Nur Pleiten, Pech und Pannen?

Andrea Bartl, Martin Krauß und Corina Erk versammeln Untersuchungen über verhinderte Meisterwerke

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gescheiterte literarische Projekte sind normalerweise etwas für textkritische Werkausgaben, Kommentare oder kleine Kapitel in Autorenbiografien. In der neueren Fragment-Forschung haben sie an Aufmerksamkeit gewonnen. Andrea Bartls, Martin Krauß’ und Corina Erks Sammelband über Verhinderte Meisterwerke schließt daran mit der Frage nach den Ursachen des Scheiterns an, die in äußeren Umständen liegen, in künstlerischem Unvermögen oder Schaffenskrisen, in ironischen Autorinszenierungen.

Interessanter aber ist der zweite Leitgedanke der Beiträge: Was hätte denn aus den ungeschriebenen Werken werden können, wenn sie nicht verhindert worden wären? Dazu liefert der erste Aufsatz von Björn Moll eine gute theoretische Modellbasis. Er unterscheidet als Schreibstrategien „das Ignorieren (beim Verweigerer), Abzweigen (beim Projektemacher) und Löschen (beim Vollender)“. Wendet man diese dynamische Differenzierung auf die in diesem Band behandelten Beispiele an, kommt man auf die Konstellationen von werkverhindernden und werkstiftenden Elementen (in Hölderlins Homburger Folioheft), von Fragmenten und Fragmentkommentaren (in Erich Kästners phantastischen Romanfragmenten Der Doppelgänger und Der Zauberlehrling) sowie von „ironischer Wendigkeit und poetischer Notwendigkeit“ (wie in Hans Magnus Enzensbergers munter gesammelten Flops).

Herausragende Exempla behandeln die Untersuchungen von Helmut Koopmann über Thomas und Heinrichs Manns divergente Pläne, ein Werk über Friedrich den Großen zu schreiben, von Sandra Ludwig und David Ziegenhagen über den Zusammenhang von „Non-Films“ und Unverfilmbarkeit, Regiestil und Auteur-Theorie (in der Ablehnung David Lynchs als Regisseur für Star Wars. Return of the Jedi) und von Raphael Rauch über die gescheiterte Fernsehserie Rainer Werner Fassbinders über Gustav Freytags seinerzeitigen Bestseller Soll und Haben. Ein besonderer Fall von meisterlichem Scheitern ist der Versuch von Alejandro Jodorowsky, in den 1970er Jahren Frank Herberts Science Fiction-Roman Dune (1965) zu verfilmen. Das gelang nie. Der Filmwissenschaftler Werner Kamp weist an dieser Stelle auf Frank Pavichs Dokumentarfilm Jodorosky’s Dune (2013) hin. Dieser Film trägt die verrückten Ideen zusammen, die zwar nie in einem Film zusammenflossen, die aber dann von Alien bis Blade Runner (und Star Wars) doch auf erfolgreiche Weise weiter verwendet wurden. Jodorowsky kommt in der Dokumentation selbst zu Wort.

Der Band öffnet neue Wege der Forschung zur Produktion und Rezeption unfertiger, unabgeschlossener oder im Stadium der Idee steckengebliebener literarischer Arbeiten; er lenkt den Blick auf die Varianz und Dynamik von Epi- oder Paratexten; er lädt zur Diskussion über „Phantomliteratur“ (Moll), „Opusphantasien“ (Peter von Matt), über „Künstler ohne Werk“ (Alexandra Pontzen), die Folgen der „Erfindung des Manuskripts“ (Christian Benne) und eine alternative Literaturgeschichte ungeschriebener großer Werke ein. Immerhin lässt es sich von luxuriösen Debakeln und Peinlichkeiten weitaus besser erzählen als von Dauertriumph und kanonisierter Höhenkammliteratur.

Titelbild

Andrea Bartl / Martin Krauß / Corina Erk (Hg.): Verhinderte Meisterwerke. Gescheiterte Projekte in Literatur und Film.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2019.
395 Seiten, 79,00 EUR.
ISBN-13: 9783770563647

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