Ex oriente lux?

Peter Frankopan legt mit „Licht aus dem Osten“ einen ungewöhnlichen Parforceritt durch die Weltgeschichte vor

Von Franz Sz. HorváthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Sz. Horváth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Europäer sind wir allzu sehr gewohnt, die Geschichte und die Welt von Europa aus als deren Zentrum und Motor zu denken. In dieser Sichtweise erscheint der alte Kontinent einschließlich der von ihm durchgemachten Entwicklung und des technisch-zivilisatorischen Standes als der Normalfall und der Mittelpunkt der Weltgeschichte. Peter Frankopans bereits 2016 auf Deutsch erschienenes Buch Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt kehrt unser gewohntes Bild um und blickt auf Europa als eine Randerscheinung der Weltgeschichte.

In die Mitte seiner Darstellung rückt Frankopan stattdessen den Nahen, Mittleren und Fernen Osten, einen geografisch breiten Streifen vom heutigen Ägypten (Kairo), den Städten Mekka und Jerusalem über Bagdad bis hin zur Mongolei und Westchina. Er begreift dieses Gebiet als Gravitationszentrum und eigentliche Mitte des Weltgeschehens seit der Antike bis heute. Nicht von ungefähr seien dort die ersten Hochkulturen entstanden (die Reiche der Sumerer, Perser und Ägypter). Alexander der Große wollte das Gebiet genauso erobern wie später die Römer. Auch die drei großen monotheistischen Weltreligionen entstanden nah beieinander auf kleinem Raum. Die Seidenstraße verband schließlich Europa mit Asien und sicherte über den Fernhandel die Versorgung Europas mit all den exotischen Gewürzen, Stoffen und Nahrungsmitteln, die es auf dem alten Kontinent nicht gab. Der Handel wiederum führte sowohl in Asien als auch in vielen europäischen Städten (Venedig, Genua usw.) wiederholt zur Entwicklung von riesigen Reichtümern. Im Hochmittelalter bot die Religion den Christen den Vorwand für die berühmten Kreuzzüge, als es um Jerusalem und das Heilige Land ging. Selbst die Entdeckung des amerikanischen Kontinents lässt sich aus dem Bestreben heraus erklären, so Frankopan, schneller nach Indien gelangen zu wollen, weil Kolumbus dort ein christliches Reich vermutete, das den Europäern in ihrem Kampf gegen die Osmanen beistehen sollte. Seit der frühen Neuzeit machten sich in Indien allerdings vor allem die holländischen und englischen Handelskompanien breit, wobei letztere allmählich die Grundlage des britischen Kolonialreichs legten. Dieses beobachtete im 19. Jahrhundert argwöhnisch die Ausdehnung Russlands in Asien, doch gelang es den Briten Ende des 19. Jahrhunderts, sich viele Konzessionen auf die Förderung des Erdöls zu sichern. Das Erdöl nahm seitdem als Hauptrohstoff der Region die Rolle ein, die im Mittelalter die Gewürze und die Seidenstoffe innehatten. Im 20. Jahrhundert drehte sich schließlich alles um die Frage der Herrschaft über das Erdöl, nur dass zunehmend die Sowjetunion und die USA sowie ihre Ideologien einander gegenüberstanden.

Peter Frankopans „neue Geschichte der Welt“ ist ein spannendes Stück flüssig geschriebener Geschichtsschreibung. Sein Perspektivenwechsel, den er durch reichhaltige Zitate arabischer und persischer Quellen unterstützt, ist erfrischend und zwingt den Leser zu einem Nachdenken über bekannte historische Ereignisse. Allerdings liegt sein Fokus allzu häufig auf der Darstellung von Handelsrouten und Feldzügen, die teilweise seitenlang und ermüdend ausgebreitet werden. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte kommen in seiner Weltgeschichte eindeutig zu kurz; ob das Agieren der Briten und Amerikaner im Iran ausschließlich so negativ beschrieben werden muss, mag ebenfalls dahingestellt bleiben. Dennoch liegt hier insgesamt ein spannendes Buch vor, das man aufgrund des Umfangs Lesern mit viel Zeit und vor allem mit einschlägigen Vorkenntnissen empfehlen kann.

Titelbild

Peter Frankopan: Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016.
941 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783871348334

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch