Der Zauberer

John le Carrés komödiantischer Thriller "Single & Single"

Von Uwe WittstockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Uwe Wittstock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor fünfzig Jahren wurde Goethe natürlich auch schon gefeiert. Thomas Mann hielt in Zürich eine große Festrede zum 200. Geburtstag des Geheimrates. Hinter der Bühne kam damals ein junger Engländer auf ihn zu, und Thomas Mann fragte ihn, was er dort wolle. "Ihnen die Hand schütteln", antwortete der Bewunderer, und Mann streckte sie ihm hin: "Hier ist sie."

Kein sehr blumiger Dialog; kaum das, was man sich unter dem Gedankenaustausch eines weltberühmten Schriftstellers mit einem aufstrebenden, schwärmerischen Kollegen vorstellt. Denn jener gerade mal achtzehnjährigejährige Engländer namens David Cornwell war nicht nur ein Verehrer der deutschen Literatur, er hatte bereits einen Schulpreis für Englische Dichtung gewonnen und versuchte sich als Autor von Kurzgeschichten. Allerdings sollten noch zwölf Jahre vergehen, bis er seinen ersten Roman veröffentlichte - unter dem Pseudonym John le Carré. Zwei Jahre später machte ihn sein drittes Buch "Der Spion, der aus der Kälte kam" weltberühmt. Seither gilt le Carré als der wohl größte Meister des Polit-Thriller unserer Zeit.

Heute lebt John le Carré im schönen Hampstead. Hier ist London wohlhabend, aber nicht reich, gediegen, aber nicht langweilig, hier gibt es kleine Restaurants, eine Menge Läden, die noch nicht zu Großhandelsketten gehören, ein paar Galerien, Boutiquen, Pubs und zumindest eine verträumte alte Buchhandlung. Angenehmer als in Hampstead kann man in London kaum wohnen. Dennoch bleibt le Carré, wie er sagt, lieber in seinem Landhaus an der Südküste Englands, denn dort ist es ruhiger, dort kann er ungestört arbeiten.

Das Wort Arbeit spielt eine wichtige Rolle in le Carrés Vokabular. Sein neuer Roman "Single & Single" ist schon sein siebzehntes Buch. Dennoch lautet seine Antwort auf die Frage des berühmten Proustschen Fragebogens, was seine Lieblingsbeschäftigung sei, lakonisch: "Schreiben".

Er ist einer dieser Vollbluterzähler, ein Mensch, dem einfach alles, was er erlebt, zu einer Geschichte wird. Im Restaurant fällt ihm am Nebentisch ein Geistlicher auf, der lebhaft auf einen Geschäftsmann einredet - und ohne ein Wort von ihrem Gespräch hören zu können, entwickelt er plaudernd eine verzwickte Story darüber, was die beiden zusammengeführt haben mag. Aus der Kellnerin, die sich auf der Speisekarte nur mühsam zurechtfindet, macht er die heimliche Geliebte des Restaurantbesitzers, die so unfähig sein kann, wie sie will, und doch nie entlassen wird. Und als er vor dem Restaurantfenster zwei dunkle Gestalten in einem geparkten Wagen entdeckt, die beide konzentriert mit ihren Handys verhandeln, ist er bereits mitten im nächsten Thriller.

Le Carré ist ein achtsamer, neugieriger Zuhörer, der sich allerdings für ambitionierte Deutungen seiner Romane nur mäßig interessiert. Wenn man ihn einen Moralisten und Romantiker nennt, einen weißen Raben im Thriller-Genre, dessen Autoren sich so gerne zynisch geben, wartet er geduldig ab und wechselt dann das Thema. Wenn man ihn aber auf technische Fragen des Erzählens oder der Dramaturgie anspricht, ist er ganz bei der Sache. Gute Prosa zu schreiben betrachtet er vor allem als ein Handwerk, und es ist sein Ehrgeiz, es so ehrlich und präzise wie möglich zu betreiben. Seine Absicht war es immer, die Regeln des Thriller-Genres nicht einfach nur zu erfüllen, sondern sie als Hilfsmittel zu benutzen, um ganz eigene, eigenwillige literarische Ziele zu erreichen.

"Unterhaltungsromane", sagt le Carré, und er benutzt das deutsche Wort, weil es ein adäquates englisches nicht gibt, "Unterhaltungsromane müssen immer auch einen ernsten Kern haben, sonst sind sie nicht wirklich unterhaltsam." Er zitiert seine Hausheiligen herbei: von Eric Ambler über Graham Greene bis Sébastien Japrisot. Diese literarischen Magier haben es immer wieder verstanden, wichtige Themen mit einer präzisen Charakterzeichnung ihrer Figuren und atemberaubend spannenden Handlungen zu verschmelzen. Was aus dieser Mixtur entsteht, ist "einfach eine gut erzählte Geschichte", John le Carré zuckt mit den Schultern, lächelt, "einfach ein guter Roman."

Es war seinerzeit nicht allein die Rede Thomas Manns, die den jungen le Carré in die Schweiz führte. Vielmehr hat er sich, um mehr Distanz zwischen sich und seinem Vater zu schaffen, als Student in der Universität Bern eingeschrieben. Sein Vater betrieb nämlich mit viel Charme und wenig Erfolg recht zweifelhafte Geschäfte. Er war, wie der Sohn später einmal schrieb, eine Art Felix Krull der internationalen Wirtschaftswelt und brachte es zu einer stattlichen "Reihe von Bankrotten, die sich über fast fünfzig Jahre verteilten", und zu "Haftstrafen auf zwei Kontinenten". Doch das konnte die Laune des alten Herren nicht ernstlich trüben, denn er hatte, so stellt le Carré knapp fest, "ein Gewissen, das ihm alles vergab".

Kein Wunder, daß le Carrés Jugend nicht eben ruhig und konventionell verlief. Doch war sie vermutlich keine schlechte Vorbereitung auf die Arbeit eines Thriller-Autors. Denn natürlich wurde der Sohn frühzeitig einbezogen in das umfangreiche System väterlicher Tarngeschichten, falscher Namen und erfundener Biographien, in das sorgsam geknüpfte Netz von Kontaktleuten, geheimen Transportmitteln und Schmiergeldfonds. Der Haken an der Sache aber war, daß all diese Finten und Ausflüchte dem Sohn die Laune gründlich verdorben haben. Denn sein Gewissen war keineswegs so strapazierfähig wie das seines Vaters.

Womit bereits der Grundkonflikt und die Hauptfiguren von John le Carrés neuem Roman "Single & Single" skizziert sind. Das Buch handelt nämlich von einem rabiaten Londoner Geschäftemacher namens Tiger Single, der aus dem Nichts ein weltumspannendes Finanzimperium aufgebaut hat und von seinem Sohn Oliver Single, einem verwöhnten Grünschnabel, der nun als Kronprinz in die Firma des Vaters eintreten soll. Als exzellent ausgebildeter Jurist erkennt Oliver rasch, daß manche Unternehmungen des großen, bösen Tigers nicht ganz hasenrein sind. Aber welches Geschäft ist das schon, denkt er. Angesichts des überaus reizvollen Lebens inmitten der High Society des Geldes ist Oliver durchaus bereit, über rechtliche Bedenken, die ihn gelegentlich beschleichen, großzügig hinwegzusehen.

Das ändert sich allerdings, als der Vater immer engere Kontakte zu einer russisch-georgischen Mafia knüpft, um deren schmuddeliges Geld nach allen Regeln der schwarzen Finanzkünste zu waschen. Zu Anfang handeln die illusteren Herren aus dem Kaukasus nur mit Schrott, Öl und Blutkonserven. Doch als sie nach Gorbatschows Sturz auf harte Drogen umsteigen, schlägt Oliver endgültig das Gewissen. Er schüttet ein paar selig lauschenden Beamten, die sich an Tiger Single schon seit Jahren vergeblich die Zähne ausgebissen haben, sein Herz aus, obwohl er weiß, daß ihm sein Vater den Verrat nie verzeihen wird. Tatsächlich muß er in einer südenglischen Kleinstadt untertauchen, wo er seinen dürftigen Lebensunterhalt als Zauberer auf Kindergeburtstagen zu bestreiten versucht.

Der Abschied vom süßen Leben der Geldaristokratie fällt Oliver überraschend leicht. Unbewußt hat er es wohl gerade darauf angelegt. Nicht gerechnet hat er allerdings mit der Sorgfalt der Behörden. Denn die setzen mit Olivers Informationen nicht nur das hochehrenwerte Finanzhaus "Single & Single" unter Druck, sondern auch die Dunkelmänner aus dem Osten. Und die haben eine recht entschiedene Art, ihren Unmut auszudrücken: Sie erschießen den nächstbesten Manager von "Single & Single", nehmen den Mord auf Video auf und senden die Kassette Tiger Single, damit der sich schon einmal ein Bild davon machen kann, was demnächst auf ihn zukommt.

Letztlich handelt le Carrés neuer Roman also von einem Dilemma, das le Carré selbst vermied, indem er sich als Student früh in die Schweiz verabschiedete. Sein Held Oliver wird vom eigenen Vater in windige Machenschaften hineingezogen und hat nur noch die Wahl, seine Familie oder sein Gerechtigkeitsgefühl zu verraten. Ein geradezu klassischer Tragödienstoff, den le Carré allerdings als Komödie erzählt. Doch viele seiner Pointen sind so trocken, daß man sie nur schwer von bitteren Wahrheiten unterscheiden kann.

Genauer betrachtet ist le Carrés Thriller zwar spannend, aber letztlich kein Thriller. Es ist vielmehr der Entwicklungsroman eines jungen Mannes in einer Wohlstandswelt, die an ihre eigenen Werte nicht mehr glaubt. Denn im Zentrum steht die seelische Entwicklung Olivers vom orientierungslosen Schnösel zu einem beherrschten jungen Mann, der aufbricht, seinen Vater irgendwo im Kaukasus aus den Händen enthemmter Killer zu retten; und der zur Befreiung nicht Drohungen oder Waffengewalt einsetzt, sondern die Ausstrahlungskraft einfacher, humaner Gesten, deren Wirkung er als Partyzauberer für sich entdeckt hat.

Ein überraschendes Finale für einen Buch dieses Genres? Eigentlich nicht, wenn man le Carrés Arbeit kennt. Denn der ist bis heute nicht nur ein Bewunderer der deutschen Literatur des Barocks und der Klassik geblieben. Er ist zugleich der Idealist unter den Thriller-Autoren, der hartnäckig auf den Spuren Friedrich Schillers wandelt: Wenn je etwas Gutes in die Welt kommt, so zeigen uns seine Romane - dann nicht durch Gewalt oder durch Vernunft, sondern nur durch die Liebe.

Das mag unzeitgemäß klingen, macht "Single & Single" aber deshalb nicht weniger bissig und hellsichtig. Der brutalste Verbrecher des Buches beispielsweise tritt zunächst nur als vielbeschäftigter Geschäftsmann in Erscheinung. Wo immer er geht und steht, wo immer er andere trifft oder mit ihnen verhandelt, ständig hat er das Handy in der Hand. Bis dem Leser schließlich klar wird, daß dieser Mann seine Partner auch deshalb so leichtherzig über die Klinge springen läßt, weil er nie wirklich bei ihnen ist, sondern immer mit einem Ohr am Hörer. Er kennt keine Menschen mehr, sondern nur noch Telefonnummern. Der Teufel in Menschengestalt - heute ist das der schmächtige, graugesichtige Kerl neben dir, der da, mit dem Handy am Ohr.

Titelbild

John le Carré: Single & single. Aus d. Engl. v. Werner Schmitz.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
413 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3462027824

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