriegsroman The Naked and the Dead (1948, dt. Die Nackten und die Toten)) und von zahlreichen Sachbüchern, Theaterstücken und Drehbüchern. Mailer war 1969 von der Zeitschrift LIFE beauftragt worden, über den Flug zum Mond in einer dreiteiligen Essayserie zu berichten. Es wurden die drei dicksten je gedruckten LIFE-Hefte – von August 1969 bis Januar 1970 –, die anschließend als Of a Fire on the Moon (1971, dt. Auf dem Mond ein Feuer, ebenfalls 1971 bei Droemer Knaur) auch in Buchform erschienen. Hin- und hergerissen von dem ungeheuren Gefühl, dass die Menschheit gerade einen Sprung zu den Sternen wagte, berichtete Mailer über das „edle und zugleich verrückte Unternehmen“. Dazu mischte er sich unter die Wissenschaftler, die Hilfskräfte und Bürokraten und sogar unter die Astronauten; er besuchte Pressekonferenzen und schnüffelte in verstaubten Winkeln herum. Letztlich sind es diese Einzelheiten, die seine Story ausmachen, und die suchte er überall. Sein Ingenieurstudium in Harvard half ihm dabei, auch etwas von der Technik zu verstehen.
MoonFire gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil sucht Mailer die unmittelbare Nähe zu den Astronauten, um ihre Psychologie und ihren eisernen Kern zu erkunden – und damit war nicht nur ihre körperliche Verfassung gemeint. In Teil 2 begleitet Mailer ausführlich die Vorbereitungen des Fluges und schließlich den Start von Apollo 11, der von einer gewaltigen Heerschar von Politikern, Journalisten und Schaulustigen beobachtet wurde: in „acht Komma neun Sekunden vor dem Start zündeten schlagartig die Triebwerke der Apollo-Saturn, und zwei Hörner von orangegelbem Feuer schossen wie Geister aus dem unteren Ende der Rakete.“ Teil 3 ist vorrangig der Landung auf dem Mond gewidmet: „Ja, hier lag nun endlich der Mond vor ihnen, … hier lag der Trabant der Erde, geheimnisvoll über alles Maß hinaus. […] Und was für ein Land bot sich der Betrachtung! Wenn es wirklich tot war, dann hatte dieser Tod noch gewaltige Dimensionen.“ In Teil 4 schließlich die triumphale Heimkehr der Helden.
Aquarius, wie sich Mailer in Auf dem Mond ein Feuer selbst nannte, betrachtete die Apollo 11-Mission aber nie isoliert, immer wieder setzte er sich mit der amerikanischen Gegenwart auseinander. Der großartige Band ist ebenfalls reichhaltig mit Fotos (darunter viele ganz- und doppelseitige Abbildungen) ausgestattet und wird mit einer Einleitung von Colum McCann sowie dem Nachwort Norman Mailer: Ein Leben von J. Michael Lennon (beides amerikanische Schriftsteller) ergänzt.
Es fällt schwer, sich für eine der beiden Neuerscheinungen zu entscheiden: beide lassen das Abenteuer der Mondlandung (wieder) lebendig werden. Mit den vielen Details und Daten ist Abenteuer Raumfahrt sicher etwas für Technikinteressierte, während Leser, die sich von einer eindrucksvollen Reportage fesseln lassen wollen, eher zu MoonFire greifen werden. Oder – wie ich – zu beiden Titeln, schließlich habe ich als junger Physikstudent in jener legendären Nacht vom 20. zum 21. Juli 1969 vor einem schwarz-weiß flimmernden Fernseher gesessen und mich später neben dem Beruf für Literatur begeistert.
Realität oder Vision? Auch wenn Millionen auf der ganzen Welt zu Augenzeugen wurden, entstanden bald Verschwörungstheorien, die behaupteten, die bemannte Mondlandung sei in einem Hollywood-Studio gefilmt und von der NASA und der amerikanischen Regierung lediglich vorgetäuscht worden. Die Fälschungstheoretiker führen dabei bis heute verschiedene Argumente ins Feld. Immer wieder wird auf das Flattern der Fahne und den fehlenden Sternenhimmel hingewiesen oder auf die widersprüchlichen Schattenwürfe. Allerdings lassen sich die Behauptungen der selbsternannten Mond-Experten leicht anhand des überlieferten Materials widerlegen.
Über solche Verschwörungsmythen hat der Physiker Holm Gero Hümmler gerade ein Buch vorgelegt. In ihm liefert er naturwissenschaftlich-technische Argumentationen und will damit vor allem Lesern ohne entsprechenden Fachhintergrund Hilfestellung leisten. Neben der bemannten Mondlandung setzt er sich kritisch mit einer Anzahl von Verschwörungsbehauptungen (u.a. zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001) auseinander. Hümmler versucht, dem Leser fundiertes Wissen zu vermitteln, damit sich dieser nicht „mit verdrehten Fakten für dumm verkaufen lässt“. Das wichtigste Argument gegen eine Hollywood-Inszenierung ist jedoch die einfache Frage: Wie ist das Schweigen von zehntausenden unvermeidlichen Mitwissern über inzwischen 50 Jahre zu erklären? Selbst die sowjetischen Raumfahrt-Experten hegten nie einen Zweifel an dem amerikanischen Erfolg.
Nach Apollo 11 landeten in den folgenden drei Jahren noch weitere fünf bemannte Apollo-Missionen auf dem Mond. Damit brachte die NASA insgesamt zwölf Astronauten auf den Erdtrabanten. Seit 1972 hat jedoch kein Mensch mehr den Mond betreten. Mit Eugene Cernan (gemeinsam mit Harrison Schmitt, Apollo 17) verließ am 14. Dezember 1972 der letzte Mensch die Mondoberfläche. Der erste Schritt von Neil Armstrong wird jedoch unvergesslich bleiben.
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