Eine Leiche im Vorgarten und andere Überraschungen

Garry Dishers neuer Held Alan Auhl kümmert sich nicht nur um Cold Cases

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass eine Giftschlange sich scheinbar unter einer Betonplatte im Garten der jungen australischen Familie Wright eingerichtet hat, ruft nach einigem Hin und Her mit dem örtlichen Schlangenfänger und einem Betonbauexperten, der der Platte mithilfe seiner Werkzeuge zuleibe rückt, Sergeant Alan Auhl auf den Plan. Der hat eigentlich bereits mit seiner Karriere bei der Melbourner Polizei abgeschlossen, ist nach fünf Jahren des Müßiggangs und der zeitweiligen Mitarbeit bei verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen allerdings wieder bei der Truppe gelandet und arbeitet nun an sogenannten Cold Cases, also Fällen, um die man sich in der „Abteilung für ungelöste Fälle und vermisste Personen“ kümmert. Auf beides – einen ungelösten Fall und eine Leiche, deren Identität nicht feststeht – ist man unter der Betonplatte auf dem Grundstück der Wrights südöstlich von Melbourne gestoßen.

Mit Alan Auhl hat der australische Autor Garry Disher (Jahrgang 1949) nach den Buchreihen um den Berufskriminellen Wyatt (bisher acht Bände) und den gerechtigkeitsliebenden Inspector Hal Challis (bisher sieben Bände) sowie einigen Stand-Alones – darunter der mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen geehrte Roman Bitter Wash Road  (Unionsverlag 2016) – eine neue Figur in sein umfangreiches Werk, zu dem neben den Kriminalromanen auch Kinder-, Jugend- und Sachbücher gehören, eingeführt. Auhl macht fehlende Jugend durch eine 30-jährige Polizeierfahrung wett und ist – neben Claire Pascal und Joshua Bugg, den beiden kriminalistischen Jungspunden, deren Spott er am Anfang des Romans gelassen erträgt – der ruhende Pol der Abteilung. Dass er sich nebenbei auch noch als guter Geist für eine ganze Reihe mehr oder minder aus der Spur geratener Menschen erweist, denen er in Chateau Auhl, dem von seinen Eltern geerbten, verwinkelten dreistöckigen Mietshaus aus dem 19. Jahrhundert, zeitweilige Unterkunft gewährt, und komplizierte Fälle gelegentlich auf eine ganz eigene, mit der herrschenden Rechtsprechung nicht unbedingt kompatible Art und Weise löst, macht einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Persönlichkeit aus.

Vorerst aber treibt ihn der Fall des „Plattenmanns“, wie man die bei der Schlangenjagd ans Licht gekommene männliche Leiche getauft hat, um. Schnell steht fest, dass der ca. 20-Jährige erschossen und der die Leiche verbergenden Betonplatte zur Tarnung des Verstecks mit Erde und Schotter ein älterer, reichlich verwitterter Anschein verpasst wurde. Aber wer ist der Mann, an den sich niemand von den Vorbesitzern des abgelegenen Hauses erinnern kann? Und wer hat ihn getötet und verscharrt? Harte Polizeiarbeit, die in erster Linie Wühlen in staubigen Archiven und Befragen von meist auskunftsunfreudigen Zeitgenossen bedeutet, schweißen Alan und die ihm anfangs mehr als distanziert gegenüberstehende Claire Pascal bald so eng zusammen, dass die von ihr ständig gebrauchten Rollator-Witze schließlich Geständnissen über ihre privaten Sorgen weichen und sie gar zeitweilig Auhls Angebot annimmt, in ein leer stehendes Zimmer seines Hauses einzuziehen.

Auch dort ist der Polizist zunehmend gefragt. Denn die von ihrem Mann getrennt lebende Neve Fanning hat sich mit Hilfe eines unerfahrenen Anwalts in einem Sorgerechtsprozess um ihre kleine Tochter Pia in eine Situation manövriert, in der sie nicht nur die Übersicht über ihr eigenes Leben, sondern auch ihr Kind an den vor Gericht souveräner auftretenden und damit den Richter auf seine Seite ziehenden Vater zu verlieren droht. Als die nervlich zerrüttete Frau schließlich in einer Nacht- und Nebelaktion mit ihrer Tochter die Flucht ergreift, muss Auhl sein ganzes Einfühlungsvermögen zusammennehmen, um das Schlimmste zu verhindern.

Wie er es schafft, wieder Ordnung in das Leben der beiden Fannings zu bekommen, stellt den Höhepunkt eines Romans dar, dessen Autor es mit leichter Hand gelingt, vier Einzelfälle so raffiniert wie gekonnt miteinander zu verbinden: Neben der Aufklärung des Gewaltverbrechens an dem „Plattenmann“ beschäftigen Dishers Held noch die bisher unaufgeklärten Giftmorde eines Arztes an zweien seiner Lebensgefährtinnen, und die Einlösung eines altes Versprechens zwei Schwestern gegenüber, deren Vater vor Jahren an den Folgen eines merkwürdigen Unfalls verstarb, hinter dem die Töchter nicht müde geworden sind, einen heimtückischen Mord zu wittern . Das Ganze ist erneut große Kriminalliteratur von einem der Besten seines Fachs weltweit. Kaltes Licht besticht vor allem dadurch, dass Garry Disher in Alan Auhl immer den Menschen über den gesetzestreuen Polizisten, den Mitfühlenden über den distanziert Ermittelnden siegen lässt. Das führt den Mann an und über problematische Grenzen, macht ihn aber auch zu einer einzigartigen Ermittlerfigur, der man gern ein weiteres Mal folgen würde.

Titelbild

Garry Disher: Kaltes Licht. Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, Zürich 2019.
314 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005501

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