Ironisierter Kulturkonservatismus
Daniel Glattauers „Vier Stern Stunden“ zwischen Wortwitz und Uneindeutigkeit
Von Nick Cichon
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDaniel Glattauers Komödie Vier Stern Stunden bietet auf den ersten Blick ein erwartbares Sujet für ein kulturpessimistisch anmutendes Bühnenstück: Ein seit Generationen familienverwaltetes Nobelhotel veranstaltet jährlich ein hochangesehenes kulturelles Event mit Klaviermusik, einem Degustationsmenü und – wie nicht oft genug erwähnt werden kann – mit der Anwesenheit der „ganz großen Namen der Kulturszene“; das spärliche Publikum ist alt und eigentlich nur zum Zeitvertreib anwesend, der junge Hotelchef, in dessen Händen die Organisation des Abends liegt, ist sichtbar überfordert. Dieses Arrangement unterlegt die knapp 100-seitige Bühnenminiatur mit einer kulturkonservativen, teils nostalgischen Stimmung. In den sprachlich sehr eleganten und beinahe erzählenden Regieanweisungen kreiert Glattauer einen auf die Dauer leidigen Kulturpessimismus, der aber – und so entsteht der latente Humor der Komödie – durch die Protagonisten einen selbstironischen Gegenpol erhält, denn keine der vier Figuren passt in die Rolle, die sie an diesem Veranstaltungsabend spielen soll. Glattauers Geschichte handelt letztlich von zwei Frauen und zwei Männern am falschen Ort, die alle ihre persönliche Sternstunde erleben.
Da wäre zunächst der junge Hotelerbe David-Christian Reichenshoffer, ein nach Regieanweisung „solarium-gebräunter junger Mann, den der elegante Anzug eher verkleidet als kleidet“, der vor Nervosität und wegen seines Eifers, das große kulturelle Erbe der Familie hochzuhalten, nicht eine einzige Ansprache halten kann, ohne sich durch irgendetwas unterbrechen oder ablenken zu lassen. Reichenshoffer versucht mit allen Mitteln und hohen, unnötigen Ausgaben vergeblich, die diesjährigen „Sternstunden“ – so der Name der jährlichen Kulturveranstaltung – im „altehrwürdigen“ Stil des Hotels auszurichten: Durch die Unerfahrenheit des jungen Hotelchefs und seine persönliche Distanz zum Bildungsbürgertum verschwimmen im Kulturhotel Reichenshoffer die Grenzen von kulturellem und ökonomischen Wert.
Eingeladen zu den diesjährigen Sternstunden ist der berühmte Romancier Professor Frederic Trömerbusch, der in seinem ganzen Auftreten stark an Wolfgang Schwitter, den neurotischen Literaturnobelpreisträger aus Dürrenmatts Der Meteor, der nichts anderes möchte, als mit und an seinem Ruhm zu sterben, erinnert. Trömerbusch interessiert sich nicht für seine Literatur und schon gar nicht für seine Leserinnen und Leser. An diesem Abend soll er im Kulturhotel interviewt werden und aus seinem Leben und Werk erzählen, was ihm allerdings zuwider ist. Die Hotelangestellte Mariella Brem, die ihn interviewen soll, ist selbst eine große Verehrerin seiner Romane und bringt dies im Interview unentwegt zum Ausdruck. Während sie ihn anfänglich glorifiziert, wird sie im Laufe des Stückes durch den frauenfeindlich-gleichgültigen Trömerbusch, der weder ihre Position noch sie als Person anerkennt, immer weiter in die Enge gedrängt.
In diesem Sinne erfüllt der Professor den Stereotyp eines (kultur)konservativen, erfolgreichen und arroganten Mannes. Aber wie so oft bei Glattauer, erhält diese überspitzte Darstellung schnell eine relativierende Gegenfigur: In diesem Fall die junge Outdoor-Bloggerin Lisa, die „witzig[e], flippig[e] und cool gestylt[e]“ Lebensgefährtin des Autors, die nach seinem Auftritt im Hotelzimmer auf ihn wartet. In wenigen Szenen bietet Glattauer eine sehr gelungen komponierte Beziehungskrise mit pointierten Dialogen und vertauschten Rollenstereotypen.
Glattauer schafft es zwar, auf wenigen Seiten viele große Kontrastpaare aufzuspannen und diese klug in die Geschichte einzuflechten, insgesamt leidet das Stück aber, trotz des konstanten ironischen Tonfalls, unter einem mantraartig wiederholten und plakativ zur Schau gestellten Kulturpessimismus. Alles in Glattauers Komödie wird als Idee relativiert und erhält ein Gegenmodell, sodass die beinahe lückenlose Ironisierung letztlich jede Aussage hinsichtlich einer Positionierung des Textes verunmöglicht.
Vier Stern Stunden wirkt durch seine Kürze und durch das Übermaß der nur angeschnittenen bzw. angespielten Themen zwar nur wie eine vielversprechende Blaupause, dem Anspruch einer unterhaltsamen Lektüre wird es in seiner sprachlichen Pointiertheit und seinem Witz jedoch durchaus gerecht.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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