Wo Fuchs und Hase

Michael Schwarzbach-Dobson liefert auf über 300 Seiten „mittelalterliche Fabeln, Gleichnisse und historische Exempel in narrativer Argumentation“

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„…sich ‚gute Nacht‘ sagen“, wäre eine wohl extensiv verkürzte Form einer Fabel und damit der Vertreterin einer Gattung, die zu den sogenannten ‚kleinen Formen‘ gehört. Hinzu gesellen sich  sagenhafte und historische Gestalten, die in überschaubaren Texten präsentiert werden. Diese ‚kleinen Formen‘, eben die von Schwarzbach-Dobson in den Blick genommen Gruppe ‚exemplarischer Erzählungen‘, werden – so zumindest mein Eindruck – in der gegenwärtigen Mediävistik, die sich angesichts von Umstrukturierungen und an (vermeintlichem) Bedarf ausgerichteten Studieninhalten ohnehin in keiner unbedingt starken Position befindet, gegenüber früheren Studiencurricula doch eher randständig behandelt. Dabei bieten die kürzeren Texte neben inhaltliche interessanten Aspekten durchaus auch strukturelle Feinheiten, die der näheren Betrachtung wert sind. Eine solche unternimmt Michael Schwarzbach-Dobson in vorliegender Publikation.

Hierbei wird, so heißt es auf dem Informationstext, „die rhetorische Kontextualisierung kleiner Erzählungen vor dem Hintergrund immer neuer Forschungsimpulse aus den Bereichen ‚Topik‘ und ‚Epistemologie des Exemplarischen‘ untersucht“. Es handelt sich hierbei um die Überarbeitung der im Jahre 2017 eingereichten Dissertation des Verfassers. Mit der zumindest weitgehenden Abkehr von überlieferungshistorischen Fragen befindet sich Schwarzbach-Dobson gewissermaßen im Zuge der Zeit, deren Fragestellungen sich hin zu weitgehend sicherem Terrain gewandelt haben.

Dankenswert ist, dass der Verfasser in seiner Einleitung eine Definition der von ihm ausgesuchten und ausgewerteten exemplarischen Erzählungen (denn darum handelt es sich bei den Beispielen für ‚exemplarisches Erzählen im Kontext) unternimmt und dabei etwa die Form der ‚Märe‘ wegen ihres Umfangs und ihrer Komplexität ausklammert (und dabei in meinen Augen etwas überraschend als ‚exemplarische Großform‘ bezeichnet). Die Untersuchung ‚beschränkt‘ – das Wort ist hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt – also auf Gabeln, Gleichnisse und historische Exempel, die auch und gerade auf Grund ihres übersichtlichen Umfangs zum Thema gemacht wurden.

Die drei Gattungen erscheinen auf den ersten Blick reichlich disparat; gleichwohl findet Schwarzbach-Dobson einen gemeinsamen Nenner, der darin liegt, dass vom Besonderen der Einzelschilderung auf das Allgemeine, der beispielhaften Anwendbarkeit, geschlossen beziehungsweise erstere als Matrix angewendet werden kann – dies ist ein stringenter Ansatz, der als Leitplanke gewissermaßen für das Weitere dienen kann. Dementsprechend erfolgt auch der Aufbau der Arbeit beziehungsweise des Bandes nach einer in sich stimmigen Struktur. Vorangestellt sind die drei Unterpunkte um ein grundsätzliches ‚Rahmenziehen‘: ‚Exemplarisches Erzählen ‘‚‚Metapher und exemplarisches Erzählen‘ sowie  ‚Kleinere Formen exemplarischen Erzählens: Fabel, Gleichnis, historisches Exempel‘. Auf sechzig Seiten werden in diesem Zusammenhang definitorische Rahmenbedingungen gesetzt, die Forschungsgeschichte und der Forschungsstand paraphrasiert und hierbei nicht zuletzt der Begriff der Metapher angewandt beziehungsweise ihre nur bedingt gegebene Anwendbarkeit im Kontext des historischen Exempels belegt. Das heißt bezüglich dieser Gattung also: „Als wahre und geschrieben Erzählung ist es [das ‚historische Exempel] an ein festes historisches Archiv gebunden, wodurch seine Überzeugungskraft potenziert, seine Variationsfähigkeit aber minimiert wird“. Hier wird durch den Verfasser nachgewiesen, dass es offenkundig bestimmte Parameter gibt, die nicht auf jede der ausgewählten Kleinformen zutrifft. Da Michael Schwarzbach-Dobson wie angesprochen jedoch die Anwendbarkeit, das heißt das Schlussfolgern vom konkreten Einzelfall auf vergleichbare Konstellationen, als Kernkriterium definiert, geht das durchaus in Ordnung, zumal dieser Ansatz auch tragfähig erscheint.

Angesichts der Breite der potentiellen Beispiele, erscheint die quer- beziehungsweise auch längsschnittartige Auswahl, die Schwarzbach-Dobson trifft überzeugend. Bemerkenswert auch, wenn die Überkreuzungen verschiedener Untergattungen erläutert werden, so etwa, wenn unter der Sub-Überschrift ‚Funktionstypen des Exemplarischen‘ anhand der Gleichsetzung der Erzählung von der ‚Löwenhöhle‘ mit der Beschreibung des Schicksals Rudolfs von Habsburg oder das Einfließen der Dichtung vom ‚gegessenen Hirschherzen‘ in die ‚Kaiserchronik‘ thematisiert sind. Hier werden zur Verdeutlichung Synopsen vorgestellt, anhand derer die Entwicklungen transparent gemacht werden können. Damit sind Eingängigkeit und Anwendbarkeit gerade auch für diejenigen, die nicht unbedingt in der Thematik absolut firm sind, gewährleistet. In den Deutungsrahmen von Funktionalisierung und Narrativierung werden etwa auch der ‚Welsche Gast‘ oder ‚Der Renner‘ eingebunden und die entsprechenden Parameter einleuchtend dargelegt.

Bereits zuvor werden in einem Diskurs zur Fabel als visuellem Medium Bild-Narrative im Teppich von Bayeux vorgestellt, die dankenswerter Weise nicht nur beschrieben, sondern eben auch mit visuellen Beispielen, das heißt farbigen Abbildungen aus diesem Bilddokument des frühen Mittelalters anschaulich gemacht werden. Diese ‚optische Dienstleistung‘ ist natürlich einer der Pluspunkte des vorliegenden Buches.

Dieser Exkurs war jedoch auch ein solcher, der dann wieder in den Argumentationsgang zurückführt. Neben Einzelbeispielen wie etwa auch christlichen Erzählungen (‚Die Heilige Regel für ein vollkommenes Leben‘ oder ‚Der große Seelentrost‘), die zur Erläuterung von ‚Kontinuität und Transformation von Erzählmustern‘ herangezogen werden, sind dann in einem umfangreichen Kapitel Ulrich Boners ‚Edelstein‘ den ‚Gesta Romanorum‘ als Vertreterin des jeweiligen Prinzips der ‚geschlossenen‘ beziehungsweise der ‚offenen‘ Sammlung gegenübergestellt. Beide Sammlungen werden als archetypische Beispiele des jeweiligen Sammlungsansatzes auf ihre strukturellen Merkmale und die erkennbaren Aspekte des  Exemplarischen hin untersucht und vorgestellt. Als eine Art ‚Mischtypus‘ gewissermaßen stellt Schwarzbach-Dobson die Handschrift ‚London, British library, MS Add. 24946‘ vor, die ins späte Mittelalter verweist und damit in einen Zeitraum, der im Gegensatz zu Kompilationen des 13. Jahrhunderts bislang noch (zu) wenig im Fokus des Forschungsinteresses stand. Diese Handschrift umfasst sowohl Fabeln und Gleichnisse als auch historische Exempel, die dementsprechend mit den untersuchten Einzeltexten beziehungsweise Sammlungen korrespondieren. Damit werden zumindest implizit Traditionsstränge aufgewiesen, die im weitesten Sinne auch Rückschlüsse auf die Rezeption der entsprechenden Textgattungen ermöglichen.

Der vorliegende Band ist einerseits aufgrund seines struktural orientierten Ansatzes durchaus in den Kontext aktueller Forschungs- und Publikationsaktivitäten einzuordnen, geht aber meines Erachtens andererseits nicht zuletzt etwa durch die angesprochenen Synopsen oder auch den angenehmen visuellen Diskurs zu den Bild-Narrativen des Bayeux-Teppichs über eine rein formale Ebene hinaus und erscheint mir daher ‚anwendungsoffener‘. Die Verbindung von Form und Inhalt der untersuchten Texte wirkt in sich stringent und erschließt manches, was sich ansonsten zumindest in der einen oder anderen Facette nicht erschlossen hätte. Der umfangreiche bibliographische Teil, in dem auf breiter Ebene insbesondere die herangezogenen Primärtexte ausgewiesen sind, ermöglicht es, die vorgeschlagenen Wege selbst zu gehen beziehungsweise zu vertiefen – oder womöglich neue Abzweigungen zu erschließen. Ein Personen- und Werkregister ermöglicht ein Übriges; bedauerlich ist allerdings, dass ein sicherlich hilfreiches Sachregister nicht ausgewiesen ist. Gleichwohl wird das Buch gerade denjenigen von Nutzen sein, die sich – ob in Studium oder Forschung – mit den ‚kleinen Formen‘ beschäftigen wollen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Michael Schwarzbach-Dobson: Exemplarisches Erzählen im Kontext. Mittelalterliche Fabeln, Gleichnisse und historische Exempel in narrativer Argumentation.
De Gruyter, Berlin 2018.
303 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110577402

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