Es gibt kein Entkommen

Katja Schönherrs „Marta und Arthur“ will keine Liebesgeschichte erzählen

Von Dennis SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Definitiv keine Liebesgeschichte“ heißt es auf dem Cover von Katja Schönherrs im August 2019 erschienen Erstlingswerk Marta und Arthur, und treffender könnte man den Roman kaum beschreiben. Wenn man eintaucht in die verquere Liaison zwischen einer Schülerin und einem Referendar, sieht man sich zwar mit der Frage konfrontiert, was für eine Geschichte man da genau liest. Es ist die absichtlich ungelöst bleibende Frage nach dem Genre der Geschichte, die diese Nicht-Liebesgeschichte erzählen und sein will. Doch diese Unklarheit tut der Finesse des Romans keinen Abbruch – eher im Gegenteil.

Die Geschichte setzt unmittelbar mit Arthurs Tod ein und teilt sich schnell in zwei Erzählstränge auf, die sie sich zum Ende wieder in der Gegenwart treffen. Der eine Strang erzählt von Martas makabren Umgang mit Arthurs Tod und seinem leblosen, verstorbenen Körper. Der andere Erzählstrang hingegen durchschreitet ihre Kindheit, ihr Kennenlernen mit Arthur und die weiteren Lebensabschnitte bis zu seinem Ableben. Den Wechsel von der einen Ebene in die andere markiert lediglich der Übergang vom Präsens ins Präteritum. Nahezu beiläufig werden die einzelnen Vignetten – manche mehrere Seiten lang, andere nur ein kurzes, bedeutungsschwangeres Zitat von etwas lange vorher Gesagtem – aneinandergereiht; dennoch sind sie umsichtig durchkomponiert. Schnell wird klar, dass das Beziehungsgeflecht der beiden von körperlichen Zurückweisungen und emotionalen Verletzungen durchzogen ist, ohne dass diese als gradlinige Geschichte voranschreiten oder gar in einer Versöhnung münden.

Marta und Arthur ist ein Text, der nicht vergisst. Anstelle eines abwechslungsreichen Spannungsbogens oder geistreicher Dialoge offeriert Schönherr ein engmaschiges Netz aus Motiven, Personen und Schauplätzen, das die beiden Erzählstränge gekonnt durchzieht und verbindet. Ob der geschenkte Füller mit der „Marthur“-Gravur, Martas fescher zweiter Liebhaber Georg oder der immer gleiche Strand mit den immer gleichen Umkleidekabinen, an dem alles begann – sie alle kehren immer wieder zurück ins literarische Geschehen und Gedächtnis. Die Wiederholung hat Methode. Dadurch gelingt es Schönherr, unzählige Vorausdeutungen und Rückverweise in den Text einzubauen, was der Leserschaft erlaubt, die Komplexität des Textes nach und nach zu erfassen. Auch auf mikroskopischer Ebene funktioniert der Roman auf diese Weise: Sprachliche Einfachheit wird kombiniert mit sprachmächtigen Metaphern wie dem „Schlachtfeld von Seekrabben“, den „Leitpfostenknöpfen“ oder der „weißen, tropfenden Höhle“ ihres Kühlschranks. Dieses reduzierte Inventar beschränkt die erzählte Welt zwar, doch lädt es gleichermaßen dazu ein, hier zu verweilen und die Frau zu verstehen, die in dieser Welt lebt beziehungsweise leben muss.

Spätestens nach 100 Seiten stellt sich die Frage, weshalb im Titel von Marta und Arthur – und nicht von „Marthur“ – die Rede ist. Erzählt wird ausschließlich aus Martas Perspektive: Ihre Lebens- und Irrwege machen den narrativen Kern des Romans aus, an dem Arthurs eigener Erzählpfad parallel vorbeiläuft; von einigen Enthüllungen am Ende abgesehen bleibt dieser der Leserschaft weitestgehend verborgen. Obgleich der Titel in seiner Koordination von Marta und Arthur zwar an prominente Liebespaare wie Romeo und Julia oder Harry und Sally erinnern will, dreht sich die ganze Nicht-Liebesgeschichte die meiste Zeit um Marta mit Arthur. Doch da Marta in ihrer verqueren Liaison mit Arthur kaum zu Wort kommt, wird der Platz, den ihr die Geschichte einräumt, umso wichtiger.

Der Roman steht und fällt mit seiner Hauptfigur Marta. Blickt man auf die Enge des oben erwähnten Motivgeflechts, merkt man, dass diese Form nicht zufällig ist: Durchaus erkennt man hierin den hermetisch abgeriegelten und dennoch energetisch aufgeladenen Raum wieder, in welchem Marta sich bewegt: „,Arthur?‘, flüsterte sie, ‚Arthur?‘ Wie lebendig er ihr in diesem Raum nun wieder vorkommt. Es würde sie nicht wundern, wenn er jetzt an seinem Schreibtisch säße, über ein neues Puzzle gebeugt, mit einer Zigarette in der Hand.“ Aber aller Komplexität der Erzählung ungeachtet: Manch einem mag die Psychologisierung von Schönherrs Hauptfigur etwas zu gradlinig wirken und nicht völlig nachvollziehbar machen, wie sie es all die Jahre mit dem Ekelpaket Arthur und den anderen, sie ständig bevormundenden Männern aushalten konnte. Mit diesem Urteil sollte man jedoch – so viel sei gesagt – warten, bis die Geschichte am Ende alle ihren Karten auf den Tisch gelegt hat.

Wie zwei Himmelskörper gehen Marta und Arthur immer wieder auf Distanz zueinander, ohne völlig der Gravitationskraft des Anderen widerstehen oder gar entkommen zu können. Wer sich auf diesen Sog einlässt, wird belohnt mit der vielversprechenden Nicht-Liebesgeschichte einer Autorin, die – anders als ihre Hauptfigur – die Last der Erzählung und die Lasten der Erinnerungen durchaus zu schultern weiß.

Titelbild

Katja Schönherr: Marta und Arthur. Roman.
Arche Verlag, Hamburg 2019.
235 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783716027806

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