Die Rückkehr der Romantik
Emanuel Maeß schreibt mit „Gelenke des Lichts“ einen neuen Bildungsroman
Von Sebastian Engelmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGelenke des Lichts, der Debütroman des 1977 in Jena geborenen Autoren Emanuel Maeß, irritiert. Er irritiert und verführt zur langsamen, genauen und erneuten Lektüre. Im Zug zwischen Paderborn und Gummersbach konnte ich den Text nicht aus den Händen legen und auch nach Großbritannien hat er mich begleitet. Einige der Stationen des Protagonisten habe ich in diesem Jahr also mit nachvollzogen. Dabei war der erste Satz des Buches für mich allerdings zunächst eine Hemmschwelle: „Vor einigen Jahren, als ich einen Abend lang vergeblich auf Dich wartete, ergab sich die Gelegenheit, wieder einmal einem Mond zuzusehen.“ Lange musste ich mit mir kämpfen – und beinahe habe ich das Buch direkt wieder zur Seite gelegt.
Die Worte rollen heran und die Leserinnen müssen sich zunächst auf Maeßʼ Stil einstellen. Nicht wenige wird er wohl vor den Kopf stoßen, denn der Autor schert sich nicht um die Konventionen des aktuellen Literaturbetriebs. Er unternimmt den Versuch, eine Collage aus romantischen Einflüssen, Bildungsroman, Campusroman und intellektueller Reise durch eine imaginierte epistemic community zu beschreiben, die der realen tatsächlich beängstigend nahekommt. Im Hintergrund wirken Friedrich Nietzsche, Novalis und Richard Wagner. Lässt man sich auf das Buch ein, dann hat es die Kraft, einen in den Bann zu ziehen – und das nicht nur aufgrund der letztlich sehr erfrischenden Stilvariation.
Die Geschichte beginnt dann auch nicht stereotypisch in einer der westdeutschen Metropolen oder gar in Berlin. Der Protagonist von Gelenke des Lichts lebt im beschaulichen Werratal, wo er – recht abgeschieden von technisierter Zivilisation – im Pfarrhaus heranwächst. Dementsprechend wenig verwunderlich ist es, dass die Beschreibung dieser beinahe unberührten Natur, die sich dem Heranwachsenden entbirgt, einen großen Teil der Erzählung ausmacht. Beschreibungen, dichte Beschreibungen gelingen Maeß durch den gesamten Text hinweg. Diejenigen, die jetzt meinen, dies sei zu langatmig oder irrelevant, werden keine Freude an Gelenke des Lichts haben, denn erst in den Beschreibungen wird die Romantik und der feine Witz des Textes ersichtlich.
Die Einflüsse des Pfarrhauses und ein Gefühl für das (Un)Endliche wirken hier möglicherweise im Hintergrund; Kirche und Ostdeutschland, das war zu dieser Zeit immer ein besonderes, wenn nicht sogar widerständiges Verhältnis. Gerade durch diese Beschreibung eines in Spannungen heranwachsenden jungen Menschen in der Natur vermag es Maeß, Bildungsprozesse in Auseinandersetzung mit der Welt plastisch zu vermitteln. Während hier einige von einer ungesteuerten Entfaltung des Protagonisten sprechen, ist doch hier eher die klassische Figur aus dem Fragment Wilhelm von Humboldts zu erkennen, nach der sich der Mensch auf mannigfaltige Arten mit der Welt in Verbindung setzt. Dabei ist der Mensch immer der Gefahr ausgesetzt, von der Welt überrannt zu werden, sich in ihr zu verlieren und sich letztlich zu entfremden. Das Verhältnis von Mensch und Welt ist also eines des stetigen Annäherns und Entfernens – ganz so, wie Maeß es beschreibt. Sein Roman lebt von dieser Bewegung, die immer kurz vor dem Erreichen des Ziels wieder zum Stillstand kommt und den Rückzug antritt.
Die Bildungsbewegung findet in Gelenke des Lichts an verschiedenen Orten statt. Das südthüringische Gymnasium in Meiningen ist die erste Station. Logischerweise hat ein Bildungsroman auch immer etwas mit Schulbildung zu tun; Schulerfahrungen prägen nachhaltig und traumatisieren nicht selten. Heidelberg, Berlin und entrückte Elite-Universitäten folgen als Stationen der (Selbst-)Bildung und des Bildungswegs eines sich selbst findenden homo academicus. Die universitären Institute der Nachwendezeit, Musik, Prosa – das alles nimmt Einfluss auf den Protagonisten. Oder besser: Damit setzt er sich selbst auseinander. Auch eine Konferenz, sicherlich der Germanistik, wird besucht und als soziales Event dargestellt. Im Zentrum der Romantik – dem Peter Neumann letztes Jahr mit Jena 1800 ein eigenes Buch gewidmet hat – verläuft sich der Protagonist auf einer Wanderung durch die Jenaer Berge. Dabei gelingt dem Autor etwas, was mir das erste Mal wirklich untergekommen ist. Er beschreibt Orte, die mir selbst bekannt sind, auf eine Art, die ich nicht anbiedernd, sondern sehr gekonnt, fast schon evokativ nennen möchte. Man befindet sich mit Maeß an den Orten, die er beschreibt – er hat die Atmosphäre der Berghänge um Jena in Text gebannt.
Was bleibt nach der Lektüre? Der Eindruck, dass dieses Buch noch länger hätte sein können. Maeßʼ Beschreibungen, seine klar konturierten Figuren, die trotzdem eine Menge an Ambivalenz zulassen, sein sich immer wieder selbst reflektierender Protagonist hätten noch mehr Raum verdient. Möglicherweise ist die geraffte Form aber auch dem Aufbau der Erzählung geschuldet; am Ende ist dann nämlich doch die gesamte Welt zu nah gekommen. Es bleibt dieses Buch, Gelenke des Lichts, die wohl ideale Lektüre für all diejenigen, die ein wenig Romantik, Lyrik und Pathos in ihrem Leben suchen, das Alltägliche gerne (wieder) verzaubert wissen wollen. Das gelingt Maeß mit seinem Debüt und dafür verdient dieses Buch Beachtung – und eine Geschichte von unerreichbaren Liebesobjekten, sowohl intellektueller als auch ganz realer, menschlicher Art, gibt es zum stilistisch ansprechenden Leseerlebnis noch obendrauf.
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