Liebe, Lust und Blut

Mishima Yukios Erfolgsroman „Bekenntnisse einer Maske“ in neuer Übersetzung

Von Felix T. GregorRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix T. Gregor

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende von Mishima Yukios zweitem Roman Bekenntnisse einer Maske sitzt der Ich-Erzähler zusammen mit einer Jugendfreundin im Hof eines Tanzlokals. Es ist Mittag und die sengende Sonne Tokyos verwandelt jene Flächen des Hofes, die nicht durch den Schatten umstehender Häuser geschützt werden, in einen betonierten Steinofen, der den Schweiß auf die Haut der beiden Protagonist*innen treibt. Während auf der Tanzfläche im Innenraum des Lokals Studierende neben Geschäftsmännern um die Wette tanzen, versuchen die Menschen draußen ein wenig Ruhe von der für die Mittagspause eher ungewöhnlichen Anstrengung zu gewinnen. Neben dem Ich-Erzähler und seiner Jugendfreundin gehören zwei weitere Paare dazu. Und von ihnen ist es ein junger, trainierter Mann, der unerwartet die gesamte Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers auf sich zieht:

Bei diesem Anblick, vor allem aber, als ich die auf seinen festen Arm tätowierte Päonie sah, wurde ich von sexueller Begierde überwältigt. Mein leidenschaftlicher Blick klebte an seinem groben, wilden, und doch unvergleichlich schönen Körper. Der junge Bursche stand in der Sonne und lachte. Als er den Kopf zurückbeugte, sah ich seinen dicken hervorstehenden Kehlkopf. Ich spürte, wie mir das Herz in der Brust unheimlich klopfte. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden.

In dieser kurzen Beschreibung des homoerotischen Begehrens des Ich-Erzählers bringt Mishima am Ende seines Romans noch einmal kongenial jene Tragik auf den Punkt, die seine Erzählung eines jungen Mannes im Japan der (Zwischen-)Kriegsjahre wie einen roten Faden durchzieht: Bei der Begleitung des Ich-Erzählers handelt es sich um niemand geringeres als Sonoko, die Schwester eines alten Freundes, die er einst heiraten sollte, was er aber aufgrund seines schwulen Begehrens letztlich nicht tat. Und dennoch blieb in ihr diese unerklärliche Anziehungskraft, die dazu führte, dass sich beide nach Jahren der Trennung in dem kleinen Tanzlokal wiederfinden.

Bekenntnisse einer Maske, Mishimas Zweitroman, der ihn unmittelbar nach seinem Erscheinen 1949 zum literarischen Star in Japan und darüber hinaus gemacht hat, erzählt die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, die an vielen Stellen des Textes mit Mishimas eigenem Leben auf unheimliche Weise zu korrespondieren scheint. Hineingeboren in eine Zeit japanischer Moderne, die zugleich bereits von jenen militaristischen sowie imperialistischen Tendenzen geprägt war, die zum 2. Weltkrieg in Asien führten, stellt der Protagonist des Romans früh fest, dass er in vielerlei Hinsicht ein Außenseiter ist, jemand, der nur schwer in die traditionelle Gesellschaft Japans hineinpasst. Angefangen bei seiner vergleichsweise schwachen körperlichen Konstitution ist es vor allem seine Faszination mit dem Tod, mit Schmerzen und Blut sowie die Lust an leidenden männlichen Körpern, die ihn immer wieder darüber nachdenken lassen, wer und was für ein Mensch er eigentlich sei.

Ausgehend von der Frage, wie und ob überhaupt ein non-konformes, d.h. vor allem auch nicht-heterosexuelles Begehren im Japan der 1930er und 1940er Jahre möglich ist, schildert Mishimas Roman verschiedene Stationen im Leben des Ich-Erzählers, an denen sich dieser mit seiner Umwelt und sich selbst auseinandersetzen muss. Dabei kommt er fortwährend zu dem Ergebnis, dass ihm allein die Aneignung einer gesellschaftlichen Maske übrigbleibt, die sein eigentliches Ich, und damit sein Begehren und seine Identität, vor den Augen der anderen verdeckt. Erste homoerotische Kontakte mit Jugendlichen in der Schulzeit erklärt er so zum glücklichen Nebeneffekt kindlicher Spiele, die Werke der Abenteuerliteratur und der Kunst zu Möglichkeiten, dem Bild gepeinigter Jünglinge ohne große Schwierigkeiten zu begegnen – und dabei auch den ersten Orgasmus und damit den eigenen männlichen Körper zu erleben.

Mishimas Erzählung eines literarisches Ichs, das, wie viele Literaturkritiker*innen früher betonten, als Stellvertreter seiner selbst gelesen werden kann, verweist auf einer zweiten Ebene des Textes immer wieder auf die Vorbilder und Orientierungspunkte für das eigene Schreiben: Magnus Hirschfeld, Walt Whitman, Oscar Wilde und Stefan Zweig sind einige der im Werk genannte Referenzen für das literarische Ich sowie für Mishima. Sie machen deutlich, dass Mishimas Erzählung der Lebensgeschichte und Identitätssuche eines jungen Japaners vor, während und nach dem 2. Weltkrieg nicht nur ein Paradebeispiel für die Radikalität der japanischen Nachkriegsliteratur darstellt, sondern gleichzeitig erkennen lässt, dass Bekenntnisse einer Maske ebenso ein Teil dessen ist, was man ‚Weltliteratur‘ nennen kann. Der Roman berührt, verwundert, verletzt, ekelt und begeistert nicht nur ein japanisches Lesepublikum. Darin liegt die Modernität des Textes, die seine Lektüre auch heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Ersterscheinen, immer noch lohnenswert macht.

Nach einer ersten Übersetzung des Romans in den 1960er Jahren, die, wie es auch heute noch leider so oft bei japanischer Literatur der Fall ist, aus dem Englischen stammt, hat der Verlag Kein und Aber mit der Wiederveröffentlichung 2018 eine neue Übersetzung aus dem Japanischen von Nora Bierich besorgt. Diese ist an vereinzelten Stellen mit hilfreichen Erklärungen japanischer Alltagsbegriffe versehen, lässt aber am Ende des Textes ein kommentierendes und einordnendes Nachwort vermissen, das im besten Fall noch einmal erläutert hätte, wie es zu dieser (dankenswerten) Neuauflage von Mishima gekommen ist. Es wäre wünschenswert, dass dies nicht die letzte Neuauflage und Neuübersetzung eines Romans von Mishima bleibt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Yukio Mishima: Bekenntnisse einer Maske. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Nora Bierich.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2018.
222 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783036957845

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