Kein vielstimmiger Chor der Frauen

Feridun Zaimoglu wagt sich an „Die Geschichte der Frau“ – und hätte es besser bleiben lassen

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein literarisches Abenteuer, ein großer Gesang, ein feministisches Manifest: Feridun Zaimoglus neuer Roman ist ein unverfrorenes Bekenntnis zur Notwendigkeit einer neuen Menschheitserzählung – aus der Sicht der Frau“. Das, was der Klappentext von Die Geschichte der Frau verspricht, klingt nach einem kühnen literarischen Unterfangen. Doch warum auch nicht? Nur dank großer, wagemutiger Ideen wurde so manches Stück Weltliteratur Wirklichkeit.

Andererseits fragt man sich – insbesondere als Leserin – unwillkürlich, warum ausgerechnet ein Mann sich berufen fühlt, den über Jahrtausende hinweg ungehörten Frauen in Literatur und Geschichtsschreibung eine Stimme zu verleihen. Auch der Titel sorgt für einen leicht bitteren Beigeschmack, geht es doch anscheinend nicht um die Geschichte beispielhafter einzelner Frauenpersönlichkeiten (was doch an sich schon ehren- und lohnenswert wäre), sondern vielmehr um „die Frau“ an sich. Wie diese aber sein soll oder sein könnte, das benennen nun tatsächlich bereits seit Jahrtausenden männliche Philosophen, Mediziner, Politiker, Kleriker – und eben auch Literaten. Dass nun ein Mann antritt, um als Gegenentwurf „der Frau“ eine Stimme zu verleihen, klingt nicht nur kühn, sondern so, als sei es geradezu zum Scheitern verurteilt.

Aber sei’s drum, vielleicht ist der Titel nicht eben glücklich gewählt. Warum sollte ein Mann sich nicht hineinfühlen können in eine Frauenfigur der Antike, eine Trümmerfrau nach dem Krieg oder eine türkische Gastarbeiterin? Hier liegt die Crux in der schieren Anzahl der Frauen in Zaimoglus jüngstem Roman: Vielleicht wäre es gutgegangen, sich eben in eine Bürgerstochter oder in eine Nibelungenfigur hineinzuversetzen. Aber zehn Frauen gleichzeitig sein zu wollen, ist schon ein wenig vermessen; der Autor tut damit leider keiner der Figuren einen Gefallen, egal, ob es sich dabei um erdachte oder reale Frauengestalten handelt.

Aufgebaut ist das Werk aus 10 einzelnen Monologen, die eigentlich unverbunden nebeneinander stehen, weshalb es auch schwerfällt, diese nicht als Erzählungen, sondern tatsächlich als einen Roman zu empfinden. Einen roten Faden, der die Schicksale der Frauen aus dreieinhalbtausend Jahren miteinander verbindet, sucht man vergebens. Begonnen wird 1460 v. Chr. mit Zippora, der dunkelhäutigen Frau des Moses. Der Bogen endet bei der militanten Feministin Valerie Solanas 1968 in New York.

Was sie alle verbindet – außer in einer düsteren von Männern beherrschten Welt zu leben –, bleibt unklar, die Auswahl der Figuren wirkt einigermaßen willkürlich. So steht Antigone, der man übrigens beim besten Willen keine literarische Sprachlosigkeit unterstellen kann, in einer Reihe mit Judith, einer neu erdachten biblischen Figur der Ehefrau des Verräters Judas. Alte Bekannte aus Zaimoglus Werk wie Leyla, die Gastarbeiterin aus Anatolien oder Brunhild aus „Siegfrieds Erben“ tauchen ebenso auf wie die neu erdichtete Magd Lore Lay, die sich dem aufdringlichen Werben des romantischen Dichters Clemens Brentano zu entziehen versucht. Auch wenn die einzelnen Figuren, so etwa die Trümmerfrau aus Kiel oder die als Hexe verbrannte Prista Frühbottin aus Wittenberg, mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten und Schicksalen durchaus interessant gewesen wären, vergibt Zaimoglu leider die Chance, individuelle Charaktere von Format zu erschaffen.

Dazu wäre es sicherlich hilfreich gewesen, einer jeden von ihnen eine eigene Stimmlage und einen eigenen Ausdruck zu verleihen. Stattdessen versteigt sich der Autor in doch recht gleichförmigen hochgeschraubten Formulierungen, die den Lesefluss mehr stören als beflügeln. Ehrlich gesagt kommt man sich bei der Lektüre mitunter tatsächlich so vor, als sei man aus Versehen auf einen weihnachtlichen Mittelaltermarkt geraten, wo man altertümelnd „ein gar wohlfeiles Mahl für ein paar Kreuzer“ angeboten bekommt. Künstlich, manieriert und teilweise schlicht unverständlich ist die sprachliche Gestaltung bei allen 10 Monologen. Ansätze, diesen einen individuellen Charakter zu verleihen, gibt es nur wenige, im Endeffekt klingen sie alle mehr oder weniger wie aus einem Guss.

Gerne und häufig wird beispielsweise die Satzstellung verdreht. Dies soll den Sätzen wohl Bedeutung verleihen, sorgt aber in erster Linie dafür, dass sie sperrig und hölzern daherkommen, wie etwa „Retter Jesus schreibt auf in die brausende Luft klirrende Silben“ oder „Nicht weinen werde ich vor dem Seher um meine Verluste. Nicht vergessen werde ich die Würde meines Standes.“

Hinzu kommt eine offenkundige Vorliebe für Alliterationen („Sie glänzten wie geölte glänzende Glatzen“, „Ich bin das hohe Weib, das sich mit Kinn und Kiefer der Krieger behängt.“), die sich durch die Jahrtausende zieht. Außerdem driftet leider auch so manches Bild in unfreiwillige Komik ab: „Dir hat das Haupt die Fledermaus im Flug gewässert“.

Dabei hätte es inspirierend, schön und bewegend sein können, über die Gedanken und Gefühle von aufmüpfigen, mutigen, zornigen und klugen Frauen zu lesen.
Doch da greift man vielleicht doch besser zu Christine Brückners „Wenn du geredet hättest, Desdemona“. Brückner ließ in dem Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen untertitelten Werk bereits 1983 unter anderem Klytämnestra, Katharina von Bora, Effi Briest oder auch Gudrun Ensslin in geistreichen fiktiven Monologen zu Wort kommen. Oder man erspürt mit Virginia Woolfe in ihrem wunderbarem Essay A room of ones own, einfühlsam die Gründe dafür, warum jahrhundertelang nur Männer in Literatur und Geschichte Gehör fanden – und eben nicht die Frauen.

Titelbild

Feridun Zaimoglu: Die Geschichte der Frau. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
400 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783462052305

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch