Ein Mega-Happening aus Matsch, Musik und Flower Power

50 Jahre Woodstock

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die kleine amerikanische Stadt Woodstock hat bis heute eine legendenumrankte Strahlkraft. Dabei wurde sie 1969 nur durch einen Zufall weltbekannt: Sie hatte es abgelehnt, Gastgeber für das Open-Air-Festival „Music and Arts Fair“ zu sein, das daraufhin in der 70 Kilometer entfernten Gemeinde Bethel Gestalt annahm, und zwar auf den Weideflächen des 49-jährigen Farmers Max Yasgur, der wegen des nassen Sommers Geld für den Kauf von Tausenden von Heuballen benötigte, um seine 650 Milchkühe versorgen zu können.

Vor 50 Jahren, vom 15. bis 18. August 1969, fand das inzwischen legendäre Woodstock-Musikfestival statt, nach dem eine ganze Generation benannt ist. „Three days of peace and music“ – unter diesem bescheidenen Titel kamen eine halbe Million Fans auf dem Farmgelände zusammen. Seitdem ist Woodstock schlechthin das Symbol für die von der Rockmusik geprägte Gegenkultur Ende der 1960er Jahre. Ein Ruhm, der eigentlich Bethel zukommt, aber zugegeben: „Woodstock“ klingt rebellischer als das beschauliche „Bethel“.

Die Veranstalter des Mega-Konzertes hatten etwa 50000 Hippies pro Tag erwartet. Entsprechend waren auch die Toiletten, Rohrleitungen, Wasservorräte, Speisen und Getränke berechnet. Probleme mit der Müllentsorgung, den Sanitäranlagen und der Verpflegung waren die Folge, denn tatsächlich machten sich etwa eine Million Menschen auf den Weg nach Bethel. Ein endloser Zug von Hippies in bunter Kleidung, mit Bärten und langen Haaren. Vier Stunden vor Beginn des Festivals staute sich der Verkehr rund um die Stadt auf 15 Meilen. Die Leute ließen ihre Autos einfach stehen und gingen zu Fuß weiter. Regen hatte außerdem viele Wege unpassierbar gemacht. Aufgrund des Verkehrschaos konnten nur etwa 400000 Menschen das dreitägige Festival live erleben – dennoch war es die größte Menschenmenge, die bisher je an einem Ort zusammengekommen war.

Die Organisatoren hatten geplant, Eintrittskarten an den Zugängen zu verkaufen. Da die Kartenhäuschen und die Lattenzäune aber einen Tag vorher noch nicht standen und bereits mehrere tausend Besucher eingetroffen waren, hatte man kaum eine andere Wahl, als die Veranstaltung zu einem Gratisfestival zu erklären.

Ein 35 Morgen großes, abschüssiges Feld bildete gewissermaßen ein Naturamphitheater. Es war damals die größte je errichtete Bühne, ihr Aufbau dauerte einen Monat. Ursprünglich war sie mit einer Drehscheibe ausgestattet, die jedoch schon am zweiten Tag ihren Geist aufgab. Die Bühne war für viele so weit entfernt, dass sie kaum etwas sehen konnten. Die meisten hörten die Musik nur aus der Ferne. Das Wichtigste war ohnehin das Dabeisein.

Die Musiker mussten per Hubschrauber zum Gelände geflogen werden. Trotzdem geriet der Zeitplan immer wieder durcheinander, da einige Bands nicht pünktlich ankamen. Das Festival begann am Freitagabend mit dem amerikanischen Folk-Sänger Richie Havens, der um 17.07 Uhr die Bühne betrat. Führende Interpreten und Gruppen der Pop-Musik traten auf, insgesamt 32 Bands und Solisten. Unter den beteiligten Musikern und Bands befanden sich unter anderem Joan Baez, Joe Cocker, Melanie, Santana, Janis Joplin, The Who, Blood, Sweat & Tears und Jimi Hendrix, dessen Auftritt den Abschluss bildete.

Vier Tage lang waren die Farmwiesen bei Bethel gewissermaßen eine temporäre Großstadt. Es wurde gelebt, gestorben und geboren: Zwei Babys kamen während des Konzerts zur Welt und drei Todesfälle wurden registriert. Auch Drogen spielten natürlich eine Rolle. Es gab jedoch kaum Handgreiflichkeiten, sodass meist nur Schnittverletzungen vom Barfußlaufen zu behandeln waren. Als das Musikspektakel zu Ende war, machte sich die riesige Menschenmenge auf den Heimweg. Zurück blieb tonnenweise Müll: Überall lagen verschlammte Schlafsäcke, Matten und Lebensmittelverpackungen herum. Ein Chaos, das aber relativ schnell beseitigt wurde. Schwerwiegender war das finanzielle Desaster der Veranstalter. Erst mit der Vermarktung des Festivals durch einen Film und ein Dreifach-Album stellte sich der kommerzielle Erfolg ein.

In der amerikanischen Öffentlichkeit gingen damals die Meinungen über das Woodstock-Festival weit auseinander: von „Albtraum aus Schlamm“ bis zu „ein großes planetarisches Ereignis“ reichte die Bandbreite. Doch lassen wir den einfachen Farmer Max Yasgur zu Wort kommen, ohne dessen Verständnis und Entgegenkommen das Festival nicht stattgefunden hätte: „Ihr habt der Welt bewiesen, eine halbe Million Kids – ich nenne euch Kids, denn ich habe Kinder, die älter sind als ihr – können drei Tage Spaß und Musik genießen, und zwar nur Spaß und Musik. Gott segne euch dafür!“

Nach 50 Jahren lässt sich sagen: In Woodstock erfüllte sich für einige Tage der Hippie-Traum von einer Welt voller friedlicher und freundlicher Menschen, die in Liebe und Toleranz zusammenleben. Der „Geist von Woodstock“ war die Musik, die liberale Haltung zu Sex und Drogen und die Wut über den Vietnamkrieg – er vereinte nicht nur die Festivalteilnehmer, sondern eine ganze Generation. Wenige Wochen nach der Mondlandung war etwas Vergleichbares: der große Menschheitsschritt der jungen Generation. Dabei hatten die Manson-Morde wenige Tage vor dem „Summer of ’69“ die USA erschüttert. Mit diesem brutalen Verbrechen und dem Albtraum von Altamont, als ein afroamerikanischer Besucher des Rolling-Stones-Konzerts von einem Mitglied der Hells Angels direkt vor der Bühne erstochen wurde, hatte die Hippie-Bewegung ihre Unschuld und Unbeschwertheit bereits verloren – Woodstock also nur ein Abschiedskonzert?

Die geplante Neuauflage zum 50. Jubiläum – allerdings in Watkins Glen im Norden des Bundesstaates New York, etwa 200 Kilometer vom Originalschauplatz entfernt – ist nach vielen Star-Absagen und langen Querelen ausgefallen. Doch in Bethel, wo seit 2006 „The Museum at Bethel Woods“ mit umfangreichen Ausstellungen an die wilden Tage im August 1969 erinnert, wird es trotzdem einige Veranstaltungen geben; so stehen unter anderem Konzerte mit Ringo Starr, Santana oder John Fogerty auf dem Programm.

Aus gegebenem Anlass sind einige neue Buchtitel erschienen. Bereits im Herbst 2018 brachte der Delius Klasing Verlag den prächtigen Bild-Text-Band Three Days of Love and Peace. Das Festival, das die Welt veränderte heraus, der eine umfassende Chronik des ersten Großereignisses der Pop-Geschichte darstellt. Der französische Journalist und Musiker Julien Bitoun dokumentiert fast lückenlos den berühmtesten Musik-Event des 20. Jahrhunderts. Dazu hat er bislang unbekannte Details ausfindig gemacht, außerdem lässt er zahlreiche Zeitzeugen (Organisatoren, Künstler, Anwohner, Festivalbesucher) zu Wort kommen.

Der Verlauf des größten Happening aller Zeiten wird ausführlich geschildert; jeder einzelne Künstlerauftritt – von Richie Havie bis zu Jimi Hendrix, dessen 130-minütige Show den krönenden Abschluss bildete – ist lebendig veranschaulicht mit Kurzinformationen zu den Künstlern oder zu den Bands bis hin zu den Listen der Songs, die von ihnen in Woodstock vorgetragen wurden.

Im Epilogteil des Bandes gibt es weitere interessante Informationen, zum Beispiel wer bei dem Festival fehlte (Bob Dylan, Led Zeppelin, Jeff Beck, The Beatles, The Rolling Stones unter anderem). Ausführlich wird auch auf die zahlreichen Woodstock-Alben, Verfilmungen und die Woodstock-Konzerte ’94 und ’99 eingegangen. Abschließend beleuchtet Bitoun die Frage „Was bleibt ein halbes Jahrhundert später von Woodstock?“. Die 240 Seiten sind eindrucksvoll bebildert, teilweise mit bisher unveröffentlichten Fotos. Die umfassende Chronik ist eine authentische Darstellung und damit sicher ein Standardwerk zur Geschichte des Woodstock-Festivals.

Der amerikanische Fotograf Elliott Landy war 26 Jahre alt, als er mit fünf Kameras über der Schulter das Festivalgelände von Woodstock erkundete. Das Ergebnis, der Bildband Woodstock Vision – The Spirit of a Generation, ist gerade als Übersetzung der englischen Originalausgabe von 1994 bei Zweitausendeins erschienen. Landy, der heute noch in der Gemeinde Woodstock wohnt, war aber nicht nur während des Festivals mittendrin: Bereits in den Jahren zuvor hatte er die gesellschaftlichen Umwälzungen mit der Kamera festgehalten. Alles schien im Umbruch zu sein. Überall wurden herkömmliche Denkweisen und autoritäre Strukturen infrage gestellt. Eine ganze Generation junger US-Amerikaner befreite sich von kulturellen Beschränkungen und althergebrachten Moralvorstellungen.

Landys Fotos, die im ersten Teil des Bildbandes versammelt sind, suggerieren diesen Aufbruch und friedlichen Protest, während der Begleittext Informationen zu den politischen und kulturellen Hintergründen der Hippie-Bewegung und zum damaligen politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist vermittelt. Es sind keine inszenierten Fotos, denn Landy ließ sich bei Demonstrationen und Sit-ins einfach mitreißen und hielt seine Kamera über den Kopf. Trotzdem wollte er immer ein „Künstler sein, kein Revoluzzer“.

Die Musik war der Motor dieser Bewegung, sie konnte die jungen Menschen begeistern. Sie war geradezu geschaffen dafür, ihnen ihre Gefühle zu vermitteln und die gesellschaftlichen Umwälzungen zu kanalisieren. Bereits vor Woodstock hatte Landy viele Musiker porträtiert und mit seinen Fotos intime Einblicke in das Leben der Stars gewährt. So hatte er auch das Cover-Foto für Dylans Album Nashville Skyline geschossen. Als offizieller Fotograf des Festivals hatte Landy dann vor allem die bewegenden Momente abseits der Bühne festgehalten, von den Heerscharen junger Menschen, der unbeschreiblichen Stimmung und dem Gemeinschaftssinn. Ergänzt wird diese Bildergalerie durch persönliche Erinnerungen von zahlreichen Zeitzeugen, vom Bühnenbildner über Festivalbesucher, dem Sicherheitschef bis hin zu einer langjährigen Bewohnerin von Woodstock.

Der Rockmanager, Festival-Promoter und Musikproduzent Michael Lang war damals als 24-jähriger gemeinsam mit Artie Kornfeld Initiator und Veranstalter des Woodstock-Festivals. Bereits vor zehn Jahren erschienen seine Erinnerungen The Road to Woodstock – From The Man Behind The Legendary Festival (unter der Mitwirkung des Musikhistorikers Holly George-Warren), die nun pünktlich zum 50. Jahrestag in deutscher Übersetzung bei Edel Books vorliegen. Neben der autobiografischen Schilderung seiner Kindheit und Jugend berichtet Lang darin akribisch von der Planung des Happenings, von den Hindernissen bei der Organisation, der Auswahl der Bands (es gab keine Hierarchie), der Versorgung der Festivalbesucher und von dem finanziellen Desaster danach. Ebenfalls zu Wort kommen seine Mitveranstalter und Partner (neben Artie Kornfeld auch die beiden wirtschaftlich Verantwortlichen John Roberts und Joel Rosenman) sowie zahlreiche Mitarbeiter und beim Festival aufgetretene Künstler.

Titelbild

Julien Bitoun: Woodstock – Three Days of Love and Peace. Das Festival, das die Welt veränderte.
Übersetzt aus dem Französischen von Ursula Bachhausen.
Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2018.
240 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783667114112

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Elliott Landy: Woodstock Vision. The Spirit of a Generation.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von David Blum.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2019.
223 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783963180330

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Titelbild

Michael Lang: Woodstock. Die wahre Geschichte. Vom Macher des legendären Festivals.
Unter Mitwirkung von Holly George-Warren.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sonja Kerkhoffs.
edel Verlag, Hamburg 2019.
388 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783841906465

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