Kritik und Kapitulation

Der Sammelband „Mindstate Malibu“ bemüht sich, den Neoliberalismus in tödlicher Umarmung verschwinden zu lassen

Von Juliane Prade-WeissRSS-Newsfeed neuer Artikel von Juliane Prade-Weiss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus“ lautet der Untertitel des von Joshua Groß, Johannes Hertwig und Andy Kassier in Zusammenarbeit mit dem Institut für moderne Kunst Nürnberg herausgegebenen Bandes Mindstate Malibu. Mit derselben Flapsigkeit, um die sich alle Textbeiträge des Bandes bemühen, legt die These des Untertitels den Finger in eine Wunde der zeitgenössischen intellektuellen Kultur: Ist Kritik nicht in der Tat ein bequemer Rückzugsort geworden, an dem sich ein richtiges Bewusstsein über die Zerstörung behaupten lässt, die der Neoliberalismus an Individuum, Zivilisation und Natur entfaltet – ohne zugleich selbst etwas ändern zu müssen? Und sichert diese gern ironisch unterfütterte Distanz nicht bloß den Anschein eines Abstands, indem sie ein Absehen von der eigenen Komplizenschaft erlaubt, während für die fortgesetzte Teilnahme an neoliberalen Praktiken gesorgt wird? Kritik kann als einer von zahlreichen einstigen Gegenentwürfen begriffen werden, welche die neoliberale Logik sich einzuverleiben gelernt hat – ebenso wie Feminismus, Menschenrechte, Umweltbewusstsein etc. Sie alle lassen sich als Generatoren guten Gewissens einspannen für die Selbstoptimierung duldsamer DienerInnen des Profits. Deshalb – weil der Neoliberalismus die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, in sein System eingebaut hat – geht Mindstate Malibu einen anderen Weg, um vice versa die neoliberale Logik tödlich zu umarmen: radikale Affirmation. „Erst mal alles wegaffirmieren, dann in Ruhe weiterschauen.“ Aber wohin?

Mindstate Malibu betrachtet autopoetische Praktiken der Inszenierung als Element gesellschaftspolitischer Diskurse in elektronischen Medien, vor allem bei Twitter. Genauer: Er betrachtet die ironische Behauptung authentischer Individualität auf Twitter, die vom Verzicht auf jedwede relevante Selbstbestimmung oft kaum zu unterscheiden ist. „Nur der Grind zählt.“ „Grind“, das Losungswort des Bandes, ist das Zähneknirschen des kapitalistisch geprägten Subjekts aus dem 20. Jahrhundert, das im 21. lernen soll, im Handeln gegen die eigenen Interessen und jene des Planeten läge seine Freiheit: „Fun.“ Doch der Band spricht nicht über die Logik dieser Verführung und kaum darüber, dass der Energieaufwand für das Kühlen der Server der digitalen Welt eine der ökologischen Hauptlasten ist – all das ginge in die geschilderte Falle der Kritik. Diese Entscheidung ist nicht leichtfertig, denn wie der Beitrag von Groß erläutert, sieht das neoliberale System – angesichts der kaum umgänglichen Komplizenschaft mit ihm – auch eine Stelle für die Selbstverachtung vor. Immer dort aber, wo Textbeiträge im Band dringende Punkte formulieren, über die man gern mehr und Klareres läse, schnappt etwas anderes zu: die Falle der „lingo“, das heißt der Eskapismus der Projektion, die an ihrem Ton den größten Gefallen findet: „Wavy wie Palmen, prickelnd wie Softdrinks, und mit glitzernder Oberfläche wie das Meer.“ Was so klingt, ist keine spielerische Leichtigkeit. Dass die hier nichts zu suchen hat, machen die Bildbeiträge zum Band sehr klar. Was so klingt, das zeigt der Beitrag von Sebastian Maschuw und Max Röbel, ist die Verzweiflung desjenigen, dem als Autopoiesis einzig die Onanie bleibt: „Hier wird’s jetzt geil.“

Wird‘s nicht. Hier werden wichtige Fragen, die gegen den immensen Widerstand eines mühsam seine Leichtigkeit behauptenden Jargons doch aufgeworfen werden können, durch Löcher in meist sehr dünnen Brettern entsorgt. So betont Hertwig zum „Mindset Malibu“: „Dieses Mindset kennt keine Breiten- und Längengrade“, verzichtet also auf eine Bewusstwerdung des eigenen Standorts. So kann es kommen, dass das Magenta, das den Band prägt, mindestens ebenso sehr wie an Malibu auch an die Deutsche Telekom der 90er Jahre gemahnt. Sei’s drum, die 90er sind ja „Fun“. Eine größere als bloß ästhetische Komplikation zeitigt die Wahl solcher leichten Auswege, wenn just dort, wo soziale Fragen aufzukommen drohen, allen voran beim oft beschworenen „Gangsta Rap“, stattdessen der „Fun“ betont wird. Andernorts, wo es nicht den sozialen Sprengstoff der segregierten US-Gesellschaft zu übersehen gilt, steht neben dem „Fun“ denkbar altväterlich, dass man ja leider „zwischendurch Geld verdienen muss“. Ein einfacher Ausweg ist es leider auch, wenn Fabian Schäfer, der den „Grind“ in den philosophischen Begriffen von Spiel und Darstellung diskutiert, einen Maßstab erfindet, an dem sich die Legitimität der schon für Platon problematischen Vermischung von Schein und Sein, also Fake und News beurteilen lässt: die bessere Zukunft. Dem können freilich alle Populisten und Extremisten zustimmen – darum hatte Platon darauf beharrt, dass kein gesellschaftspolitischer Zweck die ontologische Schwierigkeit sticht, dass man vom gut vorgemachten Schein das Sein davontragen kann. Wie Schäfer vorschlägt, „eine radikal andere Zukunft“ zu bewirken, indem man so tut, als sei sie bereits eingetroffen, ist keine politische Darstellungspraxis, sondern bloß das Absehen von denjenigen, die nicht in der Lage sind so zu tun als ob.

Klassenkampf mag kein Weg mehr sein, die Kapitulation in die Pose aber ist auch keine Antwort auf die Frage: Weiterschauen – wohin? Jedenfalls nicht aufs Selfie. Um es mit einem Satz von Groß zu sagen, den dieser Band als dringend notwendig erscheinen lässt: „Die Welt kann ein Gegenstand unserer Sorge werden.“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Joshua Groß / Johannes Hertwig / Andy Kassier (Hg.): Mindstate Malibu. Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus.
starfruit publications, Fürth 2018.
320 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783922895336

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