Männer im Kanu

Mit „Die Weiden“ ist ein Donau-Klassiker von Algernon Blackwood wiederzuentdecken

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

32 Jahre alt war der 1869 geborene Engländer Algernon Blackwood, als er in Donaueschingen ankam, zusammen mit einem Freund das aus London gelieferte Kanu bestieg und sich auf den Wasserweg nach Budapest machte. Damals etwas absolut Ungewöhnliches, denn Kanufahren war noch nicht in Mode, es gab nur erste Rudervereine. Die Donau war an manchen Stellen viel wilder als heute. Und Briten waren noch Exoten, wie die prägnanten, manchmal auch recht lustigen Schilderungen vieler Begegnungen mit Uferbewohnern vor Augen führen. Die beiden Freunde schlugen sich tapfer. Abends bauten sie ihr Zelt auf, machten ein Feuer und kochten sich ein Süppchen. In aller Frühe ging’s weiter – doch was war das? In der Alb versickert der Fluss beinahe vollständig in Ritzen und Felsspalten! Also: im kalten Wasser waten und das Kanu tragen. Noch weit vor Ulm dann ein Dröhnen, „das klang wie ein Zug, der über eine hohe Brücke rast“. Das war die Iller: „Hals über Kopf stürzten ihre eisigen, wirbelnden, schlammgetrübten Wassermassen herein und brachten ein Tempo in den gemächlichen Lauf der Donau, das fast hundert Meilen lang anhielt“.

Die wackeren Kanuten erholten sich eine Woche lang in Ulm, bestens umsorgt vom dortigen „Donau-Ruderclub“. Weiter! Bald landeten sie im Kloster Weltenburg bei Kelheim in Niederbayern: „Alles kündete von Vernachlässigung und Zerfall … Ein weltabgeschiedener Ort, friedlicher, als man es in Worten ausdrücken könnte, weltfern und entrückt“. Heute ist der Parkplatz dort größer als das Kloster selbst. In Regensburg wurden sie „ernsthaft“ davor gewarnt, unter der Steinernen Brücke hindurchzufahren – die Strudel seien unberechenbar. Na und! „Die Brücke vor uns war schwarz von Neugierigen, die darauf warteten, dass die verrückten Engländer vor ihren Augen kenterten“. Sie kamen durch, und vier Tage später zelteten sie schon auf einer Insel unweit von Vilshofen. Dort lernten sie einen Indigenen kennen, der einfach nicht weichen wollte: „Seine Neugier war schier unersättlich; mit gekreuzten Armen und breit aufgepflanzten Beinen stand er da und begaffte uns in ausdruckslosem Schweigen … Unmöglich, unter diesem stieren Blick unser frugales Abendessen zuzubereiten“.

Bisweilen gestaltet sich der Kontakt der Kulturen ganz schön schwierig; verzaubert allerdings waren die Briten von Passau, der „außergewöhnlich malerischen alten Stadt mit ihrem Gewirr von Giebeln, Türmen und Brücken“, und mehr als angetan waren sie von der überwältigend schönen Landschaft flussabwärts in Ober- und Niederösterreich: „Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, alle Abteien, Kirchen, Klöster, Ruinen, Inseln und andere Sehenswürdigkeiten, welche die Ufer säumen, gebührend zu würdigen. Ihr Anblick ist hinreißend und voller Zauber“. In der Hauptstadt der Habsburger hielten sie sich nicht lange auf. Zwei Paddeltage hinter Wien erreichten sie Ungarn, und die überwältigende Gastfreundschaft, die sie dort erlebten, schreibt der Autor der „Zauberformel“ Lajos Kossuth zu: „Hass auf Österreich war allerorten das vorherrschende Gefühl. Wir dankten in unserem Herzen der Generation, die Kossuth im Exil aufgenommen hatte“. Nach insgesamt sechs Wochen abenteuerlicher Donaufahrt mit zahlreichen weiteren, hier nicht erwähnten kuriosen Episoden landeten die beiden Briten am „Kai des Hunnia-Ruderclubs“ in Budapest – und Blackwood machte sich ans Schreiben.

Sein 1901 zuerst in Macmillan’s Magazine publizierter brillanter Reisebericht gehört heute zu den Donau-Klassikern. Der Autor jedoch, der noch zahlreiche Kurzgeschichten und Romane verfasste, war zum Zeitpunkt seines Todes 1951 weitgehend vergessen. Eine höchst dramatische Episode aus seinem Reisebericht, die auf einer Insel hinter Bratislava spielt, verarbeitete er später zu der packenden fantastischen Erzählung Die Weiden. Thomas Mahr nennt sie in seinem Vorwort „eine der besten Schauergeschichten der Weltliteratur“. In geradezu hinreißender Manier erzählt Blackwood, wie das Glücksgefühl des Einklangs mit scheinbar ursprünglicher Natur einer immer beklemmender werdenden, niederdrückenden und namenlosen Furcht weicht. Die Bedrohung geht aus von den Weidenbäumen, die in Nacht und Wind existentielles Unheil zu verkörpern scheinen. Edgar Allan Poe lässt grüßen – Horror und Grauen sind garantiert! Nicht nur H. P. Lovecraft schätzte den Autor der Weiden über die Maßen.

Blackwoods Reisebericht und seine großartige Erzählung finden sich in einem schönen kleinen Bändchen, das in einem jungen, erst 2015 gegründeten Verlag erschienen ist, der sich ganz der „Donau-Literatur“ verschrieben hat. Dazu liest man noch einen kurzen wissenschaftlichen Beitrag, in dem betont wird, dass eine Donaufahrt über Wien hinaus damals eine Reise in Europas „Heart of Darkness“ war. Wer Die Weiden gelesen hat, glaubt das sofort.

Titelbild

Algernon Blackwood: Die Weiden / Eine Kanufahrt auf der Donau.
danube books, Ulm 2018.
154 Seiten, 16,50 EUR.
ISBN-13: 9783946046134

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