Lust und Last von Lesereisen

Michael Limberg dokumentiert „Autorenabende mit Hermann Hesse“

Von Carina GrönerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Gröner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Lesen von eigenen Texten vor (meist) zahlendem Publikum gehört heute neben dem Schreiben ganz selbstverständlich zum Berufsalltag von Schriftstellern, die so einen wichtigen Teil zur Vermarktung der eigenen Werke beitragen. Die meisten von ihnen gehen regelmässig auf Lesereise, stellen in Bibliotheken oder Buchhandlungen ihre aktuellen Bücher vor und kommen dabei in direkten Kontakt mit ihrer Leserschaft – und nicht selten gewinnt man den Eindruck, dass diese Performancesituation sogar eine willkommene Gelegenheit bietet, sich als Künstler und Mensch so zu präsentieren, wie man gerne in der Öffentlichkeit gesehen werden möchte.

Auf diese Weise betrachtet erwartet man zunächst auch Hermann Hesse in dem von Michael Limberg herausgegebenen Band Autorenabende mit Hermann Hesse dargestellt zu sehen. Doch Moment, es handelt sich bei dem hier Beschriebenen eben nicht um irgendeinen Schriftsteller, sondern um den Nobelpreisträger von 1946 und einen nie ganz unumstrittenen Autor, der von manchen Zeitgenossen ehrfürchtig „Dichter“ genannt, von anderen aus verschiedenen Gründen wenig oder gar nicht gelesen wurde. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen gehört Hesse heute fest zum Kanon der deutschen Literatur.

Der vorliegende Dokumentationsband zu Hesses Autorenlesungen beginnt mit einem Ausschnitt aus einer Erzählung des Autors von 1925, in der ein „Hermann-Hesse-Abend“ besucht und durchaus selbstironisch kommentiert wird. Damit stellt dieser Anfang gleich die weniger bekannte, komisch-ironische Seite dieser Autorenpersönlichkeit vor und bietet gleichzeitig eine Lektüreperspektive auf die kommenden Dokumente von Lesungen an.

In den darauf folgenden präzise recherchierten Zeugnissen von und über Hesses Lesungen im deutschsprachigen Raum aus der Zeit von 1903 bis 1930, die aus Zeitungsartikeln, Ankündigungen, Briefen und Tagebuchnotizen stammen, erkennt man durchgehend ebendiese Autorenpersönlichkeit Hesses wieder, die einerseits, bescheiden und zurückhaltend, keinen Gewinn aus ihren Lesereisen ziehen möchte und zum Beispiel für Studenten vom Veranstalter reduzierte Eintritte erbittet oder sich erst förmliche Kleidung für den geplanten Auftritt leihen muss. Andererseits erscheint immer wieder auch die geschmeichelte Eitelkeit des Künstlers, der etwa in einer Absage für einen Termin schreibt, er halte höchstens „zweimal jährlich irgendwo in der Form einen Vortrag“, tatsächlich zählt man dann aber oft sechs oder mehr Lesungen, acht etwa im Jahr 1921, die zu ganzen Reisetouren, zum Beispiel durch Süddeutschland oder auch Österreich, zusammengefasst sind. Mit dieser Praxis befindet sich Hesse durchaus in guter Gesellschaft, erwähnt doch ein Zeitungsartikel über eine Reihe von Lesungen in der Neff’schen Buchhandlung in Stuttgart 1924 Hesse als dritten Autor neben Gerhard Hauptmann und Thomas Mann. Gastgeber für solche „Autorenabende“ sind neben Buchhandlungen etwa die Züricher Freistudentenschaft oder der Lesezirkel Hottingen, bei denen Hesse über mehrere Jahrzehnte immer wieder zu Gast ist, der Psychologische Club von Josef Bernhard Lang, die internationale Frauenliga oder der Unternehmer und Anthroposoph Emil Molt aus Stuttgart, der in Deutschland 1919 die erste Waldorfschule gegründet hat.

Wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht, war Hesse kein begnadeter Vorträger. So bemängelt ein Journalist 1910 die „trockene und herbe Art seines Vortrags“ und ein Zuhörer notiert 1908: „las zt. eintönig mit badischem Akzent“.

Auch Hesse selbst schätzte diese Art der Selbstpräsentation wohl nicht besonders. 1922 schreibt er an seine Schwester Marulla: „Heut Abend muß ich den berühmten Mann spielen und den Leuten für Geld vorsingen, es ist kein Genuß, doch sind wenigstens manche Freunde dabei.“ Die überwiegende Anzahl der in diesem Band dokumentierten Beschreibungen über die „Autorenabende“ äußern sich positiv vor allem über die vorgestellten Werke, wobei Hesse versuchte, stets Bekanntes und Neues gleichermassen im Programm zu berücksichtigen.

Die Aufzeichnungen des Bandes enden ein wenig zu unvermittelt im Jahr 1930, in dem Hesse noch fünf Lesungen in der Schweiz absolvierte, und schließen mit einem weiteren Erzählfragment namens Autorenabend aus dem Jahr 1913, das zwar den komisch-ironischen Eindruck über den lesereisenden Autor bestätigt, den Leser der vorliegenden Dokumentation aber leider mit der Frage zurücklässt, wie es bei Hesse mit den Autorenlesungen nach 1930 weiterging.

Titelbild

Michael Limberg (Hg.): Autorenabende mit Hermann Hesse. Eine Dokumentation.
Books on Demand, Norderstedt 2016.
364 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783741279812

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch