So spannend wie ein Liebesroman?

Ein kritischer Blick auf den hochgelobten "Ehebriefwechsel" Emilie und Theodor Fontane

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Fontane-Jahr ist vorbei, doch die zahlreichen neueren Publikationen, die ihre Existenz mehr oder weniger dem 100. Todestag oder dem Fontane-Boom der 90er Jahre verdanken, die werden uns erhalten bleiben, zumindest in Bibliotheken und Archiven. Die gewichtigste ist der von Gotthard Erler herausgegebene Briefwechsel der Eheleute Fontane, sowohl quantitativ (drei Bände) als auch qualitativ, wenn man nach den enthusiastischen Besprechungen namhafter Kritiker namhafter Feuilletons geht.

In dem Briefwechsel entspinnt sich ein Dialog zwischen Mann und Frau, der dem Leser ein Bild von Emilies Persönlichkeit vermittelt und der manche interessante biographische Einzelheit zu Theodors Werdegang enthält. Wie sorgfältig die mit Register und Anmerkungen versehene Ausgabe ediert wurde, zeigt sich zum Beispiel daran, daß Erler bei den schon gedruckten Texten nicht einfach die gängigen Briefeausgaben herangezogen, sondern die Originale neu erfaßt hat. Eine verdienstvolle Publikation also, die in keiner Universitätsbibliothek fehlen sollte.

Ob damit aber die große Forschungsrevision erreicht wurde, die Erler in der Einleitung ankündigt, darf bezweifelt werden. Das Bild der nörgelnden und ihrem Gatten aus rein materiellen Erwägungen Steine in den Weg seiner schriftstellerischen Laufbahn legenden Emilie, das Erler nunmehr zu den Akten legen möchte - es lag dort bereits seit vielen Jahren. Niemand hat mehr ernsthaft angezweifelt, daß Emilie ihrem Mann eine große Hilfe gewesen ist, indem sie unermüdlich, oft mehrfach seine Texte abschrieb und in eine für Verleger wie Setzer lesbare Form brachte.

Der große Wirbel im Feuilleton scheint mir vollends unerklärlich. Wieviel der Briefe Theodors in dieser Ausgabe zum allerersten Mal gedruckt werden, wird leider nirgendwo erwähnt, aber mir scheint, daß es nicht viele sein können. Der Neuigkeitswert ist aus dieser Sicht somit begrenzt. Die unbekannten Briefe von Fontanes Frau hingegen haben, das muß man so hart sagen, keinerlei literarische Qualität. Man darf Emilie das nicht posthum vorwerfen, denn sie trug sich nicht mit dem Gedanken einer Publikation. Das heutige Interesse an ihnen reduziert sich aber auf ein rein biographisches, und auch da liegt der Aussagewert im kleinen bis kleinsten Detail.

Wo ist die spannende Liebesgeschichte, von denen die Feuilletons so geschwärmt haben? Ich weiß es nicht. Was mir vorliegt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine philologisch äußerst gründliche, für ein Fachpublikum unzweifelhaft wichtige Briefeedition. Wer aber Fontanes Briefschreibetalent umfassend kennenlernen möchte, der sollte lieber zu der fünfbändigen Briefeausgabe greifen, die es, ebenfalls seit letztem Jahr, bei dtv gibt und die etwas weniger kostet als der Ehebriefwechsel. Dabei handelt sich um einen Nachdruck der renommierten Hanser-Ausgabe, also der größten Auswahlausgabe von Fontanes Briefen, die bisher nur für Bibliotheken oder sehr wohlhabende Leute erschwinglich war.

Titelbild

Theodor Fontane: Briefe. Erster bis fünfter Band (Bd. 5 I u. II).
dtv Verlag, München 1998.
4216 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3423590378

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Titelbild

Emilie Fontane / Theodor Fontane: Der Ehebriefwechsel.
Manesse Verlag, Berlin 1998.
2398 Seiten, 126,80 EUR.
ISBN-10: 3351031335
ISBN-13: 9783351031336

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Theodor Fontane: Emilie und Theodor Fontane. Der Ehebriefwechsel in drei Bänden.
Manesse Verlag, Berlin 1998.
2398 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3351031335

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