Ein Vorreiter der modernen Ökologie

Oliver Lubrich und Adrian Möhl erzählen in „Botanik in Bewegung“ von Alexander von Humboldts botanischem Schaffen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alexander von Humboldt (1769–1859) entwickelte ein neues Verständnis der Natur, vor allem in der botanischen Feldforschung begründete er innovative Ideen, indem er das System der Naturgeschichte von Carl von Linné (1707–1778) weiterentwickelte. Der schwedische Naturforscher hatte mit seinem Werk Systema naturae (1735) den wesentlichen Grundstein zur wissenschaftlichen Klassifikation und Benennung der überwältigenden Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten gelegt. Humboldt betrachtete aber nicht nur die Pflanzen in ihrer geografischen und klimatischen Verbreitung, sondern auch in historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen – gewissermaßen eine „Botanik in Bewegung“. Um diese neuen wissenschaftlichen Befunde und Erkenntnisse zu dokumentieren, entwarf Humboldt auch völlig neue grafische Darstellungsformen, die ästhetisch und zugleich botanisch präzise waren.

Humboldts „Botanik in Bewegung“ wurde im Vorfeld seines 250. Geburtstages zum Gegenstand einer bemerkenswerten Ausstellung, die vom 2. Juni bis 30. September 2018 im Botanischen Garten Bern ihre Premiere hatte und im Jubiläumsjahr 2019 im Botanischen Garten und am Centrum für Naturkunde in Hamburg fortgesetzt wurde. Die Ausstellung, die den Naturforscher erstmals als Botaniker vorstellt, ist als eine Art Entdecker-Parcours angelegt, der Humboldts zahlreiche Forschungsreisen und sein Interesse an Pflanzen über drei Jahrzehnte verfolgt. Durch die Zusammenarbeit des Botanischen Gartens Bern mit dem Institut für Germanistik der Universität Bern entstand auch eine reich illustrierte Dokumentation. Der Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich , der bereits verschiedene Werke Humboldts herausgegeben hat, und der Biogeograf und wissenschaftliche Zeichner Adrian Möhl erzählen darin von Humboldts botanischen Wirken in vier Kapiteln. Sein Interesse an Pflanzen war bereits in Berlin (1789) erwacht, wo der knapp 20-Jährige einen pflanzenwissenschaftlichen Aufsatz über den indischen Giftbaum Bohon-Upas verfasste. Schon hier berücksichtigte er pflanzengeografische Aspekte.

Seine ersten wissenschaftlichen Beiträge zur Botanik, die auf eigene Naturbeobachtungen zurückgingen, verfasste Humboldt ausgerechnet an einem sehr ungewöhnlichen Ort: unter Tage. Während des Studiums und der anschließenden Dienstjahre an der sächsischen Bergakademie in Freiberg (1791–95) beschäftigte er sich ausführlich mit Höhlenbotanik (Flechten- und Pilzarten). Diese Studien enthielten auch seine ersten botanischen Illustrationen. Humboldts Aufenthalt 1798 in Paris war dann gewissermaßen die Vorbereitung auf seine folgenden großen Forschungsreisen. Auf der Überfahrt über den Atlantik war Teneriffa seine erste Station, wo er sich mit dem Drachenbaum beschäftigte – dabei diskutierte er Größe, Alter, Herkunft und Verbreitung der Dracaena draco. Nach der Landung in Südamerika war Humboldt begeistert von dem Formenreichtum der Pflanzenwelt in den tropischen Wäldern. In den Anden bestieg er schließlich den Chimborazo und fertigte hier (wie auch später in den Alpen) zahlreiche Gebirgsprofile an. Darüber hinaus interessierte sich Humboldt auch für den wirtschaftlichen Nutzen und die pharmakologischen Wirkungen der Pflanzen. Vor seiner Rückreise nach Europa besuchte er noch Kuba (1804), wo er ebenfalls umfangreiche Beobachtungen und Messungen durchführte. Zurück in Europa machte sich Humboldt daran, die Ergebnisse seiner Expedition auszuwerten und zu veröffentlichen. Dabei waren in seinen Schriften Bild und Text untrennbar verbunden. Die grafische Methode der Datenvisualisierung ermöglichte es ihm, zahlreiche Perspektiven und Informationen miteinander zu kombinieren.

Im Abschlusskapitel „Nachwirken“ schildert Lubrich an einigen Beispielen, wie sich Wissenschaftler und auch zahlreiche Künstler von Humboldts Stil und Darstellungsformen später inspirieren ließen, darunter eine ganze Schule, die „Hudson River School“. Auch eine Betrachtung zu „Humboldts Forschung in Zeiten globaler Erwärmung“ fehlt nicht. Humboldt machte sich vor 200 Jahren bereits Gedanken über den Einfluss des Menschen auf die Umwelt; so wies er zum Beispiel auf den Zusammenhang zwischen dem Abholzen von Wäldern und dem Austrocknen eines Sees in Venezuela hin. Mit zahlreichen historischen Abbildungen (darunter Humboldt-Zeichnungen), Dokumenten, Karten sowie vergleichenden zeitgenössischen Farbfotos wird nicht nur Humboldts Leben und botanisches Schaffen erzählt, auch das künstlerische Potential der Wissenschaft und umgekehrt die wissenschaftlichen Möglichkeiten der Kunst werden vielfältig dargelegt.

Titelbild

Oliver Lubrich / Adrian Möhl: Botanik in Bewegung. Alexander von Humboldt und die Wissenschaft der Pflanzen.
Haupt Verlag, Bern 2019.
272 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783258081076

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