Licht, Schatten und viele bunte Farben

In seinem Roman „Das Licht“ führt T.C. Boyle den Leser zurück zum Beginn der berauschenden Hippie-Bewegung

Von Christian M. RothRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian M. Roth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

T.C. Boyle zählt zweifelsohne zu den erfolgreichsten und auch außerhalb der Vereinigten Staaten bekanntesten US-amerikanischen Autoren der Gegenwart. Der irisch-stämmige Boyle lebt mit seiner Familie in Montecito, Kalifornien, in der Nähe von Santa Barbara und lehrt neben seiner Arbeit als Schriftsteller auch als Professor für Literatur an der nahegelegen University of Southern California. Er ist primär als Autor von Kurzgeschichten, die regelmäßig in Sammlungen mit häufig zusammenhängendem Themenbezug veröffentlicht werden, sowie von Romanen bekannt. Seinen literarischen Durchbruch hatte er mit der Kurzgeschichten-Sammlung Tod durch Ertrinken (Orig. Descent of Man) und mehr noch durch seinen dritten Roman World´s End aus 1987. Zu den darüber hinaus bekanntesten Werken zählt sicherlich der Roman América (Orig. The Tortilla Curtain), der an deutschen Schulen häufig im Englischunterricht gelesen wird. Zur Veröffentlichung seiner neuen Romane – in einem regelmäßigen Abstand von fünf bis sechs Jahren – hat es sich etabliert, dass Boyle auf Lesereise geht; so auch hierzulande. Für seinen neuesten Roman Das Licht, der im Übrigen aus Dankbarkeit an den Hanser Verlag, der ihn seit über zehn Jahren in Deutschland verlegt, zuerst hier und gut zwei Monate später im Original in den USA veröffentlicht wurde, ging Boyle ebenfalls auf Promotionstour. Die Karten für seine Lesungen und Interviews in Deutschland, bei denen er von tausenden Zuschauern wie ein Popstar gefeiert wurde, waren dabei innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.

Wer das Gesamtwerk von Boyle betrachtet, kommt nicht umhin festzustellen, dass er mit Vorliebe Räume jenseits der gesellschaftlichen Ordnung exploriert und oft Figuren ins Zentrum der Handlung stellt, die entweder extrem oder schlichtweg absurd sind, beziehungsweise in absurde Verhaltensweisen verfallen. Dabei schreckt Boyle auch nicht davor zurück, die Schwächen seiner Protagonisten offenzulegen oder sie gar der Lächerlichkeit preiszugeben.

In Das Licht (Orig. Outside Looking In) befasst sich Boyle mit der Geschichte des Psychologen und Hippie-Gurus Timothy Leary, der zwischen 1959 und 1963, dem Jahr seiner Entlassung, Professor für Psychologie an der renommierten Harvard-University war. Dort experimentierte er in diesem Zeitraum vermehrt mit psychedelischen Drogen wie Mescalin, Psilocybin und ganz besonders LSD, für deren freie Verbreitung er schließlich auch offen eintrat. Die Stationen und Entwicklungen seines Lebens vom Harvard-Professor zum Guru einer Hippie-Kommune in Kalifornien sowie die Auswirkungen auf seine Gefolgschaft stehen im Zentrum der Handlung von Das Licht. Dennoch ist Leary nicht etwa der Protagonist des Romans, das wäre für Boyle auch zu einfach. Wie er es auch in manch anderem seiner Romane tut – in Ein Freund der Erde (Orig. A Friend Of The Earth) baut er beispielsweise die wahre Geschichte der Öko-Aktivistin Julia Butterfly Hill beiläufig in einen seiner fiktiven Handlungsstränge ein –, wird die Handlung hier aus der Sicht von Fitz Loney, eines fiktiven Doktoranden, wissenschaftlichen Mitarbeiters und Anhängers Learys erzählt. Loney verfällt zusammen mit seiner Ehefrau dem Charme und Einfluss seines Vorgesetzen und begleitet ihn fortan durch alle Höhen und Tiefen, was ihm nicht zum Vorteil gereicht. Genau diesen verspricht sich Loney, der zu Beginn der Handlung noch ein eher kleines Licht und ein Außenstehender unter den Akademikern der Universität ist, vom Kontakt mit dem Professor, der von so vielen bewundert wird. Bereits im ersten Kapitel erfährt der Leser durch einen Dialog zwischen Loney und dessen Frau, während beide sich auf dem Weg zum Haus des Professors befinden, wie wichtig dieser Abend für den Protagonisten ist. Er wurde endlich vom großen Timothy Leary in dessen Haus eingeladen, zu einer Abendveranstaltung. Dies ist nicht nur seine große Chance, in den inneren Kreis Learys aufgenommen zu werden, sondern stellt sich gleichzeitig als der erste Kontakt Loneys mit der Droge LSD heraus. Die dann folgenden knapp 400 Seiten bieten inhaltlich alles, was man von einem Roman, der sich mit Themen wie Drogenrausch, freier Liebe und Hippie-Bewegung befasst, erwartet: sehr viel Licht und viele bunte Farben. Dass der Schatten hier allerdings stetiger Begleiter ist und sein muss, verwundert kaum, besonders nicht jene, die ein wenig mit dem Leben und Wirken Learys vertraut sind. Natürlich nimmt es auch für Fitz Loney kein gutes Ende – wie so oft bei Boyles Protagonisten – und der Schatten holt das Licht ein.

Es geht Boyle keineswegs darum, die Drogenräusche und sexuellen Eskapaden oder den Hippie-Zeitgeist in irgendeiner Form zu glorifizieren. Andererseits stellt er ihn genauso wenig an den Pranger. Er beschreibt ihn und lässt den Leser eigene Schlüsse ziehen. Das drückt sich auch in der Form aus. Boyle nutzt weder Zeitsprünge noch vielzählige Blickwinkel, die man von einem Roman, in dem psychedelische Drogenerfahrungen eine solch große Rolle spielen, erwarten könnte. Die Geschichte wird ganz chronologisch erzählt, in einer Form, die zum Inhalt konträr läuft. Wie für Boyle typisch, beleuchtet der Roman ein soziales Gefüge außerhalb der gesellschaftlichen Norm. Es ist dabei spannend zu sehen beziehungsweise zu lesen, wie er auch hier wieder einen Raum wählt und beschreibt, der sich Konventionen völlig zu entziehen versucht und dann wiederum an selbstgesetzten Doktrinen und allzu menschlichem Verhalten zerbricht.

Ganz ähnlich wie in seinen beiden vorangegangen Romanen – Die Terranauten (Orig. The Terranauts) und Hart auf Hart (Orig. The Harder They Come) –  arbeitet Boyle sich auch in Das Licht an einer Art sozialem Experiment ab und spielt dieses mit gewohnter sprachlicher Finesse durch. Er lässt seinen Protagonisten gewissermaßen das große Spiel der Gesellschaft spielen, das sich auf so viele soziale Beziehungen und Lebensbereiche übertragen lässt. Stehe ich gut mit allen Leuten, die mich persönlich oder beruflich voranbringen können? Mögen mich alle, die mir nützlich sein können? Haben meine Gegner oder die, die mir im Weg stehen können, etwas gegen mich in der Hand? Habe ich etwas gegen sie in der Hand? In Hart auf Hart leidet sein Protagonist an Realitätsstörungen und Verfolgungswahn und hängt einer Heldenverehrung nach, die ihn schließlich ins Verderben führt. Der Werdegang Loneys ist dem auf seine eigene Weise nicht unähnlich. Am Ende bleiben die großen Fragen danach, worauf es im Leben wirklich ankommt und was tatsächlich Bedeutung hat. Muss man dieses Gesellschaftsspiel mitspielen? Gibt es einen wahren Ausstieg, wahre Selbstbestimmung? All dies steckt unter der Oberfläche dieses Romans. T.C. Boyle weiß zu unterhalten, er vermischt sprachliches Können mit spannender Erzählweise und schafft es auch hier wieder, seine Charaktere – seien sie fiktiv oder auf realen Personen basierend – nicht eindimensional, sondern greifbar und menschlich wirken zu lassen. Oft ist es ein Jedermann, der mit außergewöhnlichen Umständen konfrontiert wird. Gleichzeitig bieten Themen und Charaktere vielleicht genau deshalb auch immer eine Dimension jenseits der Unterhaltung. Boyle unterhält und regt gleichzeitig zum Weiterdenken an.  Das Licht ist hier keine Ausnahme.

Titelbild

T. C. Boyle: Das Licht. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
379 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783446261648

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