Fantasy für Leute, die Fantasy hassen – und sexistisch?

Shiloh Carrolls postkoloniale und feministische Analysen zu George R.R. Martins Romanzyklus Das Lied von Eis und Feuer

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine thematische Einführung zu George R.R. Martins Romanzyklus Das Lied von Eis und Feuer (orig. A Song of Ice and Fire, seit 1996) erübrigt sich: Der überraschende Publikumserfolg und der damit verbundene mediale Hype – insbesondere bezogen auf die von David Benioff und D.B. Weiss von 2011 bis 2019 für HBO produzierte Fernsehadaption Game of Thrones – dürfte an kaum jemandem vorbei gegangen sein. Ausgiebig öffentlich spekuliert wurde im Verlauf der Ausstrahlung über den möglichen Handlungsfortgang. Ebenso diskutierte man allerdings auch Inkongruenzen zwischen Printfassung und Filmadaption, Darstellung von Sex und Gewalt und darüber, ob es erlaubt und/oder sinnvoll sei, seiner Tochter nach einer der Protagonistinnen den Namen Daenerys zu geben. Solche Debatten bewegten sich dabei keineswegs ausschließlich im Umfeld obskurer Fan-Plattformen in den sozialen Medien, sondern breiteten sich zunehmend auch im seriösen Feuilleton aus.

Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass sich leicht zeitversetzt auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem nur unter multimedialer Perspektive zu erfassenden Phänomen Game of Thrones ergeben hat. Schwerpunktsetzungen sind dabei durchaus unterschiedlich; politikwissenschaftliche Fragestellungen (Stephen B. Dyson: Otherwordly Politics. The International Relations of ´Star Trek`, ´Game of Thrones` and ´Battlestar Galactica`, Baltimore2015) werden hier ebenso untersucht wie philosophische Ansätze (Henry Jacob: Game of Thrones and Philosophy. Logic Cuts Deeper than Swords, New Jersey 2012). Aufgrund des fantastisch-mittelalterlichen Seriensettings nehmen mediävistische Untersuchungen in diesem Diskurs eine besonders prominente Rolle ein, zu nennen wäre hier exemplarisch Carolyne Larringtons Winter is Coming. The Medieval World of ´Game of Thrones` (London/New York 2016). Shiloh Carrolls 2018 erschienene Studie zur Mittelalterrezeption (medievalism) in Game of Thrones ist insofern thematisch nicht besonders originell, auch die Akzentuierung von Genderfragen ist in diesem Kontext nicht ungewöhnlich.

Carroll beginnt ihre Studie mit einer ausführlichen und kenntnisreichen Einführung zu Martins Arbeitsweise sowie zu dem von ihm gewählten Modus einer fantastischen Mittelalter-Adaption, die gängige Muster des Erzählens über das Mittelalter ablehnt und gleichzeitig den Anspruch einer besonders hohen Authentizität erhebt. Ein erstes Hauptkapitel untersucht anschließend Parallelen zwischen dem Romanzyklus und mittelalterlich-höfischen Epen. Es kommt zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass zwar durchaus authentisch mittelalterliche Erzählelemente ebenso wie einige entsprechende narrative Strukturen zu finden sind, dass sich Martin aber explizit von einem romantischen Mittelalterkonzept abgrenzt und eine Überhöhung der Epoche als „Goldenes Zeitalter“ ablehnt. Carroll stellt dies ausführlich am Beispiel von Martins Umgang mit dem Ideal der Ritterlichkeit dar, das sich für die Figuren jeweils als Illusion entpuppt. Überraschenderweise sieht Carroll gerade hier eine Parallele zur mittelalterlichen Epik, die die Umsetzbarkeit ritterlicher Ideale gleichfalls in Zweifel ziehe: „Martin shows the same concerns about […] the impossibility of living up to chivalric ideals that appear in medieval romance“. Bezogen auf Martins Romanzyklus trifft diese Beschreibung zweifelsohne zu, in diesem Urteil ignoriert Carroll allerdings die sehr andere Intention der von ihr angesprochenen mittelalterlichen Erzählungen. Während es Martin darum geht, möglichst „realistisch“ als authentisch imaginierte Verhaltensweisen darzustellen, haben die von Carroll zitierten höfischen Epen einen dezidiert didaktischen Anspruch. Das dort dargestellte – übrigens zumeist nur vorläufige – Scheitern der Figuren soll gerade nicht auf die „Unmöglichkeit“ (impossibility) hinweisen, ritterlichen Idealen zu genügen, sondern mögliche Schwierigkeiten demonstrieren, die in diesem Zusammenhang zu bewältigen sind. Etwas verkürzt formuliert sollen die Rezipienten insofern schlicht von den scheiternden Protagonisten lernen, wie man es besser machen kann. Anders als bei Martin besteht das Ziel der mittelalterlichen Erzählungen damit keineswegs darin, das Ideal als solches als unrealistisch oder verlogen zu diskreditieren, vielmehr wird hier das von Martin kritisierte Ideal des ritterlichen, an ethische Werte gebundenen Kämpfers als miles christianus zuerst beschrieben und etabliert.

Das zweite Hauptkapitel untersucht Genderkonzeptionen in Das Lied von Eis und Feuer; in einem dritten Teil werden Erotik und Sexualität (Sex and Sexuality) thematisiert. Die Abgrenzung zwischen beiden Kapiteln ist nicht ganz schlüssig: Es kommt hier zwangsweise zu Überschneidungen, so dass insgesamt eine andere Aufteilung sinnvoll gewesen wäre, zumal der themenbezogene Zugriff in Kapitel 3 wenig zu den strukturbezogenen Sichtweisen der übrigen Kapitel passt. Carroll attestiert Martin eine differenzierte Darstellung der weiblichen Protagonistinnen, die nicht zu Objekten gemacht würden und zitiert dessen Selbstdarstellung als „Feminist“. Zu Recht verweist sie darauf, dass dennoch einige gängige Fantasy-Stereotype aufgegriffen werden, etwa in Bezug auf Brienne von Tart und Arya Stark. Wie schon zuvor ist die Analyse von Martins Romanen unter zeitgenössischer Perspektive und im Kontext der Fantasy-Literatur der Gegenwart durchaus überzeugend, auch hier bleiben Bezugnahmen auf mittelalterliche Vorlagen unterkomplex.

Das vierte Hauptkapitel untersucht Martins Romane aus Sicht der Postcolonial Studies. Carroll legt hier einen Schwerpunkt auf die Darstellung von Sklaverei und Rassismus. Dabei handelt es sich – anders als bei den beiden vorangehenden Kapiteln – um eine Perspektive, die in der bereits publizierten literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung zu Martins Erzählwelt noch nicht sehr breit diskutiert wurde. Insofern wäre hier eine ausführlichere Darstellung durchaus wünschenswert und möglich gewesen; Carroll beschränkt sich allerdings auf eine eher zusammenfassende Sicht. Sie unterstellt Martin „gute Absichten“ (eine „[well intentioned] determination to speak out for colonized peoples and their way of life“) in Bezug auf eine bekanntermaßen schwierige Frage („the area is notoriously difficult to negotiate“). Gleichzeitig sieht sie bei ihm aber Tendenzen der Idealisierung keltischer beziehungsweise nordeuropäischer Kultur und Mythologie sowie eine an Stereotypen orientierte Darstellung der nicht aus Westeros stammenden Völker. Sie illustriert dies skizzenhaft an der Beschreibung der Dothraki und der Sklavenstaaten in Essos; als einen wesentlichen Kritikpunkt benennt Carroll die Rolle der Daenerys als „Weißer Erlöserin“ (White Savior). Inwiefern speziell dieser letzte Aspekt nach dem Erscheinen der letzten Staffel der Fernsehserie, in der Daenerys zunehmend als Tyrannin erscheint und schließlich vor ihrer Ermordung Wahn und Fanatismus anheimfällt, noch zu halten ist, wäre an anderer Stelle ausführlicher zu prüfen – ebenso wie die hier nur angerissene Fragestellung insgesamt eine weitergehende und fundiertere Analyse verdiente.

Das letzte Hauptkapitel befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Romanvorlage und Fernsehserienadaption. Carroll befragt hier nach einer kurzen Einführung zu den Entstehungsverhältnissen die Fernsehadaption in Bezug auf die Bearbeitung der zuvor für den Romanzyklus analysierten Elemente. Sie unterscheidet dabei transparent und nachvollziehbar zwischen solchen Änderungen, die als Anpassung an die Erfordernisse des anderen Präsentationsmediums zu verstehen sind beziehungsweise in zweiter Linie aus solchen notwendigen Anpassungen resultieren und anderen, freiwilligen beziehungsweise konzeptionellen Änderungen. Insgesamt sieht Carroll die Fernsehserie deutlich kritisch im Vergleich zum Romanzyklus, wenn sie etwa von Benioffs und Weiss´ „stated refusal to heed criticism or controversy“ spricht und feststellt, diese würden die Serie eher als eine Art Fanfiction behandeln und gar nicht den Anspruch erheben, eine ernsthafte Adaption zu leisten: Die Romane seien für sie eher „jumping-off point“ als „guideline“; zudem missverstünden sie mehrere zentrale Themen der Romane. Carroll führt dies unter anderem auf fehlende Diversität im Produktionsteam zurück. Ein Nachwort fasst die zentralen Befunde zusammen und betont noch einmal die Extraordinarität Martins, den Carroll bereits auf einer Stufe mit Tolkien sieht („Like Tolkien, Martin is a giant of fantasy literature“).

Insgesamt ist festzuhalten, dass an Carrolls Studie hauptsächlich die Anteile überzeugen, die Martins Romane und die Adaption von Benioff/Weiss allgemein kulturwissenschaftlich als Medienerzeugnisse der Gegenwart in den Blick nehmen. Hier setzt sich Carroll zum Beispiel mit Produktionsbedingungen der Serie und Interdependenzen zwischen Print- und AV-Fassung nachvollziehbar auseinander. Dies gilt allerdings nur sehr eingeschränkt für die eigentlich im Zentrum stehende Frage der Mittelalterrezeption: In diesem Kontext wird mehrfach überdeutlich, dass die Autorin über Texte des Mittelalters und genuin mediävistische Fragestellungen nur unzureichend informiert ist – sehr sprechend sind in diesem Zusammenhang Äußerungen im Nachwort, die Forschungen zur Mittelalterrezeption unzutreffender Weise als absolut randständig charakterisieren, mit der Begründung, diese würden verstanden als „Trostpreis für Wissenschaftler in Ländern, die keine (eigene) mittelalterliche Geschichte, wie sie typischerweise in Europa verstanden wird, haben“. Offensichtlich hat Carroll den sehr wohl zu dieser Thematik – gerade auch in Europa – vorhandenen Forschungsdiskurs nicht zur Kenntnis genommen, ihre Einschätzungen bleiben deutlich hinter dem Forschungsstand zurück, wenn sie nicht schlicht falsch sind. Hier wäre daher umgekehrt zu argumentieren: Es mag zwar durchaus – auch europäische – Mediävist/innen geben, die sich nicht mit Forschungen zur Mittelalterrezeption befassen oder solche nicht ernst nehmen. Forschungen zur Mittelalterrezeption ohne ein solides mediävistisches Fundament sind allerdings schlicht nutzlos: Ein zielführender Vergleich kann immer nur dann stattfinden, wenn beide Bezugspunkte (einigermaßen) bekannt sind. Carrolls Studie wäre insofern mit einer gewissen Akzentverschiebung deutlich besser im Kontext gegenwartskultureller, zum Beispiel feministischer oder postkolonialer Forschung platziert gewesen als ausgerechnet auf dem Feld der Mittelalterrezeption.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Shiloh Carroll: Medievalism in A Song of Ice and Fire and Game of Thrones.
Boydell & Brewer, Suffolk 2018.
205 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9781843844846

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