Musik als quälende Leidenschaft

Ingvar Hellsing Lundqvist setzt sich in seinem Roman „Wie man ein Genie tötet“ mit dem Komponisten Hans Rott (1858–1884) auseinander

Von Emma KraaijvangerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emma Kraaijvanger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Wie man ein Genie tötet folgt Ingvar Hellsing Lundqvist den Spuren eines heute fast vergessenen Komponisten: Hans Rott. Dieser versuchte sich in der Musikwelt im Wien des 19. Jahrhunderts zu etablieren. Seiner Leidenschaft folgend studiert er, nach seiner Schulzeit am Gymnasium, Komposition am Wiener Konservatorium, doch nach dem Tod seiner Eltern sieht er sich dazu gezwungen, eine Stelle als Organist im Kloster anzunehmen, um für seinen sowie den Lebensunterhalt seines Bruders Karl zu sorgen. Schnell jedoch wird deutlich, dass Hans nicht mit Geld umgehen kann. Immer wieder müssen seine Kommilitonen, Freunde sowie sein Mentor Anton Bruckner einspringen; sie ermöglichen ihm – zumindest für eine gewisse Zeit – ein sorgenfreies Dasein. Rott ordnet seiner Leidenschaft für die Musik alles andere unter und vernachlässigt darüber hinaus sogar die begonnene Komposition einer eigenen Symphonie. Er reibt sich zuweilen so sehr auf, dass sein Gesundheitszustand darunter leidet. Eine Besserung seiner Lebensumstände ist jedoch in Sicht: Die nun endlich beendete Komposition soll ihm ein Stipendium ermöglichen. Doch es kommt anders als erhofft: Rotts Symphonie wird von der Jury, bestehend unter anderem aus Eduard Hanslick, Johannes Brahms und Karl Goldmark, belächelt und generell abgewertet. Als einziger der geprüften Musikstudenten erhält er keinen Preis. Das hat nicht nur die Ablehnung des Stipendiums zu Folge, sondern dürfte letztlich auch der Auslöser für Rotts psychischen Zusammenbruch gewesen sein. Unter Verfolgungswahn leidend verbringt er seine letzten Lebensjahre im „Irrenhaus“.

Wie man ein Genie tötet, von Jürgen Vater aus dem Schwedischen übersetzt, ist ein verständlich geschriebener Roman, der auf das Wesentliche reduziert ist: Der Autor, der sich intensiv mit Leben und Werk des Komponisten auseinandergesetzt hat und historische Quellen in den Roman einbezieht, konzentriert sich vor allem auf den Protagonisten, lässt aber auch prominente Zeitgenossen Rotts wie zum Beispiel Gustav Mahler, Johannes Brahms oder den bereits genannten Anton Bruckner nicht außen vor. Damit zeichnet er nicht nur ein eindrucksvolles Einzelschicksal, sondern ein Bild der gesamten Epoche. Als Leser fühlt man sich in das Wien des 19. Jahrhunderts versetzt, spürt gleichzeitig jedoch von Anfang an die Tragik, die mit dem Schicksal des Protagonisten verbunden ist.

Dahingegen wirken Rotts Freunde in der Geschichte etwas blass. Lundqvist erzählt zwar, dass sie ihn in Zeiten der Not unterstützen, die Beweggründe dafür bleiben jedoch im Dunklen, der Autor schweigt sich darüber aus. Gerne hätte man auch mehr darüber erfahren, wie die Freundschaften überhaupt zustande gekommen sind und was die Beziehungen ausmachen. Darüber hinaus wird vor allem Jury-Mitglied und Komponist Johannes Brahms zum Opfer dieser eindimensionalen Vorgehensweise, indem er als reiner Bösewicht und Verursacher aller Qual in Rotts Leben verurteilt wird. Brahms wird sogar auf Rotts Beerdigung von dessen Mentor Bruckner als Beispiel eines „rechtschaffenen und gerechten“ Menschen genannt, der Rott „durch Kleinheit, Ungefälligkeit und […] simplen Neid in die Finsternis getrieben“ hat. Diese Behauptung läuft dem weiteren Narrativ allerdings zuwider, weil Rotts mentaler Zusammenbruch nicht von einem einzigen Moment verursacht wird, sondern mehrfach an verschiedenen Zeitpunkten innerhalb der Erzählung Erwähnung findet. Die Ablehnung des Stipendiums durch Brahms ist in diesem Sinne nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dadurch, dass die Charaktere der Nebenfiguren keinen wirklichen Tiefgang haben, bleibt auch die Geschichte etwas an der Oberfläche. Der Autor hat es verpasst, das komplexe, zumeist aber sehr interessante Leben Rotts in all seinen Zügen wiederzugeben.

Trotz der Schwachpunkte ist es Lundqvist mit der Thematik eines aus Leidenschaft für die Musik lebenden und sterbenden Protagonisten gelungen, einen Roman zu schreiben, der interessant für Leser mit den unterschiedlichsten Präferenzen sein dürfte. Sowohl für diejenigen, die ein ausgeprägtes Interesse an der Musik des 19. Jahrhundert haben, als auch für diejenigen, die keinerlei Vorwissen über diese Zeit und Thematik besitzen, ist Wie man ein Genie tötet eine empfehlenswerte Lektüre.

Titelbild

Ingvar Hellsing Lundqvist: Wie man ein Genie tötet. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Jürgen Vater.
Picus Verlag, Wien 2019.
312 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783711720740

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