Pub-Quiz für Zuhause

In „57,3 Rätsel aus Japans Alltag“ unternimmt Rita Menge eine kulturelle Blütenlese im Land der aufgehenden Sonne

Von Lea ReiffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Reiff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Listen kultureller Kuriositäten erfreuen sich im Zeitalter der Globalisierung größter Beliebtheit: Austauschstudierende, Dienstreisende und interessierte Urlauber*innen informieren sich vor ihrer Abreise gerne in Büchern, Blogs und Youtube-Videos über die Besonderheiten ihres Gastlandes. Japanfreunde werden an dieser Stelle einen Blick ins Bücherregal werfen und mit einem liebevollen Augenzwinkern ihren ansehnlichen Bestand an entsprechenden Ratgebern und Einführungswerken in die Besonderheiten einer Kultur mustern, die den meisten Europäern trotz Sushi, Manga und Pokémon Go nach wie vor hieroglyphisch vorkommt und der Entschlüsselung bedarf. Mit 57,3 Rätsel aus Japans Alltag – Kuriositäten zwischen Wahnsinn und Vernunft hat die Unternehmensberaterin Rita Menge einen äußerst unterhaltsamen Stein von Rosetta vorgelegt. Die Bräuche, Praktiken und Gegenstände, von denen sie berichtet, sind in positivem Sinne kurios, denn sie wirken in ihrer Fremdheit zwar sonderbar, regen jedoch die Neugier an und entpuppen sich in den meisten Fällen als einsichtig und charmant.

Wer schon immer wissen wollte, wie man in Tokyo sein Auto parkt, warum man besser nicht in japanischen Seen schwimmen sollte und warum es in manchen Läden ein Überangebot an roter Unterwäsche zu kaufen gibt, kommt in Menges 57,3 Rätseln auf seine Kosten – und zwar ohne dass die durchaus ernsten Hintergründe einiger Gepflogenheiten verschwiegen würden. Dass am Eingang einer heißen Badequelle (Onsen) ein Schild hängt, das Menschen mit Tätowierungen den Eintritt verweigert, hängt beispielsweise mit dem Brauch der japanischen Mafia (Yakuza) zusammen, „sich großflächig tätowieren zu lassen“. Was das Werk nicht bietet, ist eine systematische Einführung in die japanische Kultur der Gegenwart. Als Blütenlese „zwischen Wahnsinn und Vernunft“ muss es das auch nicht.

Aufgebaut ist das Buch im Stil eines Bilderquiz’, wie man es sonst auf kleine Karten gedruckt in handlichen Kartonverpackungen zur Unterhaltung während langweiliger Bahnfahrten findet. Ungerade Seiten warten mit einem Foto und einer Frage auf, die Antwort erhält man auf der Rückseite. Dementsprechend ist Menges schmales Bändchen zwar zur Nachmittagslektüre auf dem Sofa brauchbar – es lädt jedoch eher zu interaktiven Gebrauchsformen ein. Warum nicht abends im Kreis der Familie diese literarische Pralinenpackung öffnen und sich quasi zum Nachtisch eines der mit Witz (wenn auch etwas zu vielen Rechtschreibfehlern) erläuterten ‚Schmankerl‘ gönnen? Verweise auf einschlägige Youtube-Videos zum Ende einiger Abschnitte regen zu weiterer Beschäftigung mit dem gewählten Thema an und können so zu abendfüllendem Programm überleiten. Ein Genuss der Rätsel über mehrere Tage hinweg ist auch deshalb empfehlenswert, weil sich einige Bestandteile der Erläuterungen wiederholen. Wer sich also noch sehr genau erinnert, weshalb ein handgefertigter Eiswürfel hochwertiger ist als einer aus der Tiefkühltruhe, sollte eine kurze Vergessenspause einlegen, bevor er weiterliest. Alternativ wäre auch eine Verwendung des Buches als Pub-Quiz für Zuhause denkbar – eventuell bei einem kühlen Glas „Highball“. – Wie, Sie wissen nicht, was das ist? Hoffentlich kennen Sie sich mit Snack-Cafés und Mamacharis besser aus!

Das Rätselraten beginnt bereits auf dem Buchdeckel, genauer gesagt im Titel, denn wie die Zahl „57,3“ zustande kommt, erscheint mysteriös. Getreu dem Strukturprinzip Foto – Frage – Erklärung findet sich die Auflösung im Vorwort: es handelt sich um einen spielerischen Verweis auf Rätsel Nummer 0,1, das sich um den Brauch dreht, um den 15. November herum mit Kindern im Alter von sieben, fünf und drei Jahren (Shichi, Go, San) einen Shintoschrein zu besuchen. Im Übrigen wirkt das Wortspiel etwas erzwungen, denn es bleibt unklar, weshalb die ersten drei Einträge des Buches jeweils nur als ein Zehntel eines Rätsels gelten sollen. Der Layout-Kunstgriff, diese drei Einträge jeweils auf einer Seite vollständig abzuhandeln, kann das nicht kompensieren. Während der Shichi, Go, San-Schreinbesuch wahrscheinlich einigen Japanfreunden ein Begriff ist, dürfte die Art, eine fünftstellige Strichliste anzufertigen, doch bei einigen für Verwirrung sorgen und das Rätsel vom Schwierigkeitsgrad her aus dem Dezimalbereich erheben.

Wie leicht, schwer oder unmöglich Menges Fragen zu beantworten sind, hängt von den persönlichen Japan-Erfahrungen und Japanischkenntnissen des Lesers ab, spielt für das Lesevergnügen aber eine untergeordnete Rolle. Das Buch verhilft so oder so zu spannenden Aha-Erlebnissen und regt dazu an, sich selbst zu erkennen im Anderssein. Es macht Vergnügen, sich im Geiste mit der Rolle eines ungeschickten Touristen zu identifizieren, den man „einfach mal machen lässt“, wenn er das Teepulver im Restaurant mit Wasabi verwechselt, und den man höflich darauf hinweist, gebrauchtes Toilettenpapier nicht in den Papierkorb zu schmeißen. So kann man beim Umblättern gefahrlos Kopfsprünge in Fettnäpfchen wagen, die man während der nächsten Japanreise umso geschickter zu vermeiden wissen wird.

Titelbild

Rita Menge: 57,3 Rätsel aus Japans Alltag. Kuriositäten zwischen Wahnsinn und Vernunft.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
125 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783826067495

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch