Goodbye, Carrickfergus!

Im siebten Band seiner Sean-Duffy-Reihe ist es für Adrian McKintys Helden nicht mehr allzu weit bis zum Ruhestand

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Sean Duffy hat der 1968 in Belfast geborene und nach einem Philosophiestudium an der  Oxford University in New York, Denver, Melbourne und heute erneut in New York lebende Adrian McKinty eine der interessantesten Polizistenfiguren der modernen Thrillerliteratur ersonnen. Duffy bewegt sich als „katholischer Bulle“ – Der katholische Bulle war der deutsche Titel über dem ersten, im englischen Original The Cold Cold Ground überschriebenen Sean-Duffy-Roman aus dem Jahr 2012, dem bis heute sechs weitere Bände folgten – im nordirischen Küstenstädtchen Carrickfergus in den 1980er Jahren praktisch in Feindesland.

In seiner Wohngegend – die Coronation Street 113 ist für McKinty-Leser so etwas wie die Baker Street 221b für die Verehrer von Sherlock Holmes – und unter seinen Polizeikollegen beim RUC (Royal Ulster Constabulary) ist er der einzige Katholik unter Protestanten. Doch auch die Katholiken der IRA verstehen sich nicht als seine Freunde, sondern betrachten ihn als Verräter an der gemeinsamen Sache. Der tägliche Blick unter den BMW nach dort angebrachten Sprengladungen ist deshalb nicht zu vermeiden. Und die Angst um seine junge Frau und die gemeinsame kleine Tochter haben allmählich den Plan in ihm wachsen lassen, seine letzten Jahre vor der Pensionierung als „Teilzeitbulle“ zu verbringen und mit der Familie auf die andere Seite der Irischen See, ins schottische Portpatrick, überzusiedeln.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Es wartet noch ein letzter, verzwickter Fall auf Duffy und seine Kollegen. Ein junges Mädchen ist verschwunden, die 15-jährige Katrina McAtemney. Aus einer Tinker-Familie stammend – als „Tinker“ bezeichnet man in Irland die Angehörigen einer nicht-sesshaften/„fahrenden“ Population ähnlich den europäischen Sinti und Roma –, ist die intelligente, reifer als 15 Jahre Wirkende wahrscheinlich Opfer eines Verbrechens geworden. Ihr Auto wird in einem Fluss entdeckt, aber von dem Mädchen fehlt jede Spur. Doch solange kein Leichnam auftaucht, ist Duffy nicht bereit, die Sache zu den Akten zu legen. Und er hat wieder einmal recht mit seiner Hartnäckigkeit.

Mitten hinein in die politisch-religiösen Auseinandersetzungen, die das Land zerreißen, geraten Duffy und seine beiden Mitstreiter McCrabban, der alte Fuchs, und Lawson, der Jungspund, der am Ende Duffys Position beim Carrickfergus-CID übernehmen wird, als sie zu ermitteln beginnen. Dass es drei Männer sind, auf die der Verdacht fällt, die hübsche Katrina getötet zu haben, die ihr Taschengeld mit Escort-Diensten aufbesserte, dem, wie sie es nannte, Projekt einer „Total Girlfriend Experience“ für die Herren, scheint die Ermittlungen zunächst zu vereinfachen. Doch die drei erweisen sich als harte Brocken und nebenbei hat Duffy sich auch noch um die Sorgen eines von ihm geführten Doppelagenten bei der IRA zu kümmern, der drauf und dran ist, enttarnt zu werden. Dass reichlich Blei fliegt auf den letzten Seiten, ist der Leser bei diesem Autor bereits gewöhnt. Neu ist allerdings, dass dieser Sean-Duffy-Roman gleich mit zwei Happy-Ends schließt, das eine in Duffys neuer schottischer Heimstatt, das andere auf dem mythischen Uisneach Hill, der jahrtausendelang als geografischer und spiritueller Mittelpunkt der grünen Insel galt.

Wie alle seine vorherigen Romane hat Adrian McKinty auch Cold Water durchwoben mit musikalischen Anspielungen – hinter dem Originaltitel  The Detective Up Late verbirgt sich erneut eine Textzeile von Tom Waits, das Vorspiel in Es-Dur gehört zu Das Rheingold, dem „Höhepunkt von Wagners Werk romantischer Dudelmusik“, wie Duffy kommentiert. Auch auf den ersten Seitenhieb gegen die dem Helden maximal verhassten Songs von Phil Collins muss man nicht mehr als ein paar Seiten warten. Leichthändig und gekonnt handelt der Erzähler auch die große Politik rund um das kleine Irland ab:

Noch bevor das Jahr um ist, wird Thatcher abgetreten sein, die Sowjetunion liegt in den letzten Zügen und Deutschland wird wiedervereinigt sein. Der Irak wird unser Bewusstsein okkupieren und ein reicher Bengel namens Osama Bin Laden wird einen heiligen Krieg ausrufen, um Saudi-Arabien von den Ungläubigen zu befreien.

Weil es sich bei diesem vor- und rückschauenden Erzähler, der den Leser gelegentlich auch einmal direkt anspricht – etwa um ihn vor Schopenhauer zu warnen – um niemand anderen als Duffy selbst handelt, darf man sich auch von der Sorge verabschieden, es könne diesem so locker in die Zukunft schauenden Burschen in seiner Gegenwart ernsthaft etwas passieren.

Cold Water beginnt – nach einem kurzen Vorspiel, das an den Beginn der 1980er Jahre zurückblendet und mit der Hoffnung endet, das bevorstehende Jahrzehnt möge ein besseres werden als das zurückliegende – weit weg von Belfast, nämlich in Jerusalem. Unterwegs mit einer Reisegruppe der Freien Presbyterianischen Kirche Irlands, die, von Duffys Schwiegervater angeführt, für den 31.12.1989 die Wiederkunft des Herrn und das Ende der Welt erwartet, erlebt McKintys Held aus nächster Nähe die Enttäuschung der angereisten Gläubigen angesichts der Tatsache, dass die 90er anfangen wie die 80er aufgehört haben: Keine Spur von „Heulen und Zähneklappern“ an historischem Ort. Kein Erscheinen der drei Erzengel, „die Arschtritte verteilten und Missetäter notierten“.

Was für die weitgereisten Presbyterianer in die Überlegung mündet, ob bei der Berechnung des Zeitpunkts der Wiederkunft des Erlösers sich nicht am Ende doch ein Fehler eingeschlichen hat – für Duffy und die Probleme seiner nordirischen Heimat ist diese Fragestellung nach seiner Rückkunft irrelevant. In Carrickfergus nämlich scheint tatsächlich alles wie gehabt. Auch für die Leser von Adrian McKinty ändert sich nichts mit diesem siebten Band um den „katholischen Bullen“. Zwei weitere Romane mit ihm im Mittelpunkt – die Nummern acht und neun – hat der Autor jüngst angekündigt. Und wo eine neun ist, da ist auch die zehn nicht mehr weit und so fort. Denn irgendwie kann man einfach nicht genug kriegen von dem Mann und seinen Fällen.

Titelbild

Adrian McKinty: Cold Water. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
378 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9783518469811

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