Kaiser Maximilian und sein wichtigstes Buch

Mario Klarer zeigt das Ambraser Heldenbuch in neuer Perspektive

Von Martin BaischRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Baisch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In die Forschung um die Prachthandschrift des Ambraser Heldenbuchs, das der Bozner Zöllner Hans Ried zwischen 1504 und 1516 im Auftrag von Kaiser Maximilian I in Tirol angefertigt hat, ist (endlich!) Bewegung geraten. Das Heldenbuch ist mit seinen 25 Werken eine der umfangreichsten Sammlungen mit mittelalterlich deutschsprachigen Texten wie dem Nibelungenlied, dem Iwein Hartmanns von Aue oder dem Meier Helmbrecht. Herausragend ist bekanntermaßen auch der Umstand, dass das Ambraser Heldenbuch zu zwei Dritteln aus Werken besteht, die nur in dieser Handschrift tradiert worden sind. Ohne diese Textzeugen hätten wir keine wirkliche Kenntnis von Hartmanns ‚Erec’ oder der ‚Kudrun’ oder dem ‚Moriz von Craûn’ – allesamt anerkannte mittelhochdeutsche Klassiker!

Bewegung ist in die Forschung um das Ambraser Heldenbuch gekommen, weil eine neue Ausgabe von Hartmanns von Aue ‚Erec’ vorliegt, die Andreas Hammer, Victor Millet und Timo Reuvekamp-Felber als textgeschichtliche Edition konzipiert und 2017 veröffentlicht haben. Wie in keiner Edition des ‚Erec’ zuvor, basiert diese Ausgabe auf dem Text des Ambraser Heldenbuchs, der aber nicht – wie in den übrigen Editionen des ‚Erec’ seit Moriz Haupt – in ein Mittelhochdeutsch der Zeit um 1200 rückübersetzt worden ist. Bewegung in die Forschung ist aber vor allem durch die Forschungsprojekte des Innsbrucker Anglisten Mario Klarer geraten, von dem auch dieser Sammelband Zeugnis ablegt: Endlich hat man sich der Aufgabe gestellt, im Rahmen eines groß angelegten Digitalisierungsprojekts eine allographische Transkription der Handschrift und ein für unterschiedliche wissenschaftliche Zwecke nutzbares Datenset zu erstellen.

In der Einleitung stellt Mario Klarer das Ambraser Heldenbuch, die in ihm überlieferten Texte, den Schreiber und seine Sprache, schließlich die Bebilderung der Handschrift ausführlich vor. Die folgenden Aufsätze des Bandes beleuchten unterschiedliche Aspekte der Handschrift, geben so intensive Einblicke in die derzeit lebendige Forschung zum Ambraser Heldenbuch und ihrer Probleme. Hervorzuheben ist die außerordentlich reiche Ausstattung des Bandes: Die zahlreichen Abbildungen aus der Handschrift sind von höchster Qualität und belegen ihren Status als außergewöhnliches Kulturgut. Hubert Alisade diskutiert die Umstände der Beauftragung Hans Rieds, bei der Vieles aufgrund der Quellenlage im Dunkeln bleiben muss. Aaron Tratter untersucht spezifische kodikologische Merkmale wie das Inhaltsverzeichnis, den Buchschmuck, die Lagen sowie das Fehlen von Textstellen und Seiten, um den Entstehungsprozess der Handschrift zu beleuchten. Jan-Dirk Müller setzt sich begrifflich wie konzeptuell mit dem Terminus ‚Heldenbuch’ auseinander, um sich damit der Textsammlung in der Ambraser Handschrift anzunähern, denn Heldenbücher – als besondere Form von gedechtnus – können auch Geschichten von König Artus und seinen Rittern integrieren, sind also historisch betrachtet nicht festgelegt auf Texte des heimischen Sagenkreises.

Klaus Amann fragt nach den Gründen für die Auswahl und Anordnung der Werke im Ambraser Heldenbuch, das er als Diskurs über das höfische Leben mit den thematischen Schwerpunkten von triuwe und minne versteht. Heldenepische Texte wie Biterolf und Dietleib, Ortnit und Wolfdietrich lassen zudem eine regionale Ausrichtung als Sammlungsprinzip vermuten. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Ambraser Heldenbuch eine Vielzahl von Texten von Hartmann von Aue tradiert beziehungsweise diesem Autornamen zuschreibt und in Bezugnahme auf die schon erwähnte Neuedition des Erec beziehungsweise Ereck analysiert Kurt Gärtner den Umstand, dass im Ambraser Heldenbuch der Erec und die Verserzählung Der Mantel als Überlieferungsverbund tradiert sind. Philologen wie Sonja Glauch argumentieren, dass der nicht angezeigte Bruch beim Übergang vom Mantel zum Erec bei Berücksichtigung des fehlenden Prologs dafür spricht, dass Hans Ried bei der Abschrift einen Blätter- oder Lagenverlust übersehen hat und daher eine „Romanchimäre aus Mantel und Erec’“ fabriziert habe. Die neue Ereck-Ausgabe hingegen geht von einer planvollen Texteinheit aus und ediert den Mantel als Teil von Hartmanns Dichtung. Mögen die beiden Texte in Hinblick auf Stil und Reimwortschatz sich auch deutlich unterscheiden, an der Überlieferungsgemeinschaft von Mantel und Erec im Ambraser Heldenbuch führt nichts vorbei, die editorisch berücksichtigt werden muss. Gärtner kommt zu dem Schluss, dass in einer künftigen kritischen Textausgabe des Erec in einem Anhang eine kritische Edition des Mantel beizugeben ist, wobei für eine solche Unternehmung reimgrammatische Untersuchungen vorzunehmen seien. Stephan Müller schließt in seinem Beitrag eng an die Überlegungen von Gärtner an und geht der Frage nach dem Widerspruch zwischen der Prominenz der tradierten Texte und ihrer unikalen Überlieferung in der Ambraser Handschrift nach. Dafür diskutiert Müller auch den vielschichtigen Zusammenhang, der zwischen den Fresken auf Burg Runkelstein und dem Ambraser Heldenbuch besteht. Müller gibt in diesem Zusammenhang auch eine überaus stimmige Charakterisierung des Ambraser Heldenbuchs: Diese „ist keine Abschrift, sondern – wie die Bilder und das heldenbuch auf Runkelstein – eine Arbeit an einer neuen Form für etwas Altes. Keine bloße Reproduktion, sondern eine Transformation in einen neuen, zeitgemäßen Zustand im Kontext von Maximilians Gedechtnus-Werk.“ Max Schiendorfer und Michael Dallapiazza legen aspektreiche Interpretationen zu den schwankhaften Kurzerzählungen des Codex vor. Heinz Notflatscher ermittelt aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive den sich verändernden Umgang mit Helden und Heroen in der Zeit Kaiser Maximilians. Larry Silver untersucht Maximilians Werk Theuerdank (1517) als frühneuzeitliches Heldenbuch. Kristina Domanski widmet sich dem Buchschmuck der Ambraser Handschrift aus kunsthistorischer Perspektive. Der beeindruckende Band endet mit zwei Beiträgen von Mario Klarer: Im ersten stellt er das schon erwähnte Projekt vor, das eine Transkription des Ambraser Heldenbuchs erstellt und von höchster wissenschaftlicher Relevanz ist. Hervorzuheben ist dabei der Überblick über die von Ried verwendeten Klein- beziehungsweise Großbuchstaben und der Superskripta. Der zweite Aufsatz Klarers analysiert eine Reihe von im Ambraser Heldenbuch überlieferten Werken wie den Moriz von Craûn oder den Meier Helmbrecht unter dem Aspekt der translatio imperii und der mittelalterlichen Gehirnanatomie.

Fazit: Der vorliegende Sammelband gibt einen facettenreichen und faszinierenden Einblick in die gegenwärtige Erforschung des Ambraser Heldenbuchs in interdisziplinärer Perspektive.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Mario Klarer (Hg.): Kaiser Maximilian I. und das Ambraser Heldenbuch.
Böhlau Verlag, Wien 2019.
246 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783205232650

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