Parkettplatz 23

Die besten Theaterkritiken Fontanes in einer neuen to-go-Edition

Von Klaus-Peter MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Peter Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kritische Jahre – Kritiker-Jahre, mit diesem Arbeitstitel überschrieb Fontane die Entwürfe für einen dritten, abschließenden Teil seiner Autobiographie, der seinen „letzten Lebensabschnitt“ behandeln sollte, die Jahre von 50 bis 70, seine Kritikerjahre, denn von 1870 bis 1890 war er bei der Vossischen Zeitung als Referent für die Königlichen Schauspiele angestellt, worüber es eine Menge zu berichten gab, mindestens so bunt und vielseitig wie über den Tunnel über der Spree. Diese Erinnerungen sind leider Fragment geblieben, nur wenig davon ist ausgeführt, aber schon diese Entwürfe gehören zu dem Besten, was Fontane geschrieben hat. Man erfährt, was es mit jenem merkwürdigen Parkettplatz 23 auf sich hatte, den er als Rezensent regelmäßig zu den Premierenabenden einnahm, der kein eigentlicher Platz war, wie das attraktive Titelbild der hier zu besprechenden Ausgabe suggeriert, sondern ein „ganz in die scharfe Ecke zwischen Proszeniums- und Parkettlogen“ eingeklemmter „Vorposten“, ein „Sperrfort“, „kurulischer Stuhl“ und „Armesünderbänkchen“ in einem, wo der Kritiker exponiert und vom normalen Publikum separiert saß, den giftigen Blicken der beleidigten Möchtegernstars preisgegeben, aus denen er die Bezeichnung las, die man ihm zudachte: „Scheusal!“

Dabei wurde ihm schon von Simon Stein, einem Zeitgenossen, der 1884 unter dem Pseudonym Ed. Vollmer eine Kritik der Kritik veröffentlichte, bescheinigt, nicht entschieden genug in seinem Urteil zu sein und Bühnenautoren und Schauspieler viel zu nachsichtig zu behandeln, so dass er allenfalls als „theaterkritischer Sonntagsjäger“ gelten könne, der es „wohl niemals so recht“ zur „Bürde und Würde“ eines Theaterkritikers bringen werde. Von der glaßbrennerischen und Schmidt-Cabanis’schen Berliner Montagszeitung, hinter die sich, „den Dolch im Gewande“, Theodor Döring geklemmt hatte, wurde Fontane bereits 1871 durch die Verunglimpfung seines Autorenkürzels Th. F. – seines spezifischen Markenzeichens, mit dem die Tante Voss seine Beiträge kennzeichnete – zu „Theater Fremdling“ seine Referentenbefähigung schlichtweg abgesprochen, ein Witz, über den Fontane (später) mitlachen konnte und den er elegant entkräftete, der ihn aber doch empfindlich getroffen haben wird. Hätte er sich sonst noch mehr als zwei Jahrzehnte später daran erinnert und sich mit einigen gemeinen Döring-Anekdoten zu rächen versucht?

„Da sitzt das Scheusal wieder“, dieses eigentümliche Fontane-Zitat ist der vielversprechende Titel einer neuen Anthologie von Fontanes Theaterkritiken, die gleichzeitig mit der vierbändigen wissenschaftlichen Gesamt-Ausgabe im Aufbau-Verlag erschien, Nebenprodukt und Appetizer der Gesamt-Edition, aber auch selbst wert, betrachtet und gelesen zu werden. Debora Helmer, Mit-Herausgeberin der wissenschaftlichen Edition der Theaterkritiken, hat auch diesen „repräsentativen Querschnitt“ zusammengestellt und durch ein Vorwort eingeleitet, in dem alles Wichtige erläutert ist, wobei sie, der Band wendet sich ja vor allem an Nichtfachleute und Genussleser, an manchen Stellen durchaus etwas weiter hätte ausholen können. Hingewiesen sei hier nur beispielhaft auf die hinreißenden Erinnerungen von Paul Schlenther über Fontane als Theaterkritiker oder Fontanes eigene Reminiszenzen an seinen Gutzkow-Verriss. Bei dieser Gelegenheit fühlte er sich zwar wie ein „Dorfspitz […], der den Mond anbellt“, in der Rückschau inspirierte ihn die Erregung, die er dadurch hervorrief, jedoch zu dem Grundsatz aller Kritik: „Schlecht ist schlecht, und es muss gesagt werden.“

Aus dem überreichen Fundus hat die Herausgeberin 46 Texte ausgewählt, die in sechs Gruppen präsentiert werden, von denen jede eine charakteristische Seite von Fontanes theaterkritischem Schreiben illustrieren soll. Die besten Theaterkritiken, der Untertitel betont das auf Attraktion gestellte Konzept des Sammel-Bandes. Die neue Anthologie bietet in der Tat Lesenswertes und Unverzichtbares, das nicht nur jeder Fontane-Fan parat haben sollte, sondern das allgemeinstes Interesse beanspruchen darf. „Die größte aller Revolutionen würde es sein, wenn die Welt, wie Ibsen’s Evangelium predigt, übereinkäme, an Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die freie Herzensbestimmung zu setzen. Das wäre der Anfang vom Ende.“ Zu solchen ultimativen Aussagen verstieg sich Fontane 1887 in dem Versuch, Ibsens Gespenster zu widerlegen, die die bürgerlichen Auffassungen von Liebe und Ehe im Tiefsten getroffen und auch Fontane selbst extrem verunsichert hatten. Ehe ist seiner Meinung nach Ordnung, nicht Liebe. Als junger Mann hatte er sich in seinem Gedicht Die arme Else dagegen aufgelehnt. Jetzt klammert er sich haltsuchend an diesen dürren Stab. Aber Fontane blieb nicht dabei stehen. Bereits im Jahr darauf begann er, sein bedeutendstes Werk zu schreiben, den Roman Effi Briest, in dem diese notdürftige, knöcherne Ordnung endgültig zertrümmert wurde.

Die verschiedenen Ausgaben der Theaterkritiken Fontanes füllen bereits eine eigene kleine Bibliothek. Gewiss handelt es sich, verglichen mit den bedeutenden Romanen und Erzählungen, um periphere Schriften, aber die Meisterschaft Fontanes äußert sich gerade auch in solchen Neben- und Seitenstücken. Die Kritikerjahre waren Urteilsschule und dramaturgische Vorbereitung für den Romancier Fontane. In einigen Fällen, wie bei seinem Roman Frau Jenny Treibel, verdankt Fontane den Theaterstücken wesentliche Impulse, die ihn zu eigenen Werken, Figuren oder Szenen anregten. Die Theaterkritiken sind aber auch ganz eigene Werke, Reflexe zum Zeitgeschehen, die auch heute noch Interesse beanspruchen dürfen. Die erste repräsentative Auswahl hat Paul Schlenther 1905 vorgelegt. Sie trägt den charakteristischen Titel Causerien über Theater. Fontanes Söhne Friedrich und Theodor haben 1925 eine wesentlich erweiterte Ausgabe dieser Auswahl erarbeitet, der sie den ihrer Meinung nach besser verständlichen Titel Plaudereien über Theater gaben. Vollständig wurden Fontanes Theaterkritiken 1967 in der Nymphenburger Ausgabe und 2018 in der Großen Brandenburger Ausgabe des Aufbau-Verlages ediert. Der 1969 in der Hanser-Ausgabe erschienene umfangreiche Band bot dagegen nur eine Auswahl. Eine weitere populäre Anthologie erschien 1998 im Aufbau-Verlag.

Reizvoll ist es, die Konzepte der verschiedenen Auswahlausgaben mit der neuen Anthologie Da sitzt das Scheusal wieder zu vergleichen, wozu sich besonders der Band Die Saison hat glänzend begonnen anbietet, der 1998 von Peter Goldammer im Aufbau-Verlag herausgegeben wurde und teilweise sogar dieselben Texte enthält. Beide Bände sind schmal und handlich und ähnlich ausgestattet. Man kann sie im Regal nebeneinander stellen. Natürlich ersetzen oder ergänzen die verschiedenen Ausgaben einander nicht, sondern sie präsentieren lediglich Ausschnitte aus dem Gesamtwerk, auf das sie verweisen. Sie profilieren Fontane auf unterschiedliche Weise als Kritiker und sie dehnen den Werkbegriff auf die journalistischen Arbeiten aus. Und sie sind jeweils Kinder ihrer Zeit.

In seinem Nachwort zu der hier besprochenen Sammlung hat Simon Strauß die historische Distanz beschrieben, aus der heraus Leser von heute Fontanes Theaterkritiken wahrnehmen sollten. Dieser Erklärungen, die sich zum Teil auf Wiederholung des Vorworts beschränken, hätte es nicht bedurft. Wer liest schon solche Texte um der historischen Distanz willen? Zu all diesen scharfsinnigen Überlegungen hätte Fontane vielleicht gesagt: „Ich anerkenne diese Form der Kunst, aber sie läßt mich kalt.“

Titelbild

Theodor Fontane: Da sitzt das Scheusal wieder. Die besten Theaterkritiken.
Herausgegeben und mit einer Einführung von Debora Helmer. Mit einem Nachwort von Simon Strauß.
Aufbau Verlag, Berlin 2018.
240 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783351037420

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