Hitler im Kino, Stalin im Film

Peter Demetz begleitet die Diktatoren des frühen 20. Jahrhunderts ins Kino

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die prominente Rolle, die der Film in der Propaganda der großen Diktaturen des frühen 20. Jahrhunderts gespielt hat, ist hinreichend bekannt, wobei als Namen vor allem und zuerst Adolf Hitler, respektive Joseph Goebbels, und Josef Stalin einfallen. In Nazi-Deutschland und Sowjetrussland hat das Kino eine außerordentlich große Aufmerksamkeit vonseiten der Machthaber erfahren. Stalin und Hitler als ikonografische Figuren werden nicht zuletzt filmisch installiert, wobei es auffallend ist, dass Hitler sich dem Film vor allem zu Beginn seines Regimes widmete, Stalin hingegen erst nach dem Krieg.

Zu entnehmen ist das einer Studie Diktatoren im Kino des mittlerweile über 95 Jahre alten Peter Demetz – ein bedeutender Forscher, der sich seine professionelle Neugierde und eben auch seine Kompetenz bewahrt hat, das alles auch noch angemessen niederzuschreiben.

Sein Interesse gilt Wladimir Iljitsch Lenin, Benito Mussolini, Hitler, Goebbels und Stalin. Es ist seine erklärte Absicht, das Filminteresse dieser Akteure in der Zusammenschau vorzustellen. Dafür spannt Demetz einen großen Bogen über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, das von diesen totalitären Herrschern so massiv bestimmt wurde. Wenn es ein Ergebnis dieser Studie gibt, dann das, dass das Interesse der Diktatoren am Kino in großem Maße persönlich grundiert ist. Vielleicht mit Ausnahme Goebbels’ haben sie die Funktionalität des Films nur spät und unwillig akzeptiert, sich dann aber zum jeweiligen Oberzensor ihres Regimes aufgeschwungen, an deren Entscheidung kein Film, kein Funktionär und kein Regisseur vorbeikam.

Goebbels ist insofern eine Ausnahme, als er sich bereits vergleichsweise früh mit dem Film beschäftigte, symbolträchtig Erfolgsfilme wie Im Westen nichts Neues attackierte und sich umgehend nach der Machtübernahme des NS-Regimes um die Gleichschaltung des Filmgeschäftes kümmerte. Auf ihn geht auch der teilweise Schwenk des deutschen Films im Krieg weg von der Propaganda hin zur Unterhaltung zurück, mit dem die Kriegslasten in der Bevölkerung aber auch an der Front abgemildert werden sollten.

Alles eine Frage der Strategie also, aber wenn’s darauf ankommt: Davon ist bei Demetz wenig zu lesen.. Die strategischen und konzeptionellen Ansätze zum Kino sind bei ihm in die persönlichen Umstände und Zugriffe verschoben. Zwar lässt sich der rasante Anstieg der Kinobesucherzahlen in Deutschland während der Kriegsjahre bei ihm nachlesen, was die zunehmende Bedeutung des Films in der NS-Zeit belegt. Aber Hitler war das wohl egal, auch wenn er Jahre zuvor Leni Riefenstahl selbst mit den Parteitags- und Olympiafilmen beauftragt hatte und damit die Richtung vorgab. Sein Interesse bleibt, so Demetz, weitgehend persönlich bestimmt. Im Hause Hitler – wenn man das so sagen darf – werden Komödien geschätzt, aber auch Schnulzen, solange das alles halbwegs linientreu bleibt. Über Ausnahmen entscheidet der Führer. Das strategische Interesse, das Goebbels verfolgte, wird von Hitler nicht geteilt. Das ist allerdings auch nicht nötig, da das Regime ja gerade auf dem doppelten Moment der systematischen Verfolgung seiner Interessen und dem Sonderentscheidungsrecht seines obersten Repräsentanten beruht. Erst mit dem Krieg wendet sich Hitler von den Spielfilmen ab und widmet sich ausschließlich den Wochenschauen, deren Tendenz und Darstellung er bestimmt.

Aber selbst im Fall Goebbels hebt Demetz stark auf die persönlichen Usancen des Propagandaleiters ab, der sich zwar alles herauszunehmen suchte, was seine Machtposition hergab und in Filme und Drehbücher eingriff (und nicht nur das: eine frühe Fassung der #Metoo-Bewegung hat ihn nicht ohne Grund den „Bock von Babelsberg“ genannt). Aber gegen Entscheidungen Hitlers lehnte sich Goebbels in keinem Fall auf. Filme anzuschauen und zu bewerten, gehörte zum Tagesgeschäft der NS-Gewaltigen (was sich anhand der Goebbels-Tagebücher, die – freilich bearbeitet – für die Veröffentlichung vorgesehen waren, gut nachvollziehen lässt).

Ganz anders dagegen Lenin, der – allerdings zu einem deutlich früheren Zeitpunkt – den Film vor allem als geeignetes Mittel für die Dokumentation des technischen Fortschritts einzusetzen beabsichtigte. Er sah zwar auch Spielfilme, schätzte aber vor allem eine Dokumentation zur Industrialisierung der Torfgewinnung. Den filmischen Personenkult, den Hitler, Mussolini und Stalin um sich installierten, hat er abgelehnt – was ihn nicht davor geschützt hat, ihm nach seinem Tod doch noch zum Opfer zu fallen.

Trotz der hagiografischen Bilder, die Filme von Diktatoren entwarfen, und trotz der Kontrolle, die sie über diese Bilder hatten, wird der Film nicht zu ihrem Kerngeschäft. Das überlassen sie lieber nachgeordneten, aber vertrauten Stellen, denen sie zum Teil enorme Machtfülle, wie in den Fällen Hitler und Mussolini, zum Teil aber auch große Mittel zur Verfügung stellten. In der Sowjetunion, Italien und Deutschland wird die Filmindustrie verstaatlicht und zugleich einer strikten Kontrolle unterworfen. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Das nützt allerdings nicht immer: Der eine oder andere widerständige Film wurde dennoch zugelassen, wenngleich sogar ein Sergej Eisenstein sich seine Willfährigkeit grimmig eingestand.

Obwohl Demetz ein aufschlussreiches Bild des Zugriffs der Diktatoren des 20. Jahrhunderts im Kino zeichnet, ist sein Zugriff irritierend. Durchzogen von privaten Ereignissen und von knappen biografischen Skizzen porträtiert er Funktionäre, Vertraute und Gefolgsleute der Machthaber, soweit sie sich mit dem Filmgeschäft beschäftigten. Das Interesse von Mussolinis Sohn Vittorio am Film wird über Seiten verfolgt, auch wenn es ein anderer Funktionär des Regimes – Luigi Freddi – ist, auf den etwa die Gründung der römischen Filmstudios „Cinecitti“ zurückgeht. Das Bild, das sich Leser machen können, setzt sich aus zahlreichen aufschlussreichen Teilen zusammen – aber interessanterweise lässt es sich überhaupt zusammensetzen, was die Kritik an Demetz’ Ansatz verblassen lässt. Er ist brauchbar und vor allem lesbar. Dass der Text dennoch voller vermeidbarer Redundanzen ist, hätte eine aufmerksame Redaktion indes verhindern können.

Titelbild

Peter Demetz: Diktatoren im Kino. Lenin – Mussolini – Hitler – Goebbels – Stalin.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019.
255 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783552059283

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